würde mich, wenn ich ihn läse, bessern; aber ihn zu machen, ist etwas anders: wie der Poet durch das Darstellen das ganze Welttheater [80]immer mehr von sich wegrükt, wie er sich selber immer mehr ab- sondert vom Schattengewühl seiner guten und schlimmen Personagen: so hat also die Tugend, die er darstelt, Antheil an diesem Schiksal der5 Abtrennung; seine Gefühle wachsen mit seiner Besonnenheit und Er ist immer auf eine zweideutige Art getrent von oder erhaben über seine Zustände. Dazu kömt noch: die moralische Kraft in uns drängt sich wie eine schwellende Laubknospe, eben so gut nach Entfaltung, nach Ausbruch als alle übrigen: entweder durch Thaten oder durch das10 üppige Aufschiessen in Schriften. So würden wir, wenn wir politische Freiheit genössen, nicht die geringste Freude haben, über sie zu schreiben.
Gegen diese gerade dem höchsten Enthusiasmus benachbarte Er- schlaffung giebts zwei Stärkungsmittel, ein kleineres -- das ist das15 Lesen fremder Werke, die uns dan desto mehr überwältigen und die wieder die Szenen in uns verlegen, die wir schreibend in fremde Karaktere verlegten -- und ein grosses; das ist fremdes Beispiel: dieses zieht almächtig in die Höhe und gerade einer, der sich durch Phantasieren verdorben hat, müste unter Engeln einer werden.20 Und dieses Beispiel giebst du mir, mein Freund, und dafür habe dein so vielen Aufopferungen blosgegebnes Herz Dank. Es presset mir Thränen in die Augen, wenn ich mir dich einmal ganz glüklich denke mit allen deinen Wünschen und mit denen, die du schon aufgegeben -- ich habe mich oft mit den ausgemalten Träumen von der höchsten25 reinsten Glükseligkeit meiner Freunde (wie ichs jezt mit Herman thue) erquikt und verwundet, aber ich bin trübe aufgewacht.
Die ersten 2 Seiten "über die Magie etc." schreib' ich um, wegen ihrer Finsternis (nicht Dunkelheit) und wegen deiner Anmerkungen. Ich habe aber nicht die Phantasie verkörpert, wie du meinst, sondern30 nur die Sinne vergeistigt und eben dadurch beide einander zugerücket: denn auch bei den 5 Sinnen bildet sich die Seele nach ihren eignen Gesezen und mit ihrer Kraft allein, die SinnenEmpfindungen; die Erschütterung des SehNervens giebt dem Auge (oder Körper) nicht mehr Antheil an der Gesichtsempfindung als die Erschütterung der35 Gehirnfiber, der Phantasie bei der Erinnerung jener Gesichts- empfindung nimt. Wie SinnenNerven zu den Empfindungen, so
würde mich, wenn ich ihn läſe, beſſern; aber ihn zu machen, iſt etwas anders: wie der Poet durch das Darſtellen das ganze Welttheater [80]immer mehr von ſich wegrükt, wie er ſich ſelber immer mehr ab- ſondert vom Schattengewühl ſeiner guten und ſchlimmen Perſonagen: ſo hat alſo die Tugend, die er darſtelt, Antheil an dieſem Schikſal der5 Abtrennung; ſeine Gefühle wachſen mit ſeiner Beſonnenheit und Er iſt immer auf eine zweideutige Art getrent von oder erhaben über ſeine Zuſtände. Dazu kömt noch: die moraliſche Kraft in uns drängt ſich wie eine ſchwellende Laubknoſpe, eben ſo gut nach Entfaltung, nach Ausbruch als alle übrigen: entweder durch Thaten oder durch das10 üppige Aufſchieſſen in Schriften. So würden wir, wenn wir politiſche Freiheit genöſſen, nicht die geringſte Freude haben, über ſie zu ſchreiben.
Gegen dieſe gerade dem höchſten Enthuſiaſmus benachbarte Er- ſchlaffung giebts zwei Stärkungsmittel, ein kleineres — das iſt das15 Leſen fremder Werke, die uns dan deſto mehr überwältigen und die wieder die Szenen in uns verlegen, die wir ſchreibend in fremde Karaktere verlegten — und ein groſſes; das iſt fremdes Beiſpiel: dieſes zieht almächtig in die Höhe und gerade einer, der ſich durch Phantaſieren verdorben hat, müſte unter Engeln einer werden.20 Und dieſes Beiſpiel giebſt du mir, mein Freund, und dafür habe dein ſo vielen Aufopferungen blosgegebnes Herz Dank. Es preſſet mir Thränen in die Augen, wenn ich mir dich einmal ganz glüklich denke mit allen deinen Wünſchen und mit denen, die du ſchon aufgegeben — ich habe mich oft mit den ausgemalten Träumen von der höchſten25 reinſten Glükſeligkeit meiner Freunde (wie ichs jezt mit Herman thue) erquikt und verwundet, aber ich bin trübe aufgewacht.
Die erſten 2 Seiten „über die Magie ꝛc.“ ſchreib’ ich um, wegen ihrer Finſternis (nicht Dunkelheit) und wegen deiner Anmerkungen. Ich habe aber nicht die Phantaſie verkörpert, wie du meinſt, ſondern30 nur die Sinne vergeiſtigt und eben dadurch beide einander zugerücket: denn auch bei den 5 Sinnen bildet ſich die Seele nach ihren eignen Geſezen und mit ihrer Kraft allein, die SinnenEmpfindungen; die Erſchütterung des SehNervens giebt dem Auge (oder Körper) nicht mehr Antheil an der Geſichtsempfindung als die Erſchütterung der35 Gehirnfiber, der Phantaſie bei der Erinnerung jener Geſichts- empfindung nimt. Wie SinnenNerven zu den Empfindungen, ſo
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würde mich, wenn ich ihn läſe, beſſern; aber ihn zu machen, iſt etwas
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immer mehr von ſich wegrükt, wie er ſich ſelber immer mehr ab-
ſondert vom Schattengewühl ſeiner guten und ſchlimmen Perſonagen:
ſo hat alſo die Tugend, die er darſtelt, Antheil an dieſem Schikſal der 5
Abtrennung; ſeine Gefühle wachſen mit ſeiner Beſonnenheit und Er
iſt immer auf eine zweideutige Art getrent von oder erhaben über ſeine
Zuſtände. Dazu kömt noch: die moraliſche Kraft in uns drängt ſich wie
eine ſchwellende Laubknoſpe, eben ſo gut nach Entfaltung, nach
Ausbruch als alle übrigen: entweder durch Thaten oder durch das 10
üppige Aufſchieſſen in Schriften. So würden wir, wenn wir politiſche
Freiheit genöſſen, nicht die geringſte Freude haben, über ſie zu
ſchreiben.
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Gegen dieſe gerade dem höchſten Enthuſiaſmus benachbarte Er-
ſchlaffung giebts zwei Stärkungsmittel, ein kleineres — das iſt das 15
Leſen fremder Werke, die uns dan deſto mehr überwältigen und die
wieder die Szenen in uns verlegen, die wir ſchreibend in fremde
Karaktere verlegten — und ein groſſes; das iſt fremdes Beiſpiel:
dieſes zieht almächtig in die Höhe und gerade einer, der ſich durch
Phantaſieren verdorben hat, müſte unter Engeln einer werden. 20
Und dieſes Beiſpiel giebſt du mir, mein Freund, und dafür habe dein
ſo vielen Aufopferungen blosgegebnes Herz Dank. Es preſſet mir
Thränen in die Augen, wenn ich mir dich einmal ganz glüklich denke
mit allen deinen Wünſchen und mit denen, die du ſchon aufgegeben —
ich habe mich oft mit den ausgemalten Träumen von der höchſten 25
reinſten Glükſeligkeit meiner Freunde (wie ichs jezt mit Herman thue)
erquikt und verwundet, aber ich bin trübe aufgewacht.
Die erſten 2 Seiten „über die Magie ꝛc.“ ſchreib’ ich um, wegen
ihrer Finſternis (nicht Dunkelheit) und wegen deiner Anmerkungen.
Ich habe aber nicht die Phantaſie verkörpert, wie du meinſt, ſondern 30
nur die Sinne vergeiſtigt und eben dadurch beide einander zugerücket:
denn auch bei den 5 Sinnen bildet ſich die Seele nach ihren eignen
Geſezen und mit ihrer Kraft allein, die SinnenEmpfindungen; die
Erſchütterung des SehNervens giebt dem Auge (oder Körper) nicht
mehr Antheil an der Geſichtsempfindung als die Erſchütterung der 35
Gehirnfiber, der Phantaſie bei der Erinnerung jener Geſichts-
empfindung nimt. Wie SinnenNerven zu den Empfindungen, ſo
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/96>, abgerufen am 21.11.2024.
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