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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959.

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mache, alles zu Zwek. "Wenn nur dieser Brief einmal geschrieben
"ist -- wenn nur dieser Monat und das und das vorüber ist: dan solt ihr
"sehen ob ich glüklich bin" -- so sag' ich nie: sondern zum Glük rechn'
ich eben Brief und Monat. So quäälest du dich ewig und suchst auf dem
Berg ein Thal, und da wieder einen Berg. Ernsthaft: schreibe ohne5
Quaal, aber dan so wie das erstemal, d. h. nicht blos Fakta; sende
mir nur wenigstens von deinem künftigen Werk einen Bogen;
ich schmachte nach deiner Philosophie. Du hast mir noch keinen
einzigen Brief beantwortet.

Lieber Heinrich! während deiner Klage über deinen Verlust hat ihn10
das Geschik verdoppelt und 2 Herzen unter die Erde verstekt, auch
deinen Schlosser, dessen Antike von Herz ich so gern an meines ge-
presset hätte. Ach wenn man Jahre genug hat und ein neues Herz[274]
findet, so ist der Gedanke einer der ersten, daß es bald erbleiche oder
unseres; und dan weis ich keinen Trost. Die Betrachtung, wie viele15
gezükte Schwerter über jedem geliebten Band der Seele schweben, solte
uns Flüchtlingen des Seins eine ganz höhere wehmüthigere Liebe geben
-- und doch lieben wir uns leider mehr wie Ewige als ewig. --

Einen Menschen nicht gesehen zu haben auf dieser von Todten
gebürgigen Erde, ist recht hart -- und unwiederbringlich; die Ewigkeit20
giebt die Leiche nicht zurük, nur etwas Verhültes. --

Das Gerücht von einer Eisenacher Braut ist nur eines; über mich
liefen schon viele dergl. Sie lügen, sagte Heinrich -- IV von den
Astrologen, so lange bis sie treffen; und so ists bei mir. In Hildburg-
hausen
fand ich in diesem Herbste meine, meine Seele; sie heisset25
Caroline v. Feuchtersleben. Schweige noch; ich thu' es jezt gegen
dich auch; ich habe dir zu viel zu sagen.

Neeb verschrieb ich mir; eine Ehre, die ich nur Kompendien,
Kanten, Fichten und dir (deinem Spinoza) anthat. -- Dein Brief an
Fichte ist für mich so kurz als wär' er an mich (Vergieb, Lieber, mein30
strenges Sprechen über Reinhold; die moralische Charade seines
Namens erkant' ich immer) Du gleichst nicht der Erde, wie sie dem
Mond erscheint, ewig unverrükt bleibend, sondern du steigst wie dieser
und erleuchtest dich und jene. Ich fand schöne Entwiklungen deiner
Lehre vom Allerheiligsten, zeugende Evoluzionen in Bonnets Sin. Nur35
2 Ding' hab' ich zu sagen. Gegen deinen Saz, daß die Objekte uns
vernünftig ordnen, hab' ich ausser dem was in der Abhandlung über

mache, alles zu Zwek. „Wenn nur dieſer Brief einmal geſchrieben
„iſt — wenn nur dieſer Monat und das und das vorüber iſt: dan ſolt ihr
„ſehen ob ich glüklich bin“ — ſo ſag’ ich nie: ſondern zum Glük rechn’
ich eben Brief und Monat. So quääleſt du dich ewig und ſuchſt auf dem
Berg ein Thal, und da wieder einen Berg. Ernſthaft: ſchreibe ohne5
Quaal, aber dan ſo wie das erſtemal, d. h. nicht blos Fakta; ſende
mir nur wenigſtens von deinem künftigen Werk einen Bogen;
ich ſchmachte nach deiner Philoſophie. Du haſt mir noch keinen
einzigen Brief beantwortet.

Lieber Heinrich! während deiner Klage über deinen Verluſt hat ihn10
das Geſchik verdoppelt und 2 Herzen unter die Erde verſtekt, auch
deinen Schloſſer, deſſen Antike von Herz ich ſo gern an meines ge-
preſſet hätte. Ach wenn man Jahre genug hat und ein neues Herz[274]
findet, ſo iſt der Gedanke einer der erſten, daß es bald erbleiche oder
unſeres; und dan weis ich keinen Troſt. Die Betrachtung, wie viele15
gezükte Schwerter über jedem geliebten Band der Seele ſchweben, ſolte
uns Flüchtlingen des Seins eine ganz höhere wehmüthigere Liebe geben
— und doch lieben wir uns leider mehr wie Ewige als ewig. —

Einen Menſchen nicht geſehen zu haben auf dieſer von Todten
gebürgigen Erde, iſt recht hart — und unwiederbringlich; die Ewigkeit20
giebt die Leiche nicht zurük, nur etwas Verhültes. —

Das Gerücht von einer Eisenacher Braut iſt nur eines; über mich
liefen ſchon viele dergl. Sie lügen, ſagte HeinrichIV von den
Aſtrologen, ſo lange bis ſie treffen; und ſo iſts bei mir. In Hildburg-
hausen
fand ich in dieſem Herbſte meine, meine Seele; ſie heiſſet25
Caroline v. Feuchtersleben. Schweige noch; ich thu’ es jezt gegen
dich auch; ich habe dir zu viel zu ſagen.

Neeb verſchrieb ich mir; eine Ehre, die ich nur Kompendien,
Kanten, Fichten und dir (deinem Spinoza) anthat. — Dein Brief an
Fichte iſt für mich ſo kurz als wär’ er an mich (Vergieb, Lieber, mein30
ſtrenges Sprechen über Reinhold; die moraliſche Charade ſeines
Namens erkant’ ich immer) Du gleichſt nicht der Erde, wie ſie dem
Mond erſcheint, ewig unverrükt bleibend, ſondern du ſteigſt wie dieſer
und erleuchteſt dich und jene. Ich fand ſchöne Entwiklungen deiner
Lehre vom Allerheiligſten, zeugende Evoluzionen in Bonnets Sin. Nur35
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[251/0267] mache, alles zu Zwek. „Wenn nur dieſer Brief einmal geſchrieben „iſt — wenn nur dieſer Monat und das und das vorüber iſt: dan ſolt ihr „ſehen ob ich glüklich bin“ — ſo ſag’ ich nie: ſondern zum Glük rechn’ ich eben Brief und Monat. So quääleſt du dich ewig und ſuchſt auf dem Berg ein Thal, und da wieder einen Berg. Ernſthaft: ſchreibe ohne 5 Quaal, aber dan ſo wie das erſtemal, d. h. nicht blos Fakta; ſende mir nur wenigſtens von deinem künftigen Werk einen Bogen; ich ſchmachte nach deiner Philoſophie. Du haſt mir noch keinen einzigen Brief beantwortet. Lieber Heinrich! während deiner Klage über deinen Verluſt hat ihn 10 das Geſchik verdoppelt und 2 Herzen unter die Erde verſtekt, auch deinen Schloſſer, deſſen Antike von Herz ich ſo gern an meines ge- preſſet hätte. Ach wenn man Jahre genug hat und ein neues Herz findet, ſo iſt der Gedanke einer der erſten, daß es bald erbleiche oder unſeres; und dan weis ich keinen Troſt. Die Betrachtung, wie viele 15 gezükte Schwerter über jedem geliebten Band der Seele ſchweben, ſolte uns Flüchtlingen des Seins eine ganz höhere wehmüthigere Liebe geben — und doch lieben wir uns leider mehr wie Ewige als ewig. — [274] Einen Menſchen nicht geſehen zu haben auf dieſer von Todten gebürgigen Erde, iſt recht hart — und unwiederbringlich; die Ewigkeit 20 giebt die Leiche nicht zurük, nur etwas Verhültes. — Das Gerücht von einer Eisenacher Braut iſt nur eines; über mich liefen ſchon viele dergl. Sie lügen, ſagte Heinrich — IV von den Aſtrologen, ſo lange bis ſie treffen; und ſo iſts bei mir. In Hildburg- hausen fand ich in dieſem Herbſte meine, meine Seele; ſie heiſſet 25 Caroline v. Feuchtersleben. Schweige noch; ich thu’ es jezt gegen dich auch; ich habe dir zu viel zu ſagen. Neeb verſchrieb ich mir; eine Ehre, die ich nur Kompendien, Kanten, Fichten und dir (deinem Spinoza) anthat. — Dein Brief an Fichte iſt für mich ſo kurz als wär’ er an mich (Vergieb, Lieber, mein 30 ſtrenges Sprechen über Reinhold; die moraliſche Charade ſeines Namens erkant’ ich immer) Du gleichſt nicht der Erde, wie ſie dem Mond erſcheint, ewig unverrükt bleibend, ſondern du ſteigſt wie dieſer und erleuchteſt dich und jene. Ich fand ſchöne Entwiklungen deiner Lehre vom Allerheiligſten, zeugende Evoluzionen in Bonnets Sin. Nur 35 2 Ding’ hab’ ich zu ſagen. Gegen deinen Saz, daß die Objekte uns vernünftig ordnen, hab’ ich auſſer dem was in der Abhandlung über

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:05:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:05:42Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/267>, abgerufen am 22.11.2024.