einer Tagsschrift besteht, wovon an jedem Januar 1 Blat von humo- ristischen Köpfen in Pestiz -- einem Con-Territorium des Titans -- geliefert wird.
Je weiter und tiefer ich wieder mit den philosophischen Land- streichern in ihre Minotaurus-Höhle hineingerathe und es merke, wie5 aus ihrem Ariadnens-Faden nur etwas zum Strangulieren zu stricken ist: desto mehr hass' ich das lahme, öde, genielose Volk. Du kanst es nicht verantworten, Heinrich, wenn du -- da dein Triumphbogen mit seinen Füssen in 2 Welten steht -- diese Stellung nicht mehr benuzest und nicht deine Lampen daran anzündest, zu deiner Ehre und zu10 fremder Erleuchtung. -- Dein ganzer Dekalogus heisset blos: schreibe! --
-- an mich auch!*) Das ist ein opus supererogationis. Die Jesuiten beriefen sich bei Palafox für irgend etwas auf ein Privilegium, sagten aber, sie hätten eines, jenes nicht zu zeigen -- und dan wieder ein15 drittes, das zweite nicht zu zeigen u. s. fort. Von dir bekam ich bisher -- fast bis zur 4ten Potenz -- Versprechungen von Versprechungen der Versprechungen, daß du mir wohl antworten würdest.
-- -- Höre! Für die mathematischen Unendlichkeiten -- die in der Optik, in der Lehre von Hohlspiegeln, am Ende schon in der Quadrat-20 wurzel der 2 gegeben sind etc. -- giebts keine metaphysische Auflösung. Nim einen unendlich grossen Spiegel und noch einen -- aber bei der unendlichen Theilbarkeit reichen 2 endliche zu -- jeder repetiert die Gallerie des andern, dieser sich und das Repetierwerk, jener das Repe- tierwerk des Rep., dieser das R. des R. des R. -- kurz eine Unendlich-25 keit von Unendlichkeiten. Wären diese nicht wirklich, sondern in der Vernunft, welche Systeme würde[n] die hohlen Anagrammatiker der [290]Natur in diese werfen! Der Teufel hohle das Volk, und ich wolte, ich könte jenen spielen! -- Lebe wohl, Heinrich! Grüsse! -- Schreibe! --
Herder (der jezt die Urtheilskraft K[ants] kritisiert, wo er mehr30 Spielraum für seine Kräfte hat) möchte wissen, was Gerstenberg von meinen Sachen hält; für diesen, meint er, wären sie.
*) In solcher Ferne mus man immer einen Sekundawechsel senden: hast du meinen Brief vom 4 Okt./ 11 Nov. bekommen? -- Deine Antwort vom etc. hab' ich noch nicht.35
einer Tagsſchrift beſteht, wovon an jedem Januar 1 Blat von humo- riſtiſchen Köpfen in Peſtiz — einem Con-Territorium des Titans — geliefert wird.
Je weiter und tiefer ich wieder mit den philoſophiſchen Land- ſtreichern in ihre Minotaurus-Höhle hineingerathe und es merke, wie5 aus ihrem Ariadnens-Faden nur etwas zum Strangulieren zu ſtricken iſt: deſto mehr haſſ’ ich das lahme, öde, genieloſe Volk. Du kanſt es nicht verantworten, Heinrich, wenn du — da dein Triumphbogen mit ſeinen Füſſen in 2 Welten ſteht — dieſe Stellung nicht mehr benuzeſt und nicht deine Lampen daran anzündeſt, zu deiner Ehre und zu10 fremder Erleuchtung. — Dein ganzer Dekalogus heiſſet blos: ſchreibe! —
— an mich auch!*) Das iſt ein opus supererogationis. Die Jeſuiten beriefen ſich bei Palafox für irgend etwas auf ein Privilegium, ſagten aber, ſie hätten eines, jenes nicht zu zeigen — und dan wieder ein15 drittes, das zweite nicht zu zeigen u. ſ. fort. Von dir bekam ich bisher — faſt bis zur 4ten Potenz — Verſprechungen von Verſprechungen der Verſprechungen, daß du mir wohl antworten würdeſt.
— — Höre! Für die mathematiſchen Unendlichkeiten — die in der Optik, in der Lehre von Hohlſpiegeln, am Ende ſchon in der Quadrat-20 wurzel der 2 gegeben ſind ꝛc. — giebts keine metaphyſiſche Auflöſung. Nim einen unendlich groſſen Spiegel und noch einen — aber bei der unendlichen Theilbarkeit reichen 2 endliche zu — jeder repetiert die Gallerie des andern, dieſer ſich und das Repetierwerk, jener das Repe- tierwerk des Rep., dieſer das R. des R. des R. — kurz eine Unendlich-25 keit von Unendlichkeiten. Wären dieſe nicht wirklich, ſondern in der Vernunft, welche Syſteme würde[n] die hohlen Anagrammatiker der [290]Natur in dieſe werfen! Der Teufel hohle das Volk, und ich wolte, ich könte jenen ſpielen! — Lebe wohl, Heinrich! Grüſſe! — Schreibe! —
Herder (der jezt die Urtheilskraft K[ants] kritiſiert, wo er mehr30 Spielraum für ſeine Kräfte hat) möchte wiſſen, was Gerstenberg von meinen Sachen hält; für dieſen, meint er, wären ſie.
*) In ſolcher Ferne mus man immer einen Sekundawechſel ſenden: haſt du meinen Brief vom 4 Okt./ 11 Nov. bekommen? — Deine Antwort vom ꝛc. hab’ ich noch nicht.35
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[266/0282]
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geliefert wird.
Je weiter und tiefer ich wieder mit den philoſophiſchen Land-
ſtreichern in ihre Minotaurus-Höhle hineingerathe und es merke, wie 5
aus ihrem Ariadnens-Faden nur etwas zum Strangulieren zu ſtricken
iſt: deſto mehr haſſ’ ich das lahme, öde, genieloſe Volk. Du kanſt es
nicht verantworten, Heinrich, wenn du — da dein Triumphbogen mit
ſeinen Füſſen in 2 Welten ſteht — dieſe Stellung nicht mehr benuzeſt
und nicht deine Lampen daran anzündeſt, zu deiner Ehre und zu 10
fremder Erleuchtung. — Dein ganzer Dekalogus heiſſet blos:
ſchreibe! —
— an mich auch! *) Das iſt ein opus supererogationis. Die Jeſuiten
beriefen ſich bei Palafox für irgend etwas auf ein Privilegium, ſagten
aber, ſie hätten eines, jenes nicht zu zeigen — und dan wieder ein 15
drittes, das zweite nicht zu zeigen u. ſ. fort. Von dir bekam ich bisher
— faſt bis zur 4ten Potenz — Verſprechungen von Verſprechungen
der Verſprechungen, daß du mir wohl antworten würdeſt.
— — Höre! Für die mathematiſchen Unendlichkeiten — die in der
Optik, in der Lehre von Hohlſpiegeln, am Ende ſchon in der Quadrat- 20
wurzel der 2 gegeben ſind ꝛc. — giebts keine metaphyſiſche Auflöſung.
Nim einen unendlich groſſen Spiegel und noch einen — aber bei der
unendlichen Theilbarkeit reichen 2 endliche zu — jeder repetiert die
Gallerie des andern, dieſer ſich und das Repetierwerk, jener das Repe-
tierwerk des Rep., dieſer das R. des R. des R. — kurz eine Unendlich- 25
keit von Unendlichkeiten. Wären dieſe nicht wirklich, ſondern in der
Vernunft, welche Syſteme würde[n] die hohlen Anagrammatiker der
Natur in dieſe werfen! Der Teufel hohle das Volk, und ich wolte, ich
könte jenen ſpielen! — Lebe wohl, Heinrich! Grüſſe! — Schreibe! —
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Herder (der jezt die Urtheilskraft K[ants] kritiſiert, wo er mehr 30
Spielraum für ſeine Kräfte hat) möchte wiſſen, was Gerstenberg von
meinen Sachen hält; für dieſen, meint er, wären ſie.
*) In ſolcher Ferne mus man immer einen Sekundawechſel ſenden: haſt du
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ich noch nicht. 35
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/282>, abgerufen am 17.06.2024.
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