schikte mir und Herder seine Archimetria zu (gegen die heutige Philosophie) und redet mich im deutschen Präambulum an. -- Die Berliner Zensur verbot dem Leichenprediger des Fürstenmagens die Kanzel; er besteigt sie aber mit der Predigt in Erfurt, wo ich den Clavis Fichtiana seu Leibgeberiana drucken lasse (nach Verhältnis5 des weiten Druks fast 7 Ld. pr. Bogen), weil man mirs hier und Jakobi mir gar gerathen, es 2mal, 1. im Titan, 2. besonders, mit Zusäzen, zu geben, was geschehen kan.*) Der freieste Umris des her- lichen beinahe durch den Mittelpunkt des Geisterglobus durchgraben- den Fichte ist gar noch nicht gegeben und bekant; aus der "Appellazion"10 ist nur Misverstand zu holen, und ohne Kentnis des spinoz. und kritischen Systems ist kein Wort von ihm zu fassen. -- Herders Metakritik verliert gegen den leeren Syllogismus; aber sein Geist, ohne Worte gewogen, hat mehr Recht als die Kantianer fassen, ob er gleich auf jedem Bogen, wegen seines Mangels an philosophischer15 Reflexion und Abstrakzion, zu bekriegen ist. -- Man dingt ihm mühsam einen Saz ab. Bei der Edizion seines "Gott" wunderte er sich, daß die geschriebnen Anmerkungen seiner mir immer mehr liebern [!] Frau**) mit meinen zusammenträfen; -- der Gute! Ich wolte schwören, sie hat[310] ihre nach meinen geschnitten, um ihn eher aus Sorge für seinen20 Lorbeer, zur Rüksicht auf meine zu bereden. -- Der 1 Band des Titans ist schon abgedrukt, in 3 Ausgaben.
d. 27. J. d. 30 J.25
Heute verhoft ich von Emanuel eine Antwort, von dir eine Frage. Ich bin entsezlich in epistolarische Geschäfte u. a. verschlungen. Wegen
*) Ich thu' es nicht; es erscheint vergrössert in Erfurt.
**) Für mich die erste Erscheinung einer Freundin; da jede frühere eine leichtere Beimischung hatte. Ein elsassisches Feuer -- Voreiligkeit -- Kraft -- Muth -- doch politische Rüksichten -- Nachgiebigkeit und Auffahren gegen den Man --30 mit unwiderleglichen Vorurtheilen und Härten gegen Einige -- und eine vollendete Mutter -- weich für jede Rührung, besonders die mütterliche. -- Solche Widersprüche fand ich in der menschlichen Natur so oft -- z. B. weiblichen Zynismus der dir den Arm giebt aber nicht den Finger--Nagel. Und daher schliess ich selten wie du aus Kleinigkeiten. z. B. dein Schlus aus dem jüdischen35 Brief (ich habe ihnen geschrieben) von der Unterscheidung zwischen aufgeklärten und aufklärenden Jahrhunderten auf Rabinismus ist falsch, denn der Ausdruk ist aus meinen biographischen Belustigungen.
ſchikte mir und Herder ſeine Archimetria zu (gegen die heutige Philoſophie) und redet mich im deutſchen Präambulum an. — Die Berliner Zenſur verbot dem Leichenprediger des Fürſtenmagens die Kanzel; er beſteigt ſie aber mit der Predigt in Erfurt, wo ich den Clavis Fichtiana seu Leibgeberiana drucken laſſe (nach Verhältnis5 des weiten Druks faſt 7 Ld. pr. Bogen), weil man mirs hier und Jakobi mir gar gerathen, es 2mal, 1. im Titan, 2. beſonders, mit Zuſäzen, zu geben, was geſchehen kan.*) Der freieſte Umris des her- lichen beinahe durch den Mittelpunkt des Geiſterglobus durchgraben- den Fichte iſt gar noch nicht gegeben und bekant; aus der „Appellazion“10 iſt nur Misverſtand zu holen, und ohne Kentnis des ſpinoz. und kritiſchen Syſtems iſt kein Wort von ihm zu faſſen. — Herders Metakritik verliert gegen den leeren Syllogiſmus; aber ſein Geiſt, ohne Worte gewogen, hat mehr Recht als die Kantianer faſſen, ob er gleich auf jedem Bogen, wegen ſeines Mangels an philoſophiſcher15 Reflexion und Abſtrakzion, zu bekriegen iſt. — Man dingt ihm mühſam einen Saz ab. Bei der Edizion ſeines „Gott“ wunderte er ſich, daß die geſchriebnen Anmerkungen ſeiner mir immer mehr liebern [!] Frau**) mit meinen zuſammenträfen; — der Gute! Ich wolte ſchwören, ſie hat[310] ihre nach meinen geſchnitten, um ihn eher aus Sorge für ſeinen20 Lorbeer, zur Rükſicht auf meine zu bereden. — Der 1 Band des Titans iſt ſchon abgedrukt, in 3 Ausgaben.
d. 27. J. d. 30 J.25
Heute verhoft ich von Emanuel eine Antwort, von dir eine Frage. Ich bin entſezlich in epiſtolariſche Geſchäfte u. a. verſchlungen. Wegen
*) Ich thu’ es nicht; es erſcheint vergröſſert in Erfurt.
**) Für mich die erſte Erſcheinung einer Freundin; da jede frühere eine leichtere Beimiſchung hatte. Ein elſaſſiſches Feuer — Voreiligkeit — Kraft — Muth — doch politiſche Rükſichten — Nachgiebigkeit und Auffahren gegen den Man —30 mit unwiderleglichen Vorurtheilen und Härten gegen Einige — und eine vollendete Mutter — weich für jede Rührung, beſonders die mütterliche. — Solche Widerſprüche fand ich in der menſchlichen Natur ſo oft — z. B. weiblichen Zyniſmus der dir den Arm giebt aber nicht den Finger—Nagel. Und daher ſchlieſſ ich ſelten wie du aus Kleinigkeiten. z. B. dein Schlus aus dem jüdiſchen35 Brief (ich habe ihnen geſchrieben) von der Unterſcheidung zwiſchen aufgeklärten und aufklärenden Jahrhunderten auf Rabiniſmus iſt falſch, denn der Ausdruk iſt aus meinen biographiſchen Beluſtigungen.
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ſchikte mir und Herder ſeine Archimetria zu (gegen die heutige
Philoſophie) und redet mich im deutſchen Präambulum an. — Die
Berliner Zenſur verbot dem Leichenprediger des Fürſtenmagens die
Kanzel; er beſteigt ſie aber mit der Predigt in Erfurt, wo ich den
Clavis Fichtiana seu Leibgeberiana drucken laſſe (nach Verhältnis 5
des weiten Druks faſt 7 Ld. pr. Bogen), weil man mirs hier und
Jakobi mir gar gerathen, es 2mal, 1. im Titan, 2. beſonders, mit
Zuſäzen, zu geben, was geſchehen kan. *) Der freieſte Umris des her-
lichen beinahe durch den Mittelpunkt des Geiſterglobus durchgraben-
den Fichte iſt gar noch nicht gegeben und bekant; aus der „Appellazion“ 10
iſt nur Misverſtand zu holen, und ohne Kentnis des ſpinoz. und
kritiſchen Syſtems iſt kein Wort von ihm zu faſſen. — Herders
Metakritik verliert gegen den leeren Syllogiſmus; aber ſein Geiſt,
ohne Worte gewogen, hat mehr Recht als die Kantianer faſſen, ob er
gleich auf jedem Bogen, wegen ſeines Mangels an philoſophiſcher 15
Reflexion und Abſtrakzion, zu bekriegen iſt. — Man dingt ihm mühſam
einen Saz ab. Bei der Edizion ſeines „Gott“ wunderte er ſich, daß die
geſchriebnen Anmerkungen ſeiner mir immer mehr liebern [!] Frau **)
mit meinen zuſammenträfen; — der Gute! Ich wolte ſchwören, ſie hat
ihre nach meinen geſchnitten, um ihn eher aus Sorge für ſeinen 20
Lorbeer, zur Rükſicht auf meine zu bereden. — Der 1 Band des
Titans iſt ſchon abgedrukt, in 3 Ausgaben.
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d. 30 J. 25
Heute verhoft ich von Emanuel eine Antwort, von dir eine Frage.
Ich bin entſezlich in epiſtolariſche Geſchäfte u. a. verſchlungen. Wegen
*) Ich thu’ es nicht; es erſcheint vergröſſert in Erfurt.
**) Für mich die erſte Erſcheinung einer Freundin; da jede frühere eine leichtere
Beimiſchung hatte. Ein elſaſſiſches Feuer — Voreiligkeit — Kraft — Muth —
doch politiſche Rükſichten — Nachgiebigkeit und Auffahren gegen den Man — 30
mit unwiderleglichen Vorurtheilen und Härten gegen Einige — und eine
vollendete Mutter — weich für jede Rührung, beſonders die mütterliche. —
Solche Widerſprüche fand ich in der menſchlichen Natur ſo oft — z. B. weiblichen
Zyniſmus der dir den Arm giebt aber nicht den Finger—Nagel. Und daher
ſchlieſſ ich ſelten wie du aus Kleinigkeiten. z. B. dein Schlus aus dem jüdiſchen 35
Brief (ich habe ihnen geſchrieben) von der Unterſcheidung zwiſchen aufgeklärten
und aufklärenden Jahrhunderten auf Rabiniſmus iſt falſch, denn der Ausdruk
iſt aus meinen biographiſchen Beluſtigungen.
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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/301>, abgerufen am 26.06.2024.
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