Bl. 45.m.Der alte Man sagt -- wenigstens soviel hier zu lesen ist -- wie es scheint, nur daß wir in die physischen Schönheiten mo- ralische Reflexe bringen, aber nicht, daß sie uns blos dieser Reflexe wegen gefallen; und jenes mit Recht, da ja die Natur in einer ewigen Menschwerdung vor uns steht -- was Sie selber schon5 genug erwiesen haben.
Bl. 12.unten auf der andern Seite: J. P. -- Diese Stelle bedarf gar keiner Verbesserung; ich fand sie vortreflich. -- Aber ernsthaft! Ich erschrak freudig über diesen Lorbeer, der nicht auf dem Grabe sondern auf dem Parnas eines Virgils mir in die Hände wuchs.10 Ob ich gleich in diesem Quartet oder 4 poetischen Jahrszeiten nur den Winter vorstelle: so dank' ich doch herzlich dem gütigen Freunde der mich so unerwartet und so liebend-freigebig in diesen Zyklus eingereihet. --
Und mit tausend andern sag ich den gemeinschaftlichen Dank15 für alles was ich in dieser Ihrer jüngsten Welt gelernt und genossen habe.
R.
406. An Renate Otto.
Weimar d. 28 Feb. 1800.
Meine gute Renate weis schon, daß gegen Matthias in der Nähe20 Ihres [!] Geburtstages jedes Eis aufgeht. Aber dasmal war bei mir keines angesezt. Da Sie bei der Menge Ihrer Geschäfte gar nicht schreiben; so werden Sie es gewis entschuldigen, daß ein anderer bei einer noch grösseren nur selten schreibt.
[322]Liebe Seele! ich bin oft in Ihrer Stube und höre die lebendige25 Paulline und sehe die kleinere Nebenschwester mit ihren grossen heiligen Augen. Und gerade da, wo ich Sie sonst nie besuchte, um 1--2 Uhr Nach- mittags erschein' ich jezt, weil ich da den Koffer vol Briefe aufmache und so jeden Tag den Weg der Vergangenheit zurükmache oder zurüklese. Da begegnen wir uns oft, die mondhellen Stunden des30 Sonabends ziehen wieder vorüber und ich fühle wieder, daß wir nicht geschieden sind -- nein, liebe Renate, und wenn wir auch lange schweigen.
Otto wird Ihnen das edle Wesen nun genant haben, mit dem ich freudig durch das Leben gehe. Hat er es noch nicht gethan, so begehren35 Sie es in meinem Namen von ihm.
Bl. 45.m.Der alte Man ſagt — wenigſtens ſoviel hier zu leſen iſt — wie es ſcheint, nur daß wir in die phyſiſchen Schönheiten mo- raliſche Reflexe bringen, aber nicht, daß ſie uns blos dieſer Reflexe wegen gefallen; und jenes mit Recht, da ja die Natur in einer ewigen Menſchwerdung vor uns ſteht — was Sie ſelber ſchon5 genug erwieſen haben.
Bl. 12.unten auf der andern Seite: J. P. — Dieſe Stelle bedarf gar keiner Verbeſſerung; ich fand ſie vortreflich. — Aber ernſthaft! Ich erſchrak freudig über dieſen Lorbeer, der nicht auf dem Grabe ſondern auf dem Parnas eines Virgils mir in die Hände wuchs.10 Ob ich gleich in dieſem Quartet oder 4 poetiſchen Jahrszeiten nur den Winter vorſtelle: ſo dank’ ich doch herzlich dem gütigen Freunde der mich ſo unerwartet und ſo liebend-freigebig in dieſen Zyklus eingereihet. —
Und mit tauſend andern ſag ich den gemeinſchaftlichen Dank15 für alles was ich in dieſer Ihrer jüngſten Welt gelernt und genoſſen habe.
R.
406. An Renate Otto.
Weimar d. 28 Feb. 1800.
Meine gute Renate weis ſchon, daß gegen Matthias in der Nähe20 Ihres [!] Geburtstages jedes Eis aufgeht. Aber dasmal war bei mir keines angeſezt. Da Sie bei der Menge Ihrer Geſchäfte gar nicht ſchreiben; ſo werden Sie es gewis entſchuldigen, daß ein anderer bei einer noch gröſſeren nur ſelten ſchreibt.
[322]Liebe Seele! ich bin oft in Ihrer Stube und höre die lebendige25 Paulline und ſehe die kleinere Nebenſchweſter mit ihren groſſen heiligen Augen. Und gerade da, wo ich Sie ſonſt nie beſuchte, um 1—2 Uhr Nach- mittags erſchein’ ich jezt, weil ich da den Koffer vol Briefe aufmache und ſo jeden Tag den Weg der Vergangenheit zurükmache oder zurükleſe. Da begegnen wir uns oft, die mondhellen Stunden des30 Sonabends ziehen wieder vorüber und ich fühle wieder, daß wir nicht geſchieden ſind — nein, liebe Renate, und wenn wir auch lange ſchweigen.
Otto wird Ihnen das edle Weſen nun genant haben, mit dem ich freudig durch das Leben gehe. Hat er es noch nicht gethan, ſo begehren35 Sie es in meinem Namen von ihm.
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wegen gefallen; und jenes mit Recht, da ja die Natur in einer
ewigen Menſchwerdung vor uns ſteht — was Sie ſelber ſchon 5
genug erwieſen haben.
Bl. 12.unten auf der andern Seite: J. P. — Dieſe Stelle bedarf gar
keiner Verbeſſerung; ich fand ſie vortreflich. — Aber ernſthaft!
Ich erſchrak freudig über dieſen Lorbeer, der nicht auf dem Grabe
ſondern auf dem Parnas eines Virgils mir in die Hände wuchs. 10
Ob ich gleich in dieſem Quartet oder 4 poetiſchen Jahrszeiten nur
den Winter vorſtelle: ſo dank’ ich doch herzlich dem gütigen Freunde
der mich ſo unerwartet und ſo liebend-freigebig in dieſen Zyklus
eingereihet. —
Und mit tauſend andern ſag ich den gemeinſchaftlichen Dank 15
für alles was ich in dieſer Ihrer jüngſten Welt gelernt und genoſſen
habe.
R.
406. An Renate Otto.
Weimar d. 28 Feb. 1800.
Meine gute Renate weis ſchon, daß gegen Matthias in der Nähe 20
Ihres [!] Geburtstages jedes Eis aufgeht. Aber dasmal war bei mir
keines angeſezt. Da Sie bei der Menge Ihrer Geſchäfte gar nicht
ſchreiben; ſo werden Sie es gewis entſchuldigen, daß ein anderer bei
einer noch gröſſeren nur ſelten ſchreibt.
Liebe Seele! ich bin oft in Ihrer Stube und höre die lebendige 25
Paulline und ſehe die kleinere Nebenſchweſter mit ihren groſſen heiligen
Augen. Und gerade da, wo ich Sie ſonſt nie beſuchte, um 1—2 Uhr Nach-
mittags erſchein’ ich jezt, weil ich da den Koffer vol Briefe aufmache
und ſo jeden Tag den Weg der Vergangenheit zurükmache oder
zurükleſe. Da begegnen wir uns oft, die mondhellen Stunden des 30
Sonabends ziehen wieder vorüber und ich fühle wieder, daß wir nicht
geſchieden ſind — nein, liebe Renate, und wenn wir auch lange
ſchweigen.
[322]
Otto wird Ihnen das edle Weſen nun genant haben, mit dem ich
freudig durch das Leben gehe. Hat er es noch nicht gethan, ſo begehren 35
Sie es in meinem Namen von ihm.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/312>, abgerufen am 18.06.2024.
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