ihr so seit 3/4 Jahr lang schuldig bin. Auch gieb auf die Post einen Brief an mich von dir. Guter, du schweigst meinem Herzen zu lange. Aus Berlin schrieb ich dir auch. --
Schellings transßendentaler Idealismus ist ein Meisterstük von Scharfsin, das man mit eben so viel Freude als Erbossung lieset;5 leztere darüber, weil er sich die Evakuazion und Schöpfung des Wirk- lichen immer leichter macht, je zusammengesezter er es findet, z. B. die Organisazion. Du must es lesen. Herder ist trübe über die Zeit, über Weimar, sich und alles. Seine Sehnsucht strebt nach einem akademischen Amte, wo er sein Altarlicht vor Jünglingen leuchten10 lassen kan. Der Graf Münster sagte mir von deiner Verbindung mit dem neuen Kieler Kanzler -- mache das "Und so weiter". --
d. 30. Jul.
Nim mit diesem Briefgen vorlieb; der Aufsaz ist ein längeres. Die Lustzeit in Berlin hat mir viel Arbeitstage aufgehäuft.15
Fichte ist sehr zornig über den Clavis; aber nach Herders Ausdruk fand der Clavis viele Löcher in Jena.
Ich sehne mich unendlich nach deiner Rede, nach den Nachrichten deiner Gesundheit und deines Lebens. Liebe mich fort und lebe wohl, mein Heinrich!20
Grüsse deine Liebenden.
Richter
495. An Gräfin Moltke.[384]
[Kopie][Weimar, 30. Juli 1800]
Wären Sie in Amerika, so schrieb' ich nicht; da ich aber nach25 B[erlin] gehe und also jezt nähere Hofnung habe Sie zu sehen: so wag' ichs meinen Wunsch der Leipziger Tage durch Schreiben wieder reger zu machen -- das Nachträumen des Leipziger 3tägigen Trau- mes. Das Leben geb' Ihnen seine Abende nie ohne Abendsterne.
496. An Böttiger.30
[Weimar, Ende Juli oder 1. Aug. 1800]
Vielen Dank für Alles! Herdern, bitt' ich Sie, verhehlen Sie das giftige Mancherlei, eine ganze Monstranz vol vergifteter Hostien, von Rezensionen, fremden alten Angriffen und einem widerrechtlich
ihr ſo ſeit ¾ Jahr lang ſchuldig bin. Auch gieb auf die Poſt einen Brief an mich von dir. Guter, du ſchweigſt meinem Herzen zu lange. Aus Berlin ſchrieb ich dir auch. —
Schellings transſzendentaler Idealiſmus iſt ein Meiſterſtük von Scharfſin, das man mit eben ſo viel Freude als Erboſſung lieſet;5 leztere darüber, weil er ſich die Evakuazion und Schöpfung des Wirk- lichen immer leichter macht, je zuſammengeſezter er es findet, z. B. die Organiſazion. Du muſt es leſen. Herder iſt trübe über die Zeit, über Weimar, ſich und alles. Seine Sehnſucht ſtrebt nach einem akademiſchen Amte, wo er ſein Altarlicht vor Jünglingen leuchten10 laſſen kan. Der Graf Münſter ſagte mir von deiner Verbindung mit dem neuen Kieler Kanzler — mache das „Und ſo weiter“. —
d. 30. Jul.
Nim mit dieſem Briefgen vorlieb; der Aufſaz iſt ein längeres. Die Luſtzeit in Berlin hat mir viel Arbeitstage aufgehäuft.15
Fichte iſt ſehr zornig über den Clavis; aber nach Herders Ausdruk fand der Clavis viele Löcher in Jena.
Ich ſehne mich unendlich nach deiner Rede, nach den Nachrichten deiner Geſundheit und deines Lebens. Liebe mich fort und lebe wohl, mein Heinrich!20
Grüſſe deine Liebenden.
Richter
495. An Gräfin Moltke.[384]
[Kopie][Weimar, 30. Juli 1800]
Wären Sie in Amerika, ſo ſchrieb’ ich nicht; da ich aber nach25 B[erlin] gehe und alſo jezt nähere Hofnung habe Sie zu ſehen: ſo wag’ ichs meinen Wunſch der Leipziger Tage durch Schreiben wieder reger zu machen — das Nachträumen des Leipziger 3tägigen Trau- mes. Das Leben geb’ Ihnen ſeine Abende nie ohne Abendſterne.
496. An Böttiger.30
[Weimar, Ende Juli oder 1. Aug. 1800]
Vielen Dank für Alles! Herdern, bitt’ ich Sie, verhehlen Sie das giftige Mancherlei, eine ganze Monſtranz vol vergifteter Hoſtien, von Rezenſionen, fremden alten Angriffen und einem widerrechtlich
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[357/0377]
ihr ſo ſeit ¾ Jahr lang ſchuldig bin. Auch gieb auf die Poſt einen
Brief an mich von dir. Guter, du ſchweigſt meinem Herzen zu lange.
Aus Berlin ſchrieb ich dir auch. —
Schellings transſzendentaler Idealiſmus iſt ein Meiſterſtük von
Scharfſin, das man mit eben ſo viel Freude als Erboſſung lieſet; 5
leztere darüber, weil er ſich die Evakuazion und Schöpfung des Wirk-
lichen immer leichter macht, je zuſammengeſezter er es findet, z. B.
die Organiſazion. Du muſt es leſen. Herder iſt trübe über die Zeit,
über Weimar, ſich und alles. Seine Sehnſucht ſtrebt nach einem
akademiſchen Amte, wo er ſein Altarlicht vor Jünglingen leuchten 10
laſſen kan. Der Graf Münſter ſagte mir von deiner Verbindung mit
dem neuen Kieler Kanzler — mache das „Und ſo weiter“. —
d. 30. Jul.
Nim mit dieſem Briefgen vorlieb; der Aufſaz iſt ein längeres. Die
Luſtzeit in Berlin hat mir viel Arbeitstage aufgehäuft. 15
Fichte iſt ſehr zornig über den Clavis; aber nach Herders Ausdruk
fand der Clavis viele Löcher in Jena.
Ich ſehne mich unendlich nach deiner Rede, nach den Nachrichten
deiner Geſundheit und deines Lebens. Liebe mich fort und lebe wohl,
mein Heinrich! 20
Grüſſe deine Liebenden.
Richter
495. An Gräfin Moltke.
[Weimar, 30. Juli 1800]
Wären Sie in Amerika, ſo ſchrieb’ ich nicht; da ich aber nach 25
B[erlin] gehe und alſo jezt nähere Hofnung habe Sie zu ſehen: ſo
wag’ ichs meinen Wunſch der Leipziger Tage durch Schreiben wieder
reger zu machen — das Nachträumen des Leipziger 3tägigen Trau-
mes. Das Leben geb’ Ihnen ſeine Abende nie ohne Abendſterne.
496. An Böttiger. 30
[Weimar, Ende Juli oder 1. Aug. 1800]
Vielen Dank für Alles! Herdern, bitt’ ich Sie, verhehlen Sie das
giftige Mancherlei, eine ganze Monſtranz vol vergifteter Hoſtien,
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/377>, abgerufen am 16.06.2024.
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