Schreibe mir doch unendlich mehr von dir und deiner Lage. -- 8 Tage versas ich in Gotha. -- Nächstens mehr oder vielmehr etwas. -- Mein Entschlus über die Lossagung von C. steht doch fest. Du irrest, wenn du sie blos Fremden zuschreibst. -- Erwiedere Amönens Grus. -- Himmel! schreibe mir viel. -- Weimar ekelt mich. -- Wahrschein-5 lich zieh' ich 1 Monat nach Rudolstadt zur Liebmanfür Geld; sie haben meine Pathin Klotilde taufen lassen.
Lebe wohl, Alter Guter!
R.
Meinen theuern Emanuel grüsse.10
Warlich ich bin heiter. Solche Schmerzen wie du in Hof in mir sahest, finden keinen Weg mehr in die alte Seele, die ausgebrant und durchgearbeitet ist.
[389]503. An Friedrich von Oertel in Belgershain.
[Kopie][Weimar, 12. Aug. 1800]15
100 mal fang' ich Briefe mit dem Datum an und sage nichts weiter. Dein gediegner helpolierter Styl etc. machen mein Lob zu ihrem und dadurch wieder zu meinem. -- Weimar ist eine abgebrante Stadt, auf deren heisser Asche ich noch schlafe. Jede Stadt scheint mir vor dem Auszug eben so verkohlt. Die Poesie erbeutet bei dieser Völkerwande-20 rung durch Oerter und Herzen; aber das Herz [wird] ein armer emigre; ich wolt' ich wär' ein refugie in meiner Hochzeitstube. Wie ausgebrant und brennend, leichtsinnig und traurig, stoisch, poetisch, sat[irisch,] liebend, kalt, kek, sanft, weich etc. meine Seele jezt ist und besonders in welchen Mischungen das alles miteinander -- dazu25 werd' ich schwerlich einen biographischen Karakter finden, um es an den Tag zu bringen, es müste denn mein eigner sein in meiner Selbst- biographie. Nun werden Roste geheizt und Physiognomien von mir verfertigt, um sie darauf gahr zu braten. Wehmuth der Aeolsharfe schwimt auf langen Wogen.30
504. An Karoline von Feuchtersleben.
[Kopie][Weimar, 15. Aug. 1800]
-- daß ich Recht habe und Recht thue. Eine grosse Stadt, zumal ihr Winter wäre für dich ein Karlsbad.
Schreibe mir doch unendlich mehr von dir und deiner Lage. — 8 Tage verſas ich in Gotha. — Nächſtens mehr oder vielmehr etwas. — Mein Entſchlus über die Losſagung von C. ſteht doch feſt. Du irreſt, wenn du ſie blos Fremden zuſchreibſt. — Erwiedere Amönens Grus. — Himmel! ſchreibe mir viel. — Weimar ekelt mich. — Wahrſchein-5 lich zieh’ ich 1 Monat nach Rudolstadt zur Liebmanfür Geld; ſie haben meine Pathin Klotilde taufen laſſen.
Lebe wohl, Alter Guter!
R.
Meinen theuern Emanuel grüſſe.10
Warlich ich bin heiter. Solche Schmerzen wie du in Hof in mir ſaheſt, finden keinen Weg mehr in die alte Seele, die ausgebrant und durchgearbeitet iſt.
[389]503. An Friedrich von Oertel in Belgershain.
[Kopie][Weimar, 12. Aug. 1800]15
100 mal fang’ ich Briefe mit dem Datum an und ſage nichts weiter. Dein gediegner helpolierter Styl ꝛc. machen mein Lob zu ihrem und dadurch wieder zu meinem. — Weimar iſt eine abgebrante Stadt, auf deren heiſſer Aſche ich noch ſchlafe. Jede Stadt ſcheint mir vor dem Auszug eben ſo verkohlt. Die Poeſie erbeutet bei dieſer Völkerwande-20 rung durch Oerter und Herzen; aber das Herz [wird] ein armer emigré; ich wolt’ ich wär’ ein réfugié in meiner Hochzeitſtube. Wie ausgebrant und brennend, leichtſinnig und traurig, ſtoiſch, poetiſch, ſat[iriſch,] liebend, kalt, kek, ſanft, weich ꝛc. meine Seele jezt iſt und beſonders in welchen Miſchungen das alles miteinander — dazu25 werd’ ich ſchwerlich einen biographiſchen Karakter finden, um es an den Tag zu bringen, es müſte denn mein eigner ſein in meiner Selbſt- biographie. Nun werden Roſte geheizt und Phyſiognomien von mir verfertigt, um ſie darauf gahr zu braten. Wehmuth der Aeolsharfe ſchwimt auf langen Wogen.30
504. An Karoline von Feuchtersleben.
[Kopie][Weimar, 15. Aug. 1800]
— daß ich Recht habe und Recht thue. Eine groſſe Stadt, zumal ihr Winter wäre für dich ein Karlsbad.
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Mein Entſchlus über die Losſagung von C. ſteht doch feſt. Du irreſt,
wenn du ſie blos Fremden zuſchreibſt. — Erwiedere Amönens Grus.
— Himmel! ſchreibe mir viel. — Weimar ekelt mich. — Wahrſchein- 5
lich zieh’ ich 1 Monat nach Rudolstadt zur Liebman für Geld;
ſie haben meine Pathin Klotilde taufen laſſen.
Lebe wohl, Alter Guter!
R.
Meinen theuern Emanuel grüſſe. 10
Warlich ich bin heiter. Solche Schmerzen wie du in Hof in mir
ſaheſt, finden keinen Weg mehr in die alte Seele, die ausgebrant und
durchgearbeitet iſt.
503. An Friedrich von Oertel in Belgershain.
[Weimar, 12. Aug. 1800] 15
100 mal fang’ ich Briefe mit dem Datum an und ſage nichts weiter.
Dein gediegner helpolierter Styl ꝛc. machen mein Lob zu ihrem und
dadurch wieder zu meinem. — Weimar iſt eine abgebrante Stadt, auf
deren heiſſer Aſche ich noch ſchlafe. Jede Stadt ſcheint mir vor dem
Auszug eben ſo verkohlt. Die Poeſie erbeutet bei dieſer Völkerwande- 20
rung durch Oerter und Herzen; aber das Herz [wird] ein armer
emigré; ich wolt’ ich wär’ ein réfugié in meiner Hochzeitſtube. Wie
ausgebrant und brennend, leichtſinnig und traurig, ſtoiſch, poetiſch,
ſat[iriſch,] liebend, kalt, kek, ſanft, weich ꝛc. meine Seele jezt iſt und
beſonders in welchen Miſchungen das alles miteinander — dazu 25
werd’ ich ſchwerlich einen biographiſchen Karakter finden, um es an
den Tag zu bringen, es müſte denn mein eigner ſein in meiner Selbſt-
biographie. Nun werden Roſte geheizt und Phyſiognomien von mir
verfertigt, um ſie darauf gahr zu braten. Wehmuth der Aeolsharfe
ſchwimt auf langen Wogen. 30
504. An Karoline von Feuchtersleben.
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— daß ich Recht habe und Recht thue. Eine groſſe Stadt, zumal ihr
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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/382>, abgerufen am 26.06.2024.
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