P. S. d. 30 Aug. Böttiger sagt, in Pyrmont trage man jezt Über- röcke Paul-Jean genant; ein gutgewählter Ausdruk, man mag nun damit mein altes Überroks-Einwindeln andeuten wollen oder meine[394] Verkehrtheit in dergleichen oder mein Umwenden meiner Habite.
512. An Christian Otto.5
Weimar d. 21 Aug. 1800.
Alter! Blos die Sehnsucht treibt mich über das Postpapier und ich weis nicht, was ich dir eigentlich darauf zu sagen habe ausser ihr. Sogar wenig Licht hab' ich über deinen jezigen Stuben-, Schreib- und Nähr-Etat. Auch nach Amöne verlang' ich wie nach Friederike;10 dieses Landen in einer ganz neuen Welt führt Amöne mir immer näher und lieber zu und ich möchte sie sehen. Für Morgen denkst du heute -- nach meinen alten Kalendern -- auf etwas für ihren Geburtstag. In der Ehe, wo alle Adern und Nerven anastomosieren, ist der fremde eheliche mehr als der eigne und jeder andere. Mein Herz wünscht15 Ihrem [!] Freude und Stille und dein Glük.
-- Lies doch Hippels Leben im Nekrolog und den "armen Man von Toggenburg" dessen Tagebuch mir nasse Augen gegeben, zu denen jezt mein Kopf durch andere selten komt, obwohl oft durch eignes Schreiben und Musizieren. -- Über meinen 1. Absagungsbrief an C., ders noch20 nicht so bestimt ist wie der 2te aus Berlin, der gleich in den ersten Tagen da geschrieben wurde, merk' ich noch an: daß ich schon ganz entschieden war für mein Nein, schon in Ilmenau -- (und mein hiesiger Brief an die Herder beweiset es) daß ich aber der guten C. die Ehre des Neins zulassen wolte, die freilich als sie sie nicht annahm, dan mir zufiel.25
Über H[erders] Partheilichkeit überal steigt nichts. Dieser grosse Bilder-Kenner fand ihres -- das wie ich nachher erfuhr der Maler in einer 1 1/2stündigen Sizung des Originals gemacht, und dem er die lezte Hand (Pfote) ohne dieses in Meinungen gegeben -- recht treffend; ich bat sie, das elende Ding *) stat mir, ihm zu schenken. Steht in einem30 französischen oder andern Journal etwas gegen Goethe oder gar Schiller: so wirds gepriesen und umhergeschikt. Mein öffentliches Lobpreisen des durchaus gemishandelten Jacobi -- und ein wenig die verschlungnen Windungen, die das Schiksal und Urtheil der C.[395]
*) Sie hat es ihm jezt abgefodert (ein wenig aus Unmuth gegen H.)35
P. S. d. 30 Aug. Böttiger ſagt, in Pyrmont trage man jezt Über- röcke Paul-Jean genant; ein gutgewählter Ausdruk, man mag nun damit mein altes Überroks-Einwindeln andeuten wollen oder meine[394] Verkehrtheit in dergleichen oder mein Umwenden meiner Habite.
512. An Chriſtian Otto.5
Weimar d. 21 Aug. 1800.
Alter! Blos die Sehnſucht treibt mich über das Poſtpapier und ich weis nicht, was ich dir eigentlich darauf zu ſagen habe auſſer ihr. Sogar wenig Licht hab’ ich über deinen jezigen Stuben-, Schreib- und Nähr-Etat. Auch nach Amöne verlang’ ich wie nach Friederike;10 dieſes Landen in einer ganz neuen Welt führt Amöne mir immer näher und lieber zu und ich möchte ſie ſehen. Für Morgen denkſt du heute — nach meinen alten Kalendern — auf etwas für ihren Geburtstag. In der Ehe, wo alle Adern und Nerven anaſtomoſieren, iſt der fremde eheliche mehr als der eigne und jeder andere. Mein Herz wünſcht15 Ihrem [!] Freude und Stille und dein Glük.
— Lies doch Hippels Leben im Nekrolog und den „armen Man von Toggenburg“ deſſen Tagebuch mir naſſe Augen gegeben, zu denen jezt mein Kopf durch andere ſelten komt, obwohl oft durch eignes Schreiben und Muſizieren. — Über meinen 1. Abſagungsbrief an C., ders noch20 nicht ſo beſtimt iſt wie der 2te aus Berlin, der gleich in den erſten Tagen da geſchrieben wurde, merk’ ich noch an: daß ich ſchon ganz entſchieden war für mein Nein, ſchon in Ilmenau — (und mein hieſiger Brief an die Herder beweiſet es) daß ich aber der guten C. die Ehre des Neins zulaſſen wolte, die freilich als ſie ſie nicht annahm, dan mir zufiel.25
Über H[erders] Partheilichkeit überal ſteigt nichts. Dieſer groſſe Bilder-Kenner fand ihres — das wie ich nachher erfuhr der Maler in einer 1 ½ſtündigen Sizung des Originals gemacht, und dem er die lezte Hand (Pfote) ohne dieſes in Meinungen gegeben — recht treffend; ich bat ſie, das elende Ding *) ſtat mir, ihm zu ſchenken. Steht in einem30 franzöſiſchen oder andern Journal etwas gegen Goethe oder gar Schiller: ſo wirds geprieſen und umhergeſchikt. Mein öffentliches Lobpreiſen des durchaus gemishandelten Jacobi — und ein wenig die verſchlungnen Windungen, die das Schikſal und Urtheil der C.[395]
*) Sie hat es ihm jezt abgefodert (ein wenig aus Unmuth gegen H.)35
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P. S. d. 30 Aug. Böttiger ſagt, in Pyrmont trage man jezt Über-
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damit mein altes Überroks-Einwindeln andeuten wollen oder meine
Verkehrtheit in dergleichen oder mein Umwenden meiner Habite.
[394]
512. An Chriſtian Otto. 5
Weimar d. 21 Aug. 1800.
Alter! Blos die Sehnſucht treibt mich über das Poſtpapier und ich
weis nicht, was ich dir eigentlich darauf zu ſagen habe auſſer ihr.
Sogar wenig Licht hab’ ich über deinen jezigen Stuben-, Schreib- und
Nähr-Etat. Auch nach Amöne verlang’ ich wie nach Friederike; 10
dieſes Landen in einer ganz neuen Welt führt Amöne mir immer näher
und lieber zu und ich möchte ſie ſehen. Für Morgen denkſt du heute
— nach meinen alten Kalendern — auf etwas für ihren Geburtstag.
In der Ehe, wo alle Adern und Nerven anaſtomoſieren, iſt der fremde
eheliche mehr als der eigne und jeder andere. Mein Herz wünſcht 15
Ihrem [!] Freude und Stille und dein Glük.
— Lies doch Hippels Leben im Nekrolog und den „armen Man von
Toggenburg“ deſſen Tagebuch mir naſſe Augen gegeben, zu denen jezt
mein Kopf durch andere ſelten komt, obwohl oft durch eignes Schreiben
und Muſizieren. — Über meinen 1. Abſagungsbrief an C., ders noch 20
nicht ſo beſtimt iſt wie der 2te aus Berlin, der gleich in den erſten Tagen
da geſchrieben wurde, merk’ ich noch an: daß ich ſchon ganz entſchieden
war für mein Nein, ſchon in Ilmenau — (und mein hieſiger Brief an
die Herder beweiſet es) daß ich aber der guten C. die Ehre des Neins
zulaſſen wolte, die freilich als ſie ſie nicht annahm, dan mir zufiel. 25
Über H[erders] Partheilichkeit überal ſteigt nichts. Dieſer groſſe
Bilder-Kenner fand ihres — das wie ich nachher erfuhr der Maler in
einer 1 ½ſtündigen Sizung des Originals gemacht, und dem er die
lezte Hand (Pfote) ohne dieſes in Meinungen gegeben — recht treffend;
ich bat ſie, das elende Ding *) ſtat mir, ihm zu ſchenken. Steht in einem 30
franzöſiſchen oder andern Journal etwas gegen Goethe oder gar
Schiller: ſo wirds geprieſen und umhergeſchikt. Mein öffentliches
Lobpreiſen des durchaus gemishandelten Jacobi — und ein wenig die
verſchlungnen Windungen, die das Schikſal und Urtheil der C.
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*) Sie hat es ihm jezt abgefodert (ein wenig aus Unmuth gegen H.) 35
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 367. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/387>, abgerufen am 16.06.2024.
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