wird, erstlich gleichgültig, zweitens lieb. Sobald die Leute nur mein moralisches Ich nicht antasten, können sie das andere abbilden wie sie wollen.
Ueber die B., nämlich über ihr Sein zu dir, irrest du: überhaupt ist sie zu ungemein, um das erste mal gefasset zu werden; sie schäzt und5 liebt dich innig, und doch würde sie das noch zehnmal mehr thun, wenn du nur 1 Woche allein mit ihr gesprochen hättest. -- Ich wil dir mehr von ihren und fremden Briefen mitbringen. --
d. 27 M[ärz].
Blos wenn oben gedachte Mitteltinten zu bald aufgetragen würden,10 bliebe ich länger aus: komt mein Mantelsak am Dienstag, so bin ich vor Sonabends abgereiset; sonst nicht. -- In deinem vorvorigen Briefe stehen sehr schöne Bemerkungen oder Früchte unter den Blüten wie Orangen in einem Straus. -- Ich klage mit dir über die Völker- Gleichheit des Stils, weniger in Briefen als Büchern: ich würde gerne15 eine Lesebibliothek vol Briefe wie die in meinem Koffer mithalten, indes ich in den andern fast nichts mehr lese als was zu exzerpieren ist. -- Es ist nicht Unfähigkeit einiger, den eignen Zustand abzuzeichnen, sondern aller: wie wollen Zeichen, die nur erinnern, nicht repräsentieren, das ganze unordentliche bewegliche Leben eines leidenschaftlichen Zu-20 standes malen oder wiedergeben? Ein anderes ist der Dichter, der einen fremden, einen vergangnen schildert, worein er Einheit und Verhält- nisse bringen kan und welchen er nur das sagen lässet, was ihn ver- mehrt und abschattet, nicht was ihn erleichtert. Hingegen die eigne [61]Leidenschaft wählt die Worte wie der Zorn die Flüche, nur zur Er-25 leichterung, zum Ableiter, also nur die grelsten Farben ohne die Mittelfarben, mit denen uns der Dichter erst auf jene vorbereitet. Daher kan er selber seinen Zustand, wenn er ihn nicht zu einem ob- jektiven macht -- aber dan ist er nicht mehr darin -- nicht so dar- stellen, daß er wiederhineinkomt, wenn er sich lieset. Wird daher unter30 der Darstellung eines fremden Zustandes sein Antheil so gros, daß derselbe sein eigner wird, der mehr sich auszudrücken als abzumalen strebt -- welches ich daran merke, wenn ich zu viel Genus und eine Sehnsucht nach Sied- und Brenpunkten des Ausdruks habe -- so mus er am andern Morgen die Klekserei wegwerfen, weil sie nicht einen35 Zustand, sondern dieser sie erst kolorieren mus. -- -- Wenn du also von deiner Malerei eigner Zustände so viel wie von einer der fremden
wird, erſtlich gleichgültig, zweitens lieb. Sobald die Leute nur mein moraliſches Ich nicht antaſten, können ſie das andere abbilden wie ſie wollen.
Ueber die B., nämlich über ihr Sein zu dir, irreſt du: überhaupt iſt ſie zu ungemein, um das erſte mal gefaſſet zu werden; ſie ſchäzt und5 liebt dich innig, und doch würde ſie das noch zehnmal mehr thun, wenn du nur 1 Woche allein mit ihr geſprochen hätteſt. — Ich wil dir mehr von ihren und fremden Briefen mitbringen. —
d. 27 M[ärz].
Blos wenn oben gedachte Mitteltinten zu bald aufgetragen würden,10 bliebe ich länger aus: komt mein Mantelſak am Dienſtag, ſo bin ich vor Sonabends abgereiſet; ſonſt nicht. — In deinem vorvorigen Briefe ſtehen ſehr ſchöne Bemerkungen oder Früchte unter den Blüten wie Orangen in einem Straus. — Ich klage mit dir über die Völker- Gleichheit des Stils, weniger in Briefen als Büchern: ich würde gerne15 eine Leſebibliothek vol Briefe wie die in meinem Koffer mithalten, indes ich in den andern faſt nichts mehr leſe als was zu exzerpieren iſt. — Es iſt nicht Unfähigkeit einiger, den eignen Zuſtand abzuzeichnen, ſondern aller: wie wollen Zeichen, die nur erinnern, nicht repräſentieren, das ganze unordentliche bewegliche Leben eines leidenſchaftlichen Zu-20 ſtandes malen oder wiedergeben? Ein anderes iſt der Dichter, der einen fremden, einen vergangnen ſchildert, worein er Einheit und Verhält- niſſe bringen kan und welchen er nur das ſagen läſſet, was ihn ver- mehrt und abſchattet, nicht was ihn erleichtert. Hingegen die eigne [61]Leidenſchaft wählt die Worte wie der Zorn die Flüche, nur zur Er-25 leichterung, zum Ableiter, alſo nur die grelſten Farben ohne die Mittelfarben, mit denen uns der Dichter erſt auf jene vorbereitet. Daher kan er ſelber ſeinen Zuſtand, wenn er ihn nicht zu einem ob- jektiven macht — aber dan iſt er nicht mehr darin — nicht ſo dar- ſtellen, daß er wiederhineinkomt, wenn er ſich lieſet. Wird daher unter30 der Darſtellung eines fremden Zuſtandes ſein Antheil ſo gros, daß derſelbe ſein eigner wird, der mehr ſich auszudrücken als abzumalen ſtrebt — welches ich daran merke, wenn ich zu viel Genus und eine Sehnſucht nach Sied- und Brenpunkten des Ausdruks habe — ſo mus er am andern Morgen die Klekſerei wegwerfen, weil ſie nicht einen35 Zuſtand, ſondern dieſer ſie erſt kolorieren mus. — — Wenn du alſo von deiner Malerei eigner Zuſtände ſo viel wie von einer der fremden
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wird, erſtlich gleichgültig, zweitens lieb. Sobald die Leute nur mein
moraliſches Ich nicht antaſten, können ſie das andere abbilden wie ſie
wollen.
Ueber die B., nämlich über ihr Sein zu dir, irreſt du: überhaupt iſt
ſie zu ungemein, um das erſte mal gefaſſet zu werden; ſie ſchäzt und 5
liebt dich innig, und doch würde ſie das noch zehnmal mehr thun, wenn
du nur 1 Woche allein mit ihr geſprochen hätteſt. — Ich wil dir mehr
von ihren und fremden Briefen mitbringen. —
d. 27 M[ärz].
Blos wenn oben gedachte Mitteltinten zu bald aufgetragen würden, 10
bliebe ich länger aus: komt mein Mantelſak am Dienſtag, ſo bin ich
vor Sonabends abgereiſet; ſonſt nicht. — In deinem vorvorigen
Briefe ſtehen ſehr ſchöne Bemerkungen oder Früchte unter den Blüten
wie Orangen in einem Straus. — Ich klage mit dir über die Völker-
Gleichheit des Stils, weniger in Briefen als Büchern: ich würde gerne 15
eine Leſebibliothek vol Briefe wie die in meinem Koffer mithalten,
indes ich in den andern faſt nichts mehr leſe als was zu exzerpieren iſt. —
Es iſt nicht Unfähigkeit einiger, den eignen Zuſtand abzuzeichnen,
ſondern aller: wie wollen Zeichen, die nur erinnern, nicht repräſentieren,
das ganze unordentliche bewegliche Leben eines leidenſchaftlichen Zu- 20
ſtandes malen oder wiedergeben? Ein anderes iſt der Dichter, der einen
fremden, einen vergangnen ſchildert, worein er Einheit und Verhält-
niſſe bringen kan und welchen er nur das ſagen läſſet, was ihn ver-
mehrt und abſchattet, nicht was ihn erleichtert. Hingegen die eigne
Leidenſchaft wählt die Worte wie der Zorn die Flüche, nur zur Er- 25
leichterung, zum Ableiter, alſo nur die grelſten Farben ohne die
Mittelfarben, mit denen uns der Dichter erſt auf jene vorbereitet.
Daher kan er ſelber ſeinen Zuſtand, wenn er ihn nicht zu einem ob-
jektiven macht — aber dan iſt er nicht mehr darin — nicht ſo dar-
ſtellen, daß er wiederhineinkomt, wenn er ſich lieſet. Wird daher unter 30
der Darſtellung eines fremden Zuſtandes ſein Antheil ſo gros, daß
derſelbe ſein eigner wird, der mehr ſich auszudrücken als abzumalen
ſtrebt — welches ich daran merke, wenn ich zu viel Genus und eine
Sehnſucht nach Sied- und Brenpunkten des Ausdruks habe — ſo mus
er am andern Morgen die Klekſerei wegwerfen, weil ſie nicht einen 35
Zuſtand, ſondern dieſer ſie erſt kolorieren mus. — — Wenn du alſo
von deiner Malerei eigner Zuſtände ſo viel wie von einer der fremden
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/63>, abgerufen am 24.11.2024.
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