Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959.

Bild:
<< vorherige Seite

zwischen den Tönen schwebende Vergangenheit mich zu tief bewegte. --
Herman besorgt alles, wechselte mir 20 Ldr. mit 9 rtl. Gewinst und
erpressete noch ein Quart -- lief zu Traiteurs, bis er einen hatte, der
mir das schmakhafteste und reichlichste Essen, 2 Porzionen, und vorher
einen Küchenzettel, (woraus ich zwischen 2 Braten und 2 Gekochten5
Ein Gericht wählen kan) selber ins Haus schikt wöchentlich für
1 rtl. 18 gr. -- Donnerstags abends war ich im Konzertsaal -- über
100 Zuhörer -- Pauken, ein pergament[ner] Donner -- Orgel --
Sängerin -- kurz ich hörte das erste mal in meinem Leben Musik.
Wie dem Adam die Thiere wurden mir Leute präsentiert, aber blos10
weil ich einen Namen hatte: wovon ich nur den Prorektor Erhard und
den D. M. Michaelis mit Söhnen nenne. Leztere trinken morgends
Thee, ziehen sämtlich Pelze an und gehen ins Museum und -- abends
nach Hause: sie haben da Wärme frei. Noch um 8 Uhr kam zu mir ein
Mensch ohne Hut mit straubigem Haar, aphoristischer Stimme und15
Rede, frei und sonderbar, (Thyriot, ein Violinist und Philolog) und
machte den beschwerlichen Sonderling, weil er mich für einen hielt.
Sein 2tes Wort war, er bitte mich, das Logis zu verlassen, weil er
mit mir unter einem Dache wohne und öfters komme; und fragte, wie
ich an einen Ort ziehen [könne,] der mich nächstens [Lücke] werde.20
Und das geschie[ht] [Lücke] das erste mal bin [ich] [Lücke] höflich,
und das 2mal [grob]. -- Gestern war ich in der Oper mit Oertel, die
ich mit 10 Weimarschen Bühnen erkaufte. Die Truppe tanzt Ballete
wie geflügelt[e] Engel.

-- Und nun mehr ists genug. Sei du mein historischer Repetent:[4]25
denn ich habe kaum Zeit, etwas 1mal zu schreiben. -- Mein Gotlieb
wird 6 fl. zu dir schicken: brich sie auf und nim das Geld für die Lein-
wand und 2 fl. rh. für den alten Herman, dem ichs restiere.

[Schre]ibe mir alle historischen [Bette]leien von Hof so wie [alles]
Wichtige. -- Ich danke [dir] für dein leztes Geschenk, [da]s ein wahres30
Wundwasser auf der dürren Reise war: die gestrige Bouteille im
italienischen Keller reicht deiner das -- Wasser. -- Umarme deine
geliebte Schwester und deine Brüder in meine Seele und schwöre
ihnen die Liebe in meine. -- Ich hoffe daß mein Nachlas bald nach-
fährt, wiewohl mir Pfarr alles herzlich gern leiht. -- Lebe wohl,35
mein Theuerer, aus Schmerzen erschaff ich mir jezt eine Zeit, wie ich
sie in Weimar hatte -- nämlich die künftige in Hof.

R.
1*

zwiſchen den Tönen ſchwebende Vergangenheit mich zu tief bewegte. —
Herman beſorgt alles, wechſelte mir 20 Ldr. mit 9 rtl. Gewinſt und
erpreſſete noch ein Quart — lief zu Traiteurs, bis er einen hatte, der
mir das ſchmakhafteſte und reichlichſte Eſſen, 2 Porzionen, und vorher
einen Küchenzettel, (woraus ich zwiſchen 2 Braten und 2 Gekochten5
Ein Gericht wählen kan) ſelber ins Haus ſchikt wöchentlich für
1 rtl. 18 gr. — Donnerſtags abends war ich im Konzertſaal — über
100 Zuhörer — Pauken, ein pergament[ner] Donner — Orgel —
Sängerin — kurz ich hörte das erſte mal in meinem Leben Muſik.
Wie dem Adam die Thiere wurden mir Leute präſentiert, aber blos10
weil ich einen Namen hatte: wovon ich nur den Prorektor Erhard und
den D. 〈M.〉 Michaelis mit Söhnen nenne. Leztere trinken morgends
Thee, ziehen ſämtlich Pelze an und gehen ins Muſeum und — abends
nach Hauſe: ſie haben da Wärme frei. Noch um 8 Uhr kam zu mir ein
Menſch ohne Hut mit ſtraubigem Haar, aphoriſtiſcher Stimme und15
Rede, frei und ſonderbar, (Thyriot, ein Violiniſt und Philolog) und
machte den beſchwerlichen Sonderling, weil er mich für einen hielt.
Sein 2tes Wort war, er bitte mich, das Logis zu verlaſſen, weil er
mit mir unter einem Dache wohne und öfters komme; und fragte, wie
ich an einen Ort ziehen [könne,] der mich nächſtens [Lücke] werde.20
Und das geſchie[ht] [Lücke] das erſte mal bin [ich] [Lücke] höflich,
und das 2mal [grob]. — Geſtern war ich in der Oper mit Oertel, die
ich mit 10 Weimarſchen Bühnen erkaufte. Die Truppe tanzt Ballete
wie geflügelt[e] Engel.

— Und nun mehr iſts genug. Sei du mein hiſtoriſcher Repetent:[4]25
denn ich habe kaum Zeit, etwas 1mal zu ſchreiben. — Mein Gotlieb
wird 6 fl. zu dir ſchicken: brich ſie auf und nim das Geld für die Lein-
wand und 2 fl. rh. für den alten Herman, dem ichs reſtiere.

[Schre]ibe mir alle hiſtoriſchen [Bette]leien von Hof ſo wie [alles]
Wichtige. — Ich danke [dir] für dein leztes Geſchenk, [da]s ein wahres30
Wundwaſſer auf der dürren Reiſe war: die geſtrige Bouteille im
italieniſchen Keller reicht deiner das — Waſſer. — Umarme deine
geliebte Schweſter und deine Brüder in meine Seele und ſchwöre
ihnen die Liebe in meine. — Ich hoffe daß mein Nachlas bald nach-
fährt, wiewohl mir Pfarr alles herzlich gern leiht. — Lebe wohl,35
mein Theuerer, aus Schmerzen erſchaff ich mir jezt eine Zeit, wie ich
ſie in Weimar hatte — nämlich die künftige in Hof.

R.
1*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0008" n="3"/>
zwi&#x017F;chen den Tönen &#x017F;chwebende Vergangenheit mich zu tief bewegte. &#x2014;<lb/>
Herman be&#x017F;orgt alles, wech&#x017F;elte mir 20 <hi rendition="#aq">Ldr.</hi> mit 9 rtl. Gewin&#x017F;t und<lb/>
erpre&#x017F;&#x017F;ete noch ein Quart &#x2014; lief zu Traiteurs, bis er einen hatte, der<lb/>
mir das &#x017F;chmakhafte&#x017F;te und reichlich&#x017F;te E&#x017F;&#x017F;en, 2 Porzionen, und vorher<lb/>
einen Küchenzettel, (woraus ich zwi&#x017F;chen 2 Braten und 2 Gekochten<lb n="5"/>
Ein Gericht wählen kan) &#x017F;elber ins Haus &#x017F;chikt wöchentlich für<lb/>
1 rtl. 18 gr. &#x2014; Donner&#x017F;tags abends war ich im Konzert&#x017F;aal &#x2014; über<lb/>
100 Zuhörer &#x2014; Pauken, ein pergament[ner] Donner &#x2014; Orgel &#x2014;<lb/>
Sängerin &#x2014; kurz ich hörte das er&#x017F;te mal in meinem Leben Mu&#x017F;ik.<lb/>
Wie dem Adam die Thiere wurden mir Leute prä&#x017F;entiert, aber blos<lb n="10"/>
weil ich einen Namen hatte: wovon ich nur den Prorektor Erhard und<lb/>
den <hi rendition="#aq">D. &#x2329;M.&#x232A;</hi> Michaelis mit Söhnen nenne. Leztere trinken morgends<lb/>
Thee, ziehen &#x017F;ämtlich Pelze an und gehen ins Mu&#x017F;eum und &#x2014; abends<lb/>
nach Hau&#x017F;e: &#x017F;ie haben da Wärme frei. Noch um 8 Uhr kam zu mir ein<lb/>
Men&#x017F;ch ohne Hut mit &#x017F;traubigem Haar, aphori&#x017F;ti&#x017F;cher Stimme und<lb n="15"/>
Rede, frei und &#x017F;onderbar, (Thyriot, ein Violini&#x017F;t und Philolog) und<lb/>
machte den be&#x017F;chwerlichen Sonderling, weil er mich für einen hielt.<lb/>
Sein 2<hi rendition="#sup">tes</hi> Wort war, er bitte mich, das Logis zu verla&#x017F;&#x017F;en, weil er<lb/>
mit mir unter einem Dache wohne und öfters komme; und fragte, wie<lb/>
ich an einen Ort ziehen [könne,] der mich näch&#x017F;tens [<hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Lücke</hi></hi>] werde.<lb n="20"/>
Und das ge&#x017F;chie[ht] [<hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Lücke</hi></hi>] das er&#x017F;te mal bin [ich] [<hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Lücke</hi></hi>] höflich,<lb/>
und das 2mal [grob]. &#x2014; Ge&#x017F;tern war ich in der Oper mit Oertel, die<lb/>
ich mit 10 Weimar&#x017F;chen Bühnen erkaufte. Die Truppe tanzt Ballete<lb/>
wie geflügelt[e] Engel.</p><lb/>
          <p>&#x2014; Und nun mehr i&#x017F;ts genug. Sei du mein hi&#x017F;tori&#x017F;cher Repetent:<note place="right"><ref target="1922_Bd3_4">[4]</ref></note><lb n="25"/>
denn ich habe kaum Zeit, etwas 1mal zu &#x017F;chreiben. &#x2014; Mein Gotlieb<lb/>
wird 6 fl. zu dir &#x017F;chicken: brich &#x017F;ie auf und nim das Geld für die Lein-<lb/>
wand und 2 fl. rh. für den alten Herman, dem ichs re&#x017F;tiere.</p><lb/>
          <p>[Schre]ibe mir alle hi&#x017F;tori&#x017F;chen [Bette]leien von Hof &#x017F;o wie [alles]<lb/>
Wichtige. &#x2014; Ich danke [dir] für dein leztes Ge&#x017F;chenk, [da]s ein wahres<lb n="30"/>
Wundwa&#x017F;&#x017F;er auf der dürren Rei&#x017F;e war: die ge&#x017F;trige Bouteille im<lb/>
italieni&#x017F;chen Keller reicht deiner das &#x2014; Wa&#x017F;&#x017F;er. &#x2014; Umarme deine<lb/>
geliebte Schwe&#x017F;ter und deine Brüder in meine Seele und &#x017F;chwöre<lb/>
ihnen die Liebe in meine. &#x2014; Ich hoffe daß mein Nachlas bald nach-<lb/>
fährt, wiewohl mir Pfarr alles herzlich gern leiht. &#x2014; Lebe wohl,<lb n="35"/>
mein Theuerer, aus Schmerzen er&#x017F;chaff ich mir jezt eine Zeit, wie ich<lb/>
&#x017F;ie in <hi rendition="#aq">Weimar</hi> hatte &#x2014; nämlich die künftige in <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Hof.</hi></hi></p>
          <closer>
            <salute> <hi rendition="#sameLine"> <hi rendition="#right">R.</hi> </hi> </salute>
          </closer><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">1*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[3/0008] zwiſchen den Tönen ſchwebende Vergangenheit mich zu tief bewegte. — Herman beſorgt alles, wechſelte mir 20 Ldr. mit 9 rtl. Gewinſt und erpreſſete noch ein Quart — lief zu Traiteurs, bis er einen hatte, der mir das ſchmakhafteſte und reichlichſte Eſſen, 2 Porzionen, und vorher einen Küchenzettel, (woraus ich zwiſchen 2 Braten und 2 Gekochten 5 Ein Gericht wählen kan) ſelber ins Haus ſchikt wöchentlich für 1 rtl. 18 gr. — Donnerſtags abends war ich im Konzertſaal — über 100 Zuhörer — Pauken, ein pergament[ner] Donner — Orgel — Sängerin — kurz ich hörte das erſte mal in meinem Leben Muſik. Wie dem Adam die Thiere wurden mir Leute präſentiert, aber blos 10 weil ich einen Namen hatte: wovon ich nur den Prorektor Erhard und den D. 〈M.〉 Michaelis mit Söhnen nenne. Leztere trinken morgends Thee, ziehen ſämtlich Pelze an und gehen ins Muſeum und — abends nach Hauſe: ſie haben da Wärme frei. Noch um 8 Uhr kam zu mir ein Menſch ohne Hut mit ſtraubigem Haar, aphoriſtiſcher Stimme und 15 Rede, frei und ſonderbar, (Thyriot, ein Violiniſt und Philolog) und machte den beſchwerlichen Sonderling, weil er mich für einen hielt. Sein 2tes Wort war, er bitte mich, das Logis zu verlaſſen, weil er mit mir unter einem Dache wohne und öfters komme; und fragte, wie ich an einen Ort ziehen [könne,] der mich nächſtens [Lücke] werde. 20 Und das geſchie[ht] [Lücke] das erſte mal bin [ich] [Lücke] höflich, und das 2mal [grob]. — Geſtern war ich in der Oper mit Oertel, die ich mit 10 Weimarſchen Bühnen erkaufte. Die Truppe tanzt Ballete wie geflügelt[e] Engel. — Und nun mehr iſts genug. Sei du mein hiſtoriſcher Repetent: 25 denn ich habe kaum Zeit, etwas 1mal zu ſchreiben. — Mein Gotlieb wird 6 fl. zu dir ſchicken: brich ſie auf und nim das Geld für die Lein- wand und 2 fl. rh. für den alten Herman, dem ichs reſtiere. [4] [Schre]ibe mir alle hiſtoriſchen [Bette]leien von Hof ſo wie [alles] Wichtige. — Ich danke [dir] für dein leztes Geſchenk, [da]s ein wahres 30 Wundwaſſer auf der dürren Reiſe war: die geſtrige Bouteille im italieniſchen Keller reicht deiner das — Waſſer. — Umarme deine geliebte Schweſter und deine Brüder in meine Seele und ſchwöre ihnen die Liebe in meine. — Ich hoffe daß mein Nachlas bald nach- fährt, wiewohl mir Pfarr alles herzlich gern leiht. — Lebe wohl, 35 mein Theuerer, aus Schmerzen erſchaff ich mir jezt eine Zeit, wie ich ſie in Weimar hatte — nämlich die künftige in Hof. R. 1*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:05:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:05:42Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/8
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/8>, abgerufen am 21.11.2024.