Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960.238. An Christian Otto. Meiningen d. 1 Febr. 1802.Guter! Ehe Cotta schreibt, wil ich im Voraus etwas fertig schreiben *) Sie solte doch einmal eine scherzende wizige Erzählung versuchen, z. B. eine35
Bayreutherin malen und den Hern dazu. 238. An Chriſtian Otto. Meiningen d. 1 Febr. 1802.Guter! Ehe Cotta ſchreibt, wil ich im Voraus etwas fertig ſchreiben *) Sie ſolte doch einmal eine ſcherzende wizige Erzählung verſuchen, z. B. eine35
Bayreutherin malen und den Hern dazu. <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0139" n="132"/> <div type="letter" n="1"> <div> <head>238. An <hi rendition="#g">Chriſtian Otto.</hi></head><lb/> <dateline> <hi rendition="#right"><hi rendition="#aq">Meiningen</hi> d. 1 Febr. 1802.</hi> </dateline><lb/> <p>Guter! Ehe Cotta ſchreibt, wil ich im Voraus etwas fertig ſchreiben<lb/> in ſchönſter Muſſe. <hi rendition="#aq">Amoene</hi> zürne nicht über meine aktive Kritik. Ihr<lb/> Tagebuch hätte durch ſo viele ähnliche Inſerate alle Einheit verloren,<lb n="5"/> beſonders da es ſelber ſich durch keine Handlungen bindet. Ihre<lb/><note place="left"><ref target="1922_Bd4_148">[148]</ref></note>Karaktere, Handlungen, Knoten müſſen neuer und ſtärker ſein; ob ſie<lb/> gleich auf einem richtigen Wege der ſchönen Darſtellung iſt. Sie hat<lb/> (z. B. ſonſt in ihrem Höfer Tagebuch) ein gröſſeres Feuer als ſie jezt<lb/> auf dem Papier brennen läſſet. —<note place="foot" n="*)">Sie ſolte doch einmal eine ſcherzende wizige Erzählung verſuchen, z. B. eine<lb n="35"/> Bayreutherin malen und den Hern dazu.</note> Apropos ſie hat oft den Höfer<lb n="10"/> Imperativ (wie ich leider in den Mumien) „ſpreche, gebe, helfe!“ ſtat:<lb/> ſprich, hilf ꝛc. — Deine Kritik, die überal ſo ſehr auf die epiſche Ob-<lb/> jektivität dringt, hat mein Ja; ich wuſt’ es ſchon unter dem Schreiben,<lb/> mocht’ aber nicht. Sogar im 3. Bande iſts, zumal anfangs, noch ein<lb/> wenig; übrigens ſind ein Paar Kardinalkapitel darin, wie ich ſie noch<lb n="15"/> nie gemacht, zumal das, was —s—g—l ſo gut beſchreibt. Dasmal<lb/> kein Anhang. — Über die Kapitel haſt du Unrecht; jedes Ganze be-<lb/> ſteht aus kleinern Ganzen, das Schauſpiel aus Akten oder Kapiteln.<lb/> Alle meine Kapitel ſind abgeſchloſſene Inſeln, von einer zur andern<lb/> kan und ſol man nicht unmittelbar, ſondern nach einem Aufhören<lb n="20"/> erſt. — Jezt arbeit’ ich an der „Geſchichte meines Bruders, von <hi rendition="#aq">J. P.</hi>“<lb/> — mit unſäglicher Luſt und mit Glük. Es iſt der Notar. In dieſer kan<lb/> ich die höchſten Satyr-Sprünge machen, die Objektiv[it]ät gewint blos<lb/> dabei. Siehe den Kalender meines Pultes: bis Oſtern Geſchichte<lb/> m[eines] B[ruders] — bis Dezember 4. Titan ſamt Anhang — bis<lb n="25"/> Oſtern 1803 Geſchichte oder wahrſcheinlicher den 5. oder <hi rendition="#g">lezten</hi> Titan,<lb/> der dan ſchon zu Michaelis käme. Jezt ſchweb’ ich in dem neuen Glük,<lb/> daß ich eigentlich mit meinen 2 Seelen gleich ſehr nach 2 verſchiednen<lb/> Werken hange und verlange. Daher wil ich dan die biographiſchen<lb/> Beluſtigungen — als Ballaſt des Notarius und Bruder des Titans<lb n="30"/> — beſchlieſſen, wenn nicht das Leben früher beſchloſſen iſt. Dan<lb/> Siebenkäſ[ens] Ehe mit Natalien. Dan nichts mehr; ſondern ich<lb/> philoſophiere und kritiſiere. In die Erfurter Zenſier-Union bin ich<lb/> nicht getreten: ſie giebt zu wenig Plaz und Geld. Was wil ein Menſch<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [132/0139]
238. An Chriſtian Otto.
Meiningen d. 1 Febr. 1802.
Guter! Ehe Cotta ſchreibt, wil ich im Voraus etwas fertig ſchreiben
in ſchönſter Muſſe. Amoene zürne nicht über meine aktive Kritik. Ihr
Tagebuch hätte durch ſo viele ähnliche Inſerate alle Einheit verloren, 5
beſonders da es ſelber ſich durch keine Handlungen bindet. Ihre
Karaktere, Handlungen, Knoten müſſen neuer und ſtärker ſein; ob ſie
gleich auf einem richtigen Wege der ſchönen Darſtellung iſt. Sie hat
(z. B. ſonſt in ihrem Höfer Tagebuch) ein gröſſeres Feuer als ſie jezt
auf dem Papier brennen läſſet. — *) Apropos ſie hat oft den Höfer 10
Imperativ (wie ich leider in den Mumien) „ſpreche, gebe, helfe!“ ſtat:
ſprich, hilf ꝛc. — Deine Kritik, die überal ſo ſehr auf die epiſche Ob-
jektivität dringt, hat mein Ja; ich wuſt’ es ſchon unter dem Schreiben,
mocht’ aber nicht. Sogar im 3. Bande iſts, zumal anfangs, noch ein
wenig; übrigens ſind ein Paar Kardinalkapitel darin, wie ich ſie noch 15
nie gemacht, zumal das, was —s—g—l ſo gut beſchreibt. Dasmal
kein Anhang. — Über die Kapitel haſt du Unrecht; jedes Ganze be-
ſteht aus kleinern Ganzen, das Schauſpiel aus Akten oder Kapiteln.
Alle meine Kapitel ſind abgeſchloſſene Inſeln, von einer zur andern
kan und ſol man nicht unmittelbar, ſondern nach einem Aufhören 20
erſt. — Jezt arbeit’ ich an der „Geſchichte meines Bruders, von J. P.“
— mit unſäglicher Luſt und mit Glük. Es iſt der Notar. In dieſer kan
ich die höchſten Satyr-Sprünge machen, die Objektiv[it]ät gewint blos
dabei. Siehe den Kalender meines Pultes: bis Oſtern Geſchichte
m[eines] B[ruders] — bis Dezember 4. Titan ſamt Anhang — bis 25
Oſtern 1803 Geſchichte oder wahrſcheinlicher den 5. oder lezten Titan,
der dan ſchon zu Michaelis käme. Jezt ſchweb’ ich in dem neuen Glük,
daß ich eigentlich mit meinen 2 Seelen gleich ſehr nach 2 verſchiednen
Werken hange und verlange. Daher wil ich dan die biographiſchen
Beluſtigungen — als Ballaſt des Notarius und Bruder des Titans 30
— beſchlieſſen, wenn nicht das Leben früher beſchloſſen iſt. Dan
Siebenkäſ[ens] Ehe mit Natalien. Dan nichts mehr; ſondern ich
philoſophiere und kritiſiere. In die Erfurter Zenſier-Union bin ich
nicht getreten: ſie giebt zu wenig Plaz und Geld. Was wil ein Menſch
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*) Sie ſolte doch einmal eine ſcherzende wizige Erzählung verſuchen, z. B. eine 35
Bayreutherin malen und den Hern dazu.
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(2016-11-22T15:08:29Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Weitere Informationen:Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen). Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
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