Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960.[15]"die wunderbare Geselschaft in der Neujahrsnacht."*) Da ist auch35 Ich hörte hier Mozarts Requiem; aber Sterbende hören vielleicht Ich lebe hier wie immer anfangs seelig -- habe mit einem H. v. Ahle- Ihre Reminißenzen im Merkur -- oft sogar meine, ob ich gleich20 Es fehlt jezt eine Moral für den Giganten-Geist der Zeit. Himmel!25 Leben Sie wohl, mein Theuerer. Schreiben Sie mir von Ihren Richter Heute bekomm' ich Ihren dritten Brief, worin Sie mir die Todes- *) komt erst 1802 heraus. 12
[15]„die wunderbare Geſelſchaft in der Neujahrsnacht.“*) Da iſt auch35 Ich hörte hier Mozarts Requiem; aber Sterbende hören vielleicht Ich lebe hier wie immer anfangs ſeelig — habe mit einem H. v. Ahle- Ihre Reminiſzenzen im Merkur — oft ſogar meine, ob ich gleich20 Es fehlt jezt eine Moral für den Giganten-Geiſt der Zeit. Himmel!25 Leben Sie wohl, mein Theuerer. Schreiben Sie mir von Ihren Richter Heute bekomm’ ich Ihren dritten Brief, worin Sie mir die Todes- *) komt erſt 1802 heraus. 12
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„die wunderbare Geſelſchaft in der Neujahrsnacht.“ *) Da iſt auch 35
endlich die 2te Edizion des Fixlein. — Tiek hat mich hier beſucht.
Ich lebe gern mit Bernhardi zuſammen. Am Ende iſt der jezige
äſthetiſche Heuſchreckenzug doch zum Abbeiſſen des ſchlaffen Graſes
gut; den Bäumen haben ſie nichts an. Sie nehmen — wenn man 5 5
oder 6 partheiiſche Verblendungen pro und contra abrechnet — den
Menſchen und Autor, von einer höhern Höhe, als die Leipziger Lilli-
puter. — Von Herders Bruſt gieng ich mit wunder — ich finde hier
alles, aber nicht ihn — Seit 3 Wochen ſtand ich beinahe jeden Abend
unter einer neuen Stubendecke; ſucht’ aber nur Weiber auf, ſchlecht die 10
Gelehrten. Nicolai ſchrieb ein Buch über die Perücken und brachte
es in dieſer komiſchen Sache dahin, daß nicht der geringſte Spas und
Wiz darin aufſtöſſet. Er ſelber ſieht aus wie ſein Thema. —
[15]
Ich hörte hier Mozarts Requiem; aber Sterbende hören vielleicht
beſſere Muſik als ſie ſezen; dem groſſen Geiſt war der Flügel ver- 15
wundet. —
Ich lebe hier wie immer anfangs ſeelig — habe mit einem H. v. Ahle-
feldt 1 Bedienten, 1 Tiſch, 1 Wohnung, lauter Jugend-Kommuni-
täten.
Ihre Reminiſzenzen im Merkur — oft ſogar meine, ob ich gleich 20
vor Ihren ſchrieb — gefielen mir ganz, beſonders der Humor. Vol-
führen Sie Ihr Buch gewis? Machen Sie es ſo gut als Sie können:
ſo häng’ ich ein Wirthshausſchild daran entweder in einer Vorrede da-
zu, oder in einer Note im 2ten komiſchen Anhang.
Es fehlt jezt eine Moral für den Giganten-Geiſt der Zeit. Himmel! 25
wie viel tiefe Gräber ſeh’ ich offen, die alle ſich mit der Jezt-Welt
füllen, — wie viele volle Sterbebetten von Zeit-Greiſen in Religion
und Philoſophie ꝛc.
Leben Sie wohl, mein Theuerer. Schreiben Sie mir von Ihren
Fatis und Werken vor und in — Dresden. Der reine kindliche ein- 30
fache uneitle ſtille Geiſt verlaſſe Sie nie! —
Richter
Heute bekomm’ ich Ihren dritten Brief, worin Sie mir die Todes-
Nachricht lachend ſagen, ich hoffe vor Schmerz.
*) komt erſt 1802 heraus.
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(2016-11-22T15:08:29Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Weitere Informationen:Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen). Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
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