Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960.

Bild:
<< vorherige Seite
14. An ? [16]
[Kopie]

Die Merkels testimonia paupertatis und visa reperta, die er
sich selbst ausfertigt.

15. An Karoline Mayer.5

Schöne Seele! So unpartheiisch und kalt, als hätt' ich Sie nie
gesehen, wil ich Ihnen die Antwort meines Gewissens geben. Sie ist:
Sie dürfen sich trennen und Ihr H. Vater hat Recht.

Jede Liebe fodert eine, und die gröste die gröste. N. sezte durch seine10
Ihre voraus; und hier ist nur eine zweifache Wahl. Entweder Sie
sezen durch die lange Ehe den Schein Ihrer Liebe fort -- aber diese
lange zerrüttende Heuchelei kan die Moral nicht verlangen, sondern
nur verbieten (und das Dasein der Liebe kan sie nicht gebieten, da
Neigungen ausser unserer Wilkür liegen) ja der Gegenstand selber15
müste sich durch ein solches Opfer beleidigt finden -- Oder Sie be-
kennen ihm den bisherigen Schein und die Schwierigkeit der Fort-
sezung. Ein Wesen, das dan doch das liebe-beraubte Herz an sich reissen
könte und das seine Befriedigung mit fremder Entbehrung erkaufte,
handelte in demselben Augenblikke unmoralisch und schiede sich20
also; denn einseitige Liebe ertheilt keine Rechte*); wie schlim wäre
sonst jede schöne Gestalt daran! Blos einmal hatten Sie gefehlt --
und jeder Fehler zieht so lange Verwirrungen durch das Leben -- daß
Sie nämlich nicht anfangs Ihr Herz dem N. gezeigt wie es war,
sondern daß Sie ihn blos zum Arzte Ihres Herzens d. h. als Mittel25
brauchten. Sie können kein Wort zu halten brauchen, das eine halbe
Unwahrheit war und das eine fortdauernde fodert. Wenn die Ehe ge-
schieden werden kan: so mus die Liebe noch leichter geschieden werden
können.

Alles was Sie noch von N. sagen, bejahet meine Meinung. "Wer30
fest auf der Erde klebt und auf ihr seine Seeligkeit erwartet" warlich[17]
dieser verträgt eben leichter den Verlust der schönern Seele als diese
den ewigen der hohen Liebe, ohne welche die Erde eine abgemähte Aue

*) Denn sie an sich ist kein Verdienst sondern ein Genus; ausser durch Thaten
und Opfer.35
14. An ? [16]
[Kopie]

Die 〈Merkels〉 testimonia paupertatis und visa reperta, die er
ſich ſelbſt ausfertigt.

15. An Karoline Mayer.5

Schöne Seele! So unpartheiiſch und kalt, als hätt’ ich Sie nie
geſehen, wil ich Ihnen die Antwort meines Gewiſſens geben. Sie iſt:
Sie dürfen ſich trennen und Ihr H. Vater hat Recht.

Jede Liebe fodert eine, und die gröſte die gröſte. N. ſezte durch ſeine10
Ihre voraus; und hier iſt nur eine zweifache Wahl. Entweder Sie
ſezen durch die lange Ehe den Schein Ihrer Liebe fort — aber dieſe
lange zerrüttende Heuchelei kan die Moral nicht verlangen, ſondern
nur verbieten (und das Daſein der Liebe kan ſie nicht gebieten, da
Neigungen auſſer unſerer Wilkür liegen) ja der Gegenſtand ſelber15
müſte ſich durch ein ſolches Opfer beleidigt finden — Oder Sie be-
kennen ihm den bisherigen Schein und die Schwierigkeit der Fort-
ſezung. Ein Weſen, das dan doch das liebe-beraubte Herz an ſich reiſſen
könte und das ſeine Befriedigung mit fremder Entbehrung erkaufte,
handelte in demſelben Augenblikke unmoraliſch und ſchiede ſich20
alſo; denn einſeitige Liebe ertheilt keine Rechte*); wie ſchlim wäre
ſonſt jede ſchöne Geſtalt daran! Blos einmal hatten Sie gefehlt
und jeder Fehler zieht ſo lange Verwirrungen durch das Leben — daß
Sie nämlich nicht anfangs Ihr Herz dem N. gezeigt wie es war,
ſondern daß Sie ihn blos zum Arzte Ihres Herzens d. h. als Mittel25
brauchten. Sie können kein Wort zu halten brauchen, das eine halbe
Unwahrheit war und das eine fortdauernde fodert. Wenn die Ehe ge-
ſchieden werden kan: ſo mus die Liebe noch leichter geſchieden werden
können.

Alles was Sie noch von N. ſagen, bejahet meine Meinung. „Wer30
feſt auf der Erde klebt und auf ihr ſeine Seeligkeit erwartet“ warlich[17]
dieſer verträgt eben leichter den Verluſt der ſchönern Seele als dieſe
den ewigen der hohen Liebe, ohne welche die Erde eine abgemähte Aue

*) Denn ſie an ſich iſt kein Verdienſt ſondern ein Genus; auſſer durch Thaten
und Opfer.35
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0018" n="13"/>
      <div type="letter" n="1">
        <head>14. An ? <note place="right"><ref target="1922_Bd4_16">[16]</ref></note></head><lb/>
        <note type="editorial">[Kopie]</note>
        <dateline> <hi rendition="#right">[Berlin, 29. (?) Okt. 1800]</hi> </dateline><lb/>
        <p>Die &#x2329;Merkels&#x232A; <hi rendition="#aq">testimonia paupertatis</hi> und <hi rendition="#aq">visa reperta,</hi> die er<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t ausfertigt.</p>
      </div><lb/>
      <div type="letter" n="1">
        <head>15. An <hi rendition="#g">Karoline Mayer.</hi><lb n="5"/>
</head>
        <dateline> <hi rendition="#right"><hi rendition="#aq">B[erlin]</hi> d. 30. Okt. 1800.</hi> </dateline><lb/>
        <p>Schöne Seele! So unpartheii&#x017F;ch und kalt, als hätt&#x2019; ich Sie nie<lb/>
ge&#x017F;ehen, wil ich Ihnen die Antwort meines Gewi&#x017F;&#x017F;ens geben. Sie i&#x017F;t:<lb/>
Sie dürfen &#x017F;ich trennen und Ihr H. Vater hat Recht.</p><lb/>
        <p>Jede Liebe fodert eine, und die grö&#x017F;te die grö&#x017F;te. N. &#x017F;ezte durch &#x017F;eine<lb n="10"/>
Ihre voraus; und hier i&#x017F;t nur eine zweifache Wahl. Entweder Sie<lb/>
&#x017F;ezen durch die lange Ehe den <hi rendition="#g">Schein</hi> Ihrer Liebe fort &#x2014; aber die&#x017F;e<lb/>
lange zerrüttende Heuchelei kan die Moral nicht verlangen, &#x017F;ondern<lb/>
nur verbieten (und das Da&#x017F;ein der Liebe kan &#x017F;ie nicht gebieten, da<lb/>
Neigungen au&#x017F;&#x017F;er un&#x017F;erer Wilkür liegen) ja der Gegen&#x017F;tand &#x017F;elber<lb n="15"/>&#x017F;te &#x017F;ich durch ein &#x017F;olches Opfer beleidigt finden &#x2014; Oder Sie be-<lb/>
kennen ihm den bisherigen Schein und die Schwierigkeit der Fort-<lb/>
&#x017F;ezung. Ein We&#x017F;en, das dan doch das liebe-beraubte Herz an &#x017F;ich rei&#x017F;&#x017F;en<lb/>
könte und das &#x017F;eine Befriedigung mit fremder Entbehrung erkaufte,<lb/>
handelte in <hi rendition="#g">dem&#x017F;elben</hi> Augenblikke unmorali&#x017F;ch und &#x017F;chiede &#x017F;ich<lb n="20"/>
al&#x017F;o; denn <hi rendition="#g">ein&#x017F;eitige</hi> Liebe ertheilt keine Rechte<note place="foot" n="*)">Denn &#x017F;ie an &#x017F;ich i&#x017F;t kein Verdien&#x017F;t &#x017F;ondern ein Genus; au&#x017F;&#x017F;er durch Thaten<lb/>
und Opfer.<lb n="35"/>
</note>; wie &#x017F;chlim wäre<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t jede &#x017F;chöne Ge&#x017F;talt daran! Blos einmal hatten Sie <hi rendition="#g">gefehlt</hi> &#x2014;<lb/>
und jeder Fehler zieht &#x017F;o lange Verwirrungen durch das Leben &#x2014; daß<lb/>
Sie nämlich nicht anfangs Ihr Herz dem N. gezeigt wie es war,<lb/>
&#x017F;ondern daß Sie ihn blos zum Arzte Ihres Herzens d. h. als Mittel<lb n="25"/>
brauchten. Sie können kein Wort zu halten brauchen, das eine halbe<lb/>
Unwahrheit war und das eine fortdauernde fodert. Wenn die Ehe ge-<lb/>
&#x017F;chieden werden kan: &#x017F;o mus die Liebe noch leichter ge&#x017F;chieden werden<lb/>
können.</p><lb/>
        <p>Alles was Sie noch von N. &#x017F;agen, bejahet meine Meinung. &#x201E;Wer<lb n="30"/>
fe&#x017F;t auf der Erde klebt und auf ihr &#x017F;eine Seeligkeit erwartet&#x201C; warlich<note place="right"><ref target="1922_Bd4_17">[17]</ref></note><lb/>
die&#x017F;er verträgt eben leichter den Verlu&#x017F;t der &#x017F;chönern Seele als die&#x017F;e<lb/>
den ewigen der hohen Liebe, ohne welche die Erde eine abgemähte Aue<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[13/0018] 14. An ? [Berlin, 29. (?) Okt. 1800] Die 〈Merkels〉 testimonia paupertatis und visa reperta, die er ſich ſelbſt ausfertigt. 15. An Karoline Mayer. 5 B[erlin] d. 30. Okt. 1800. Schöne Seele! So unpartheiiſch und kalt, als hätt’ ich Sie nie geſehen, wil ich Ihnen die Antwort meines Gewiſſens geben. Sie iſt: Sie dürfen ſich trennen und Ihr H. Vater hat Recht. Jede Liebe fodert eine, und die gröſte die gröſte. N. ſezte durch ſeine 10 Ihre voraus; und hier iſt nur eine zweifache Wahl. Entweder Sie ſezen durch die lange Ehe den Schein Ihrer Liebe fort — aber dieſe lange zerrüttende Heuchelei kan die Moral nicht verlangen, ſondern nur verbieten (und das Daſein der Liebe kan ſie nicht gebieten, da Neigungen auſſer unſerer Wilkür liegen) ja der Gegenſtand ſelber 15 müſte ſich durch ein ſolches Opfer beleidigt finden — Oder Sie be- kennen ihm den bisherigen Schein und die Schwierigkeit der Fort- ſezung. Ein Weſen, das dan doch das liebe-beraubte Herz an ſich reiſſen könte und das ſeine Befriedigung mit fremder Entbehrung erkaufte, handelte in demſelben Augenblikke unmoraliſch und ſchiede ſich 20 alſo; denn einſeitige Liebe ertheilt keine Rechte *); wie ſchlim wäre ſonſt jede ſchöne Geſtalt daran! Blos einmal hatten Sie gefehlt — und jeder Fehler zieht ſo lange Verwirrungen durch das Leben — daß Sie nämlich nicht anfangs Ihr Herz dem N. gezeigt wie es war, ſondern daß Sie ihn blos zum Arzte Ihres Herzens d. h. als Mittel 25 brauchten. Sie können kein Wort zu halten brauchen, das eine halbe Unwahrheit war und das eine fortdauernde fodert. Wenn die Ehe ge- ſchieden werden kan: ſo mus die Liebe noch leichter geſchieden werden können. Alles was Sie noch von N. ſagen, bejahet meine Meinung. „Wer 30 feſt auf der Erde klebt und auf ihr ſeine Seeligkeit erwartet“ warlich dieſer verträgt eben leichter den Verluſt der ſchönern Seele als dieſe den ewigen der hohen Liebe, ohne welche die Erde eine abgemähte Aue [17] *) Denn ſie an ſich iſt kein Verdienſt ſondern ein Genus; auſſer durch Thaten und Opfer. 35

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:08:29Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:08:29Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960/18
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960/18>, abgerufen am 21.11.2024.