Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960.Ich will Sie jezt so anreden: warmer guter lieber schwarzäugiger, *455. An Emilie Harmes in Boitzenburg. Coburg d. 27 März 1804.Ausser der Gewißheit Ihrer Erscheinung konnte mir nichts so über-5 Unsere himmlische Gegend wird Sie, zumal nach der kalten leeren Ueber den Titan wollen wir viel reden. Linda mußte fallen; und Sie Mit meinem Herder starb mir Weimar und fast die ganze idealische35 Ich will Sie jezt ſo anreden: warmer guter lieber ſchwarzäugiger, *455. An Emilie Harmes in Boitzenburg. Coburg d. 27 März 1804.Auſſer der Gewißheit Ihrer Erſcheinung konnte mir nichts ſo über-5 Unſere himmliſche Gegend wird Sie, zumal nach der kalten leeren Ueber den Titan wollen wir viel reden. Linda mußte fallen; und Sie Mit meinem Herder ſtarb mir Weimar und faſt die ganze idealiſche35 <TEI> <text> <body> <div type="letter" n="1"> <pb facs="#f0297" n="285"/> <postscript> <p>Ich will Sie jezt ſo anreden: warmer guter lieber ſchwarzäugiger,<lb/> langer, ſcharfer warmer lieber guter <hi rendition="#aq">Emanuel.</hi></p> </postscript> </div><lb/> <div type="letter" n="1"> <head>*455. An <hi rendition="#g">Emilie Harmes in Boitzenburg.</hi></head><lb/> <dateline> <hi rendition="#right"><hi rendition="#aq">Coburg</hi> d. 27 März 1804.</hi> </dateline><lb/> <p>Auſſer der Gewißheit Ihrer Erſcheinung konnte mir nichts ſo über-<lb n="5"/> raſchend erfreulich ſein als Ihr Brief voll alter ſchöner Zeit, vor-<lb/> treffliche Freundin; und er hat mir die reichſte Nachfeier meines<lb/> Geburtstages gegeben. Mit alter und neuer Entzückung zugleich werd’<lb/> ich Sie wiederſehen; und ich glaube ſchöner und beſſer als je. So<lb/> zerflattert wie in Leipzig bin ich nicht mehr; manche Veränderungen<lb n="10"/> ſind hoffentlich zu Aehnlichkeiten mit Ihnen geworden; z. B. über die<lb/> Mine unter Europa, über Frankreich ſtreit’ ich jetzt nicht mehr wie<lb/> ſonſt gegen Sie, ſondern für Sie. Ganze Bücher, ein ganzes Leben<lb/> haben wir uns zu ſagen; und ich freue mich unſäglich auf unſern<lb/> Zuſammenklang. Meine Frau wird durch die moraliſche Idealität<lb n="15"/> ihres Sinns gewiß Ihre Liebe gewinnen, und dadurch einen Himmel<lb/> der Sympathie, welchen die hieſige platte matte Weiberwelt ihr ver-<lb/> ſperrt. Bei meinem Mädchen und Knaben werden Sie wie der Vater —<lb/> (der ein kleiner Kinder- und Erziehungs Narr geworden und in ſchwer-<lb/> ſten Arbeiten die Emma um ſich hat) — nicht wiſſen, welches das<lb n="20"/> ſchönere oder geſundere iſt; und ich hoffe, daß ich Ihnen Beweiſe der<lb/> ſtrengen Kunſt zu einer rein-menſchlichen Erziehung durch meine Emma<lb/> geben kann.</p><lb/> <p>Unſere himmliſche Gegend wird Sie, zumal nach der kalten leeren<lb/> Tenne Ihrer Gegend, wie mit Eden-Blütengärten umfangen. Das<lb n="25"/> Hauß Ihrer Frau Tochter iſt das ſchönſte der Gegend.</p><lb/> <p>Ueber den <hi rendition="#aq">Titan</hi> wollen wir viel reden. Linda mußte fallen; und Sie<lb/> ſchmeicheln nicht ſich ſondern ihr mit zu vieler Aehnlichkeit. Zu Oſtern<lb/> kommen von mir <hi rendition="#g">Flegelj</hi>ahre — zu Michaelis äſthetiſche Program-<lb/> men, welche mehr für Ihre Seele geben werden. Ihren Gemahl wünſch’<lb n="30"/> ich unbeſchreiblich gern zu ſehen, ſchon weil er der <hi rendition="#g">erſte</hi> Mann iſt,<lb/> der Sie glücklich gemacht; denn die andern haben immer den Himmel<lb/> in einige Hölle gegoſſen und ſo eingegeben. Und alle Schilderungen<lb/> legen ihm den Ehren-Namen <hi rendition="#g">Mann</hi> im höheren Sinne bei.</p><lb/> <p>Mit meinem Herder ſtarb mir Weimar und faſt die ganze idealiſche<lb n="35"/> Zukunft. Sein Grab wirft nun einen langen Schatten, der mich und<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [285/0297]
Ich will Sie jezt ſo anreden: warmer guter lieber ſchwarzäugiger,
langer, ſcharfer warmer lieber guter Emanuel.
*455. An Emilie Harmes in Boitzenburg.
Coburg d. 27 März 1804.
Auſſer der Gewißheit Ihrer Erſcheinung konnte mir nichts ſo über- 5
raſchend erfreulich ſein als Ihr Brief voll alter ſchöner Zeit, vor-
treffliche Freundin; und er hat mir die reichſte Nachfeier meines
Geburtstages gegeben. Mit alter und neuer Entzückung zugleich werd’
ich Sie wiederſehen; und ich glaube ſchöner und beſſer als je. So
zerflattert wie in Leipzig bin ich nicht mehr; manche Veränderungen 10
ſind hoffentlich zu Aehnlichkeiten mit Ihnen geworden; z. B. über die
Mine unter Europa, über Frankreich ſtreit’ ich jetzt nicht mehr wie
ſonſt gegen Sie, ſondern für Sie. Ganze Bücher, ein ganzes Leben
haben wir uns zu ſagen; und ich freue mich unſäglich auf unſern
Zuſammenklang. Meine Frau wird durch die moraliſche Idealität 15
ihres Sinns gewiß Ihre Liebe gewinnen, und dadurch einen Himmel
der Sympathie, welchen die hieſige platte matte Weiberwelt ihr ver-
ſperrt. Bei meinem Mädchen und Knaben werden Sie wie der Vater —
(der ein kleiner Kinder- und Erziehungs Narr geworden und in ſchwer-
ſten Arbeiten die Emma um ſich hat) — nicht wiſſen, welches das 20
ſchönere oder geſundere iſt; und ich hoffe, daß ich Ihnen Beweiſe der
ſtrengen Kunſt zu einer rein-menſchlichen Erziehung durch meine Emma
geben kann.
Unſere himmliſche Gegend wird Sie, zumal nach der kalten leeren
Tenne Ihrer Gegend, wie mit Eden-Blütengärten umfangen. Das 25
Hauß Ihrer Frau Tochter iſt das ſchönſte der Gegend.
Ueber den Titan wollen wir viel reden. Linda mußte fallen; und Sie
ſchmeicheln nicht ſich ſondern ihr mit zu vieler Aehnlichkeit. Zu Oſtern
kommen von mir Flegeljahre — zu Michaelis äſthetiſche Program-
men, welche mehr für Ihre Seele geben werden. Ihren Gemahl wünſch’ 30
ich unbeſchreiblich gern zu ſehen, ſchon weil er der erſte Mann iſt,
der Sie glücklich gemacht; denn die andern haben immer den Himmel
in einige Hölle gegoſſen und ſo eingegeben. Und alle Schilderungen
legen ihm den Ehren-Namen Mann im höheren Sinne bei.
Mit meinem Herder ſtarb mir Weimar und faſt die ganze idealiſche 35
Zukunft. Sein Grab wirft nun einen langen Schatten, der mich und
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(2016-11-22T15:08:29Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Weitere Informationen:Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen). Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
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