Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960.Protestantismus bewundert. Ich hätte nur das zu sagen: du hast -- Noch hab ich Reinholds Aufsaz nicht; ich bitte dich, Guter, Lasse mir nur für die Palingenesie des Aufsazes für das Taschenbuch Fichten -- mit seiner Granitstirn und Nase, so knochig und felsern Ich bin zweifelhaft, ob ich in dein Taschenbuch nicht einen komisch- Proteſtantiſmus bewundert. Ich hätte nur das zu ſagen: du haſt — Noch hab ich Reinholds Aufſaz nicht; ich bitte dich, Guter, Laſſe mir nur für die Palingeneſie des Aufſazes für das Taſchenbuch Fichten — mit ſeiner Granitſtirn und Naſe, ſo knochig und felſern Ich bin zweifelhaft, ob ich in dein Taſchenbuch nicht einen komiſch- <TEI> <text> <body> <div type="letter" n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0052" n="46"/> Proteſtantiſmus bewundert. Ich hätte nur das zu ſagen: du haſt<lb/> weniger den katholiſchen als den lutheriſchen St. zu verdammen — was<lb/> in ſeiner Apoſtaſie den Giftſtof bildet, iſt die vorige Giftbaumswurzel,<lb/> die ja ohne jene, (das verhüllende Laub derſelben) da war, die ein-<lb/> äugige Leidenſchaftlichkeit. Und zweitens bedenke, wie der ätheriſche<lb n="5"/> <hi rendition="#aq">Fenelon</hi> den Papiſmus nicht nur gegen <hi rendition="#aq">Ramsay</hi> vertheidigte ſondern<lb/><note place="left"><ref target="1922_Bd4_52">[52]</ref></note>auch für oder unter <hi rendition="#aq">Bossuet</hi> ertrug; und noch das, daß wenn die ſtille<lb/> lange Wirkung der Erziehung bei Fenelon etwas entſchuldigt, auch<lb/> die eben ſo lange der innern fehlerhaften Textur etwas für <hi rendition="#aq">St.</hi> gelten<lb/> müſſe. Stolbergs Fehler iſt freilich weniger, daß er ein Päbſtler wurde<lb n="10"/> als daß er nie etwas beſſeres war; und ſein Übertrit iſt mehr prote-<lb/> ſtierend als katholizierend. Gleichwohl mus jedes Herz auf der Seite<lb/> des deinigen ſein; den herben Schmerz nicht einmal gerechnet, den<lb/> dieſes monachaliſche lebendige Einmauern eines geliebten Freundes<lb/> gab.<lb n="15"/> </p> <p>— Noch hab ich Reinholds Aufſaz nicht; ich bitte dich, Guter,<lb/> geradezu um den deinigen, ob ich dir gleich noch nichts gegeben.</p><lb/> <p>Laſſe mir nur für die Palingeneſie des Aufſazes für das Taſchenbuch<lb/> die Friſt bis nach Endigung meines 2<hi rendition="#sup">ten</hi> Titans Bandes zu. <hi rendition="#g">Gewis</hi><lb/> bekomſt du einen; hebe mir darin den Winter auf, damit es nicht zu<lb n="20"/> ſpät ſei, wenn ich erſt im Frühling komme.</p><lb/> <p><hi rendition="#aq">Fichten</hi> — mit ſeiner Granitſtirn und Naſe, ſo knochig und felſern<lb/> wie die wenigen Geſichter, die alles ändern, nur nicht ſich — hab’ ich<lb/> bei <hi rendition="#aq">Fesler</hi> nach meiner Art freundlich um 11 Uhr abends (ich kam<lb/> aus einem gelehrten Kränzgen, in dem wie in jedem gelehrten hier<lb n="25"/> nur Blätter ohne Blumen waren) angeſprochen und mit ihm <formula notation="TeX">\nicefrac{5}{4}</formula> Stun-<lb/> den lang diſputiert, aber doch ſo daß er mich beſuchen wil; er ſagte,<lb/> da ich ihm vorwarf, was er gegen den Realiſmus philoſophiſch ſage,<lb/> ſei früher ſchon in deinem <hi rendition="#aq">Hume</hi> wörtlich geſagt, „er ehre und liebe<lb/> „und leſe dich ſehr, halte dich für den gröſten Kopf, aber alles warum<lb n="30"/> „du den R[ealiſmus] doch annähmeſt und was du dafür ſagteſt,<lb/> „ſei ihm gänzlich dunkel und unbegreiflich“. Einſeitig iſt er bis zur<lb/> Magerheit des Sinnes. Aber gleichwohl bleibt ſein Geſicht herlich<lb/> und (wie das Rückenmark) eine Fortſezung oder Ankündigung des<lb/> Gehirns.<lb n="35"/> </p> <p>Ich bin zweifelhaft, ob ich in dein Taſchenbuch nicht einen komiſch-<lb/><hi rendition="#g">ernſten</hi> Aufſaz über die Reliquien gebe.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [46/0052]
Proteſtantiſmus bewundert. Ich hätte nur das zu ſagen: du haſt
weniger den katholiſchen als den lutheriſchen St. zu verdammen — was
in ſeiner Apoſtaſie den Giftſtof bildet, iſt die vorige Giftbaumswurzel,
die ja ohne jene, (das verhüllende Laub derſelben) da war, die ein-
äugige Leidenſchaftlichkeit. Und zweitens bedenke, wie der ätheriſche 5
Fenelon den Papiſmus nicht nur gegen Ramsay vertheidigte ſondern
auch für oder unter Bossuet ertrug; und noch das, daß wenn die ſtille
lange Wirkung der Erziehung bei Fenelon etwas entſchuldigt, auch
die eben ſo lange der innern fehlerhaften Textur etwas für St. gelten
müſſe. Stolbergs Fehler iſt freilich weniger, daß er ein Päbſtler wurde 10
als daß er nie etwas beſſeres war; und ſein Übertrit iſt mehr prote-
ſtierend als katholizierend. Gleichwohl mus jedes Herz auf der Seite
des deinigen ſein; den herben Schmerz nicht einmal gerechnet, den
dieſes monachaliſche lebendige Einmauern eines geliebten Freundes
gab. 15
[52]— Noch hab ich Reinholds Aufſaz nicht; ich bitte dich, Guter,
geradezu um den deinigen, ob ich dir gleich noch nichts gegeben.
Laſſe mir nur für die Palingeneſie des Aufſazes für das Taſchenbuch
die Friſt bis nach Endigung meines 2ten Titans Bandes zu. Gewis
bekomſt du einen; hebe mir darin den Winter auf, damit es nicht zu 20
ſpät ſei, wenn ich erſt im Frühling komme.
Fichten — mit ſeiner Granitſtirn und Naſe, ſo knochig und felſern
wie die wenigen Geſichter, die alles ändern, nur nicht ſich — hab’ ich
bei Fesler nach meiner Art freundlich um 11 Uhr abends (ich kam
aus einem gelehrten Kränzgen, in dem wie in jedem gelehrten hier 25
nur Blätter ohne Blumen waren) angeſprochen und mit ihm [FORMEL] Stun-
den lang diſputiert, aber doch ſo daß er mich beſuchen wil; er ſagte,
da ich ihm vorwarf, was er gegen den Realiſmus philoſophiſch ſage,
ſei früher ſchon in deinem Hume wörtlich geſagt, „er ehre und liebe
„und leſe dich ſehr, halte dich für den gröſten Kopf, aber alles warum 30
„du den R[ealiſmus] doch annähmeſt und was du dafür ſagteſt,
„ſei ihm gänzlich dunkel und unbegreiflich“. Einſeitig iſt er bis zur
Magerheit des Sinnes. Aber gleichwohl bleibt ſein Geſicht herlich
und (wie das Rückenmark) eine Fortſezung oder Ankündigung des
Gehirns. 35
Ich bin zweifelhaft, ob ich in dein Taſchenbuch nicht einen komiſch-
ernſten Aufſaz über die Reliquien gebe.
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(2016-11-22T15:08:29Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Weitere Informationen:Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen). Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
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