Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 5. Berlin, 1961.

Bild:
<< vorherige Seite

groll, können, so wie die Abdankung, seine redliche Seele und über-
wallende Herzlichkeit assekurieren. Er wollte sogar unter dem abge-
schabten Namen H. Redlich*) reisen, von welchem ich ihn erst durch
vieles Loben der jetzigen Welt abbrachte. --

Wie kamst und kommst du über diesen Sommer hinweg, der mit5
allen seinen Farben doch nur eine schillernde Giftschlange der
Nerven ist? -- Ich werde dir vielleicht von meiner Frau redlich
meine im März in der hiesigen Harmonie (einem Klubb) ange-
hangene Prophezeiung kopieren lassen, damit du siehst, wie viele
meiner Lichter ich noch unter den Scheffel stecke.10

Ganz wie du; denn erst neulich fand ich im wiedergelesenen alten
Museum zwei anonyme Aufsätze, einen über das: Etwas über
Lessing und einen über die lettres de cachets, welche durchaus
von dir sein müssen, oder mein Genuß war der schlechteste Telegraph
seines Wirths von der Welt.15

Ich wünschte, ich wüßte noch meine Lobrede auswendig, die ich
dir vor Jahren über den Manns-Stil, die Manns-Kraft und das
Geschichts-Auge deiner Antritts-Rede halten wollte; jetzt hab' ich
alles vergessen. Sage mir lieber selber als Selbstkenner, war sie
denn wirklich so vortrefflich als ich und meine Bekannten sie ge-20
funden? Hätten wir Recht, so sind wir auch mit Recht auf deine
andern Reden und auf deine (verkündigten) Anmerkungen zu Schel-
lings Rede begierig, dessen Flügeldecken noch auf keinem seiner Flügel
so glatt und golden lagen; nur daß er oft seine Augen zu weit in die
Fühlhörner zurückzieht (vergib die allegorische Mixtur, ich trenne25
sonst leicht Käfer und Schnecken). Damals wollt' ich dir auch einige
seiner leeren Wagen -- ein metaphysischer und ein Krönungsaufzug
verlangen durchaus einige leere Zeremoniewagen -- namhaft
machen, um dir zu zeigen, daß ich hineingesehen.

Über das politische Jetzt möcht' ich dich vor allen in Europa am30
ersten hören. Freilich eh' ich mich selber darüber hören lassen in
meiner Friedenspredigt, wär' es noch zehnmal besser gewesen.
Geschichte -- Geschäfte, ein philosophisches rechtes, ein poetisches
linkes Auge -- und die Ahnung und Pflege der sittlichen Welt -- --

*) Er nahm dafür seinen alten wieder an, den er in Amerika und unter seinen35
literarischen Arbeiten geführt, Patrick Peale.
15*

groll, können, ſo wie die Abdankung, ſeine redliche Seele und über-
wallende Herzlichkeit aſſekurieren. Er wollte ſogar unter dem abge-
ſchabten Namen H. Redlich*) reiſen, von welchem ich ihn erſt durch
vieles Loben der jetzigen Welt abbrachte. —

Wie kamſt und kommſt du über dieſen Sommer hinweg, der mit5
allen ſeinen Farben doch nur eine ſchillernde Giftſchlange der
Nerven iſt? — Ich werde dir vielleicht von meiner Frau redlich
meine im März in der hieſigen Harmonie (einem Klubb) ange-
hangene Prophezeiung kopieren laſſen, damit du ſiehſt, wie viele
meiner Lichter ich noch unter den Scheffel ſtecke.10

Ganz wie du; denn erſt neulich fand ich im wiedergeleſenen alten
Muſeum zwei anonyme Aufſätze, einen über das: Etwas über
Leſſing und einen über die lettres de cachets, welche durchaus
von dir ſein müſſen, oder mein Genuß war der ſchlechteſte Telegraph
ſeines Wirths von der Welt.15

Ich wünſchte, ich wüßte noch meine Lobrede auswendig, die ich
dir vor Jahren über den Manns-Stil, die Manns-Kraft und das
Geſchichts-Auge deiner Antritts-Rede halten wollte; jetzt hab’ ich
alles vergeſſen. Sage mir lieber ſelber als Selbſtkenner, war ſie
denn wirklich ſo vortrefflich als ich und meine Bekannten ſie ge-20
funden? Hätten wir Recht, ſo ſind wir auch mit Recht auf deine
andern Reden und auf deine (verkündigten) Anmerkungen zu Schel-
lings Rede begierig, deſſen Flügeldecken noch auf keinem ſeiner Flügel
ſo glatt und golden lagen; nur daß er oft ſeine Augen zu weit in die
Fühlhörner zurückzieht (vergib die allegoriſche Mixtur, ich trenne25
ſonſt leicht Käfer und Schnecken). Damals wollt’ ich dir auch einige
ſeiner leeren Wagen — ein metaphyſiſcher und ein Krönungsaufzug
verlangen durchaus einige leere Zeremoniewagen — namhaft
machen, um dir zu zeigen, daß ich hineingeſehen.

Über das politiſche Jetzt möcht’ ich dich vor allen in Europa am30
erſten hören. Freilich eh’ ich mich ſelber darüber hören laſſen in
meiner Friedenspredigt, wär’ es noch zehnmal beſſer geweſen.
Geſchichte — Geſchäfte, ein philoſophiſches rechtes, ein poetiſches
linkes Auge — und die Ahnung und Pflege der ſittlichen Welt — —

*) Er nahm dafür ſeinen alten wieder an, den er in Amerika und unter ſeinen35
literariſchen Arbeiten geführt, Patrick Peale.
15*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <p><pb facs="#f0243" n="227"/>
groll, können, &#x017F;o wie die Abdankung, &#x017F;eine redliche Seele und über-<lb/>
wallende Herzlichkeit a&#x017F;&#x017F;ekurieren. Er wollte &#x017F;ogar unter dem abge-<lb/>
&#x017F;chabten Namen H. Redlich<note place="foot" n="*)">Er nahm dafür &#x017F;einen alten wieder an, den er in Amerika und unter &#x017F;einen<lb n="35"/>
literari&#x017F;chen Arbeiten geführt, Patrick Peale.</note> rei&#x017F;en, von welchem ich ihn er&#x017F;t durch<lb/>
vieles Loben der jetzigen Welt abbrachte. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Wie kam&#x017F;t und komm&#x017F;t du über die&#x017F;en Sommer hinweg, der mit<lb n="5"/>
allen &#x017F;einen Farben doch nur eine &#x017F;chillernde Gift&#x017F;chlange der<lb/>
Nerven i&#x017F;t? &#x2014; Ich werde dir vielleicht von meiner Frau <hi rendition="#g">redlich</hi><lb/>
meine im März in der hie&#x017F;igen Harmonie (einem Klubb) ange-<lb/>
hangene Prophezeiung kopieren la&#x017F;&#x017F;en, damit du &#x017F;ieh&#x017F;t, wie viele<lb/>
meiner Lichter ich noch unter den Scheffel &#x017F;tecke.<lb n="10"/>
</p>
        <p>Ganz wie du; denn er&#x017F;t neulich fand ich im wiedergele&#x017F;enen alten<lb/>
Mu&#x017F;eum zwei anonyme Auf&#x017F;ätze, einen über das: Etwas über<lb/>
Le&#x017F;&#x017F;ing und einen über die <hi rendition="#aq">lettres de cachets,</hi> welche durchaus<lb/>
von dir &#x017F;ein mü&#x017F;&#x017F;en, oder mein Genuß war der &#x017F;chlechte&#x017F;te Telegraph<lb/>
&#x017F;eines Wirths von der Welt.<lb n="15"/>
</p>
        <p>Ich wün&#x017F;chte, ich wüßte noch meine Lobrede auswendig, die ich<lb/>
dir vor Jahren über den Manns-Stil, die Manns-Kraft und das<lb/>
Ge&#x017F;chichts-Auge deiner Antritts-Rede halten wollte; jetzt hab&#x2019; ich<lb/>
alles verge&#x017F;&#x017F;en. Sage mir lieber &#x017F;elber als Selb&#x017F;tkenner, war &#x017F;ie<lb/>
denn wirklich &#x017F;o vortrefflich als ich und meine Bekannten &#x017F;ie ge-<lb n="20"/>
funden? Hätten wir Recht, &#x017F;o &#x017F;ind wir auch mit Recht auf deine<lb/>
andern Reden und auf deine (verkündigten) Anmerkungen zu Schel-<lb/>
lings Rede begierig, de&#x017F;&#x017F;en Flügeldecken noch auf keinem &#x017F;einer Flügel<lb/>
&#x017F;o glatt und golden lagen; nur daß er oft &#x017F;eine Augen zu weit in die<lb/>
Fühlhörner zurückzieht (vergib die allegori&#x017F;che Mixtur, ich trenne<lb n="25"/>
&#x017F;on&#x017F;t leicht Käfer und Schnecken). Damals wollt&#x2019; ich dir auch einige<lb/>
&#x017F;einer <hi rendition="#g">leeren</hi> Wagen &#x2014; ein metaphy&#x017F;i&#x017F;cher und ein Krönungsaufzug<lb/>
verlangen durchaus einige leere Zeremoniewagen &#x2014; namhaft<lb/>
machen, um dir zu zeigen, daß ich hineinge&#x017F;ehen.</p><lb/>
        <p>Über das politi&#x017F;che Jetzt möcht&#x2019; ich dich vor allen in Europa am<lb n="30"/>
er&#x017F;ten hören. Freilich eh&#x2019; ich mich &#x017F;elber darüber hören la&#x017F;&#x017F;en in<lb/>
meiner Friedenspredigt, wär&#x2019; es noch zehnmal be&#x017F;&#x017F;er gewe&#x017F;en.<lb/>
Ge&#x017F;chichte &#x2014; Ge&#x017F;chäfte, ein philo&#x017F;ophi&#x017F;ches rechtes, ein poeti&#x017F;ches<lb/>
linkes Auge &#x2014; und die Ahnung und Pflege der &#x017F;ittlichen Welt &#x2014; &#x2014;<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">15*</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[227/0243] groll, können, ſo wie die Abdankung, ſeine redliche Seele und über- wallende Herzlichkeit aſſekurieren. Er wollte ſogar unter dem abge- ſchabten Namen H. Redlich *) reiſen, von welchem ich ihn erſt durch vieles Loben der jetzigen Welt abbrachte. — Wie kamſt und kommſt du über dieſen Sommer hinweg, der mit 5 allen ſeinen Farben doch nur eine ſchillernde Giftſchlange der Nerven iſt? — Ich werde dir vielleicht von meiner Frau redlich meine im März in der hieſigen Harmonie (einem Klubb) ange- hangene Prophezeiung kopieren laſſen, damit du ſiehſt, wie viele meiner Lichter ich noch unter den Scheffel ſtecke. 10 Ganz wie du; denn erſt neulich fand ich im wiedergeleſenen alten Muſeum zwei anonyme Aufſätze, einen über das: Etwas über Leſſing und einen über die lettres de cachets, welche durchaus von dir ſein müſſen, oder mein Genuß war der ſchlechteſte Telegraph ſeines Wirths von der Welt. 15 Ich wünſchte, ich wüßte noch meine Lobrede auswendig, die ich dir vor Jahren über den Manns-Stil, die Manns-Kraft und das Geſchichts-Auge deiner Antritts-Rede halten wollte; jetzt hab’ ich alles vergeſſen. Sage mir lieber ſelber als Selbſtkenner, war ſie denn wirklich ſo vortrefflich als ich und meine Bekannten ſie ge- 20 funden? Hätten wir Recht, ſo ſind wir auch mit Recht auf deine andern Reden und auf deine (verkündigten) Anmerkungen zu Schel- lings Rede begierig, deſſen Flügeldecken noch auf keinem ſeiner Flügel ſo glatt und golden lagen; nur daß er oft ſeine Augen zu weit in die Fühlhörner zurückzieht (vergib die allegoriſche Mixtur, ich trenne 25 ſonſt leicht Käfer und Schnecken). Damals wollt’ ich dir auch einige ſeiner leeren Wagen — ein metaphyſiſcher und ein Krönungsaufzug verlangen durchaus einige leere Zeremoniewagen — namhaft machen, um dir zu zeigen, daß ich hineingeſehen. Über das politiſche Jetzt möcht’ ich dich vor allen in Europa am 30 erſten hören. Freilich eh’ ich mich ſelber darüber hören laſſen in meiner Friedenspredigt, wär’ es noch zehnmal beſſer geweſen. Geſchichte — Geſchäfte, ein philoſophiſches rechtes, ein poetiſches linkes Auge — und die Ahnung und Pflege der ſittlichen Welt — — *) Er nahm dafür ſeinen alten wieder an, den er in Amerika und unter ſeinen 35 literariſchen Arbeiten geführt, Patrick Peale. 15*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:13:57Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:13:57Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe05_1961
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe05_1961/243
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 5. Berlin, 1961, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe05_1961/243>, abgerufen am 28.11.2024.