Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 5. Berlin, 1961.seine Behauptung, er werde nicht verstanden, bauete er die, man solle Könntest denn du nicht den bequemen Weg von Weimar über Denn den ersten hoff' ich jetzt auf diesen endlich einmal von dir Dein J. P. F. Richter. *) Ja es sei, daß ihn nie jemand verstanden; folgt denn daraus, daß er immer5 etwas anderes dachte als man an ihm widerlegte, daß dieses andere ein Wahres sei? **) Er klagt, daß jetzt niemand lese; dieses beweiset er so gut man es selber kann;
indem er selber nichts lieset. ſeine Behauptung, er werde nicht verſtanden, bauete er die, man ſolle Könnteſt denn du nicht den bequemen Weg von Weimar über Denn den erſten hoff’ ich jetzt auf dieſen endlich einmal von dir Dein J. P. F. Richter. *) Ja es ſei, daß ihn nie jemand verſtanden; folgt denn daraus, daß er immer5 etwas anderes dachte als man an ihm widerlegte, daß dieſes andere ein Wahres ſei? **) Er klagt, daß jetzt niemand leſe; dieſes beweiſet er ſo gut man es ſelber kann;
indem er ſelber nichts lieſet. <TEI> <text> <body> <div type="letter" n="1"> <div> <p><pb facs="#f0054" n="41"/> ſeine Behauptung, er werde nicht verſtanden, bauete er die, man ſolle<lb/> alſo nicht gegen ihn ſchreiben; und ich konnte ihm nicht beibringen,<lb/> daß jeder Syſtematiker, der einen Radikal-Angriff erlebe, daſſelbe<lb/> Nicht-Verſtehen, ſobald er unüberzeugt bleibe, eben ſo voraus ſetzen<lb/> und anbauen dürfe u. ſ. w.<note place="foot" n="*)">Ja es ſei, daß ihn <hi rendition="#g">nie</hi> jemand verſtanden; folgt denn daraus, daß er immer<lb n="5"/> etwas anderes dachte als man an ihm widerlegte, daß dieſes andere ein Wahres<lb/> ſei?</note> Ein wenig an Achtung für ſeine mora-<lb n="35"/> liſche Seite hat er dieß mal bei mir eingebüßt; nämlich vor einer<lb/> großen Geſellſchaft ſagte er mir, nur das Blatt von <hi rendition="#aq">Monsieur</hi> im<lb/><hi rendition="#aq">Clavis</hi> hab’ er geleſen — dann zwang ich ihn durch Vorrückung<lb/> ſeines öffentlichen Urtheils darüber (aber erſt nach ſeinem langen<lb/> Fortbehaupten der erſten Lüge) zum Bekenntniß das ja eben auch ge-<lb n="10"/> druckt iſt, daß er darin den Einwand aus der Sprache hergenommen<lb/> geleſen — und zuletzt hatt’ er nach kahlen Ausbeugungen eben alles<lb/> durch gelaufen, nur ſich nicht gleich beſonnen. Hier wurd’ ich etwas<lb/> faſt ungeſellig-hart und aufgebracht. Doch zuletzt gaben wir einander<lb/> wieder die <hi rendition="#g">Schreib-</hi>Hand. Er hat ein wenig zu ſehr bloße <hi rendition="#g">Zuhörer</hi><lb n="15"/> gewohnt. Du wirſt alle deine philoſophiſche Allſeitigkeit anwenden<lb/> müſſen, um — nicht dich in ſeine Stelle, ſondern — ihn in deine zu<lb/> verſetzen. — Nicht bloß aber ſittlich, ſondern auch logiſch wider-<lb/> ſprach er ſich dieſe wenigen Stunden mehrmals aus Rechthaberei<lb/> oder Verdunklung durch ſeine (ſchöne) Tiefe. Wer ſich bis zum<lb n="20"/> Mittelpunkt der Welt hinunter gegraben, kann ſich freilich nicht<lb/> viel Platz und Oeffnung dazu machen.<note place="foot" n="**)">Er klagt, daß jetzt niemand leſe; dieſes beweiſet er ſo gut man es ſelber kann;<lb/> indem er ſelber nichts lieſet.</note></p><lb/> <p>Könnteſt denn du nicht den bequemen Weg von <hi rendition="#aq">Weimar</hi> über<lb/><hi rendition="#aq">Gotha, Meiningen, Coburg — — — — Bamberg, <hi rendition="#g">Erlangen</hi></hi><lb/> nehmen? Und mir dann im zweiten Briefe deine Begegnungs-<lb n="25"/> Geſchichte ſchreiben?</p><lb/> <p>Denn den erſten hoff’ ich jetzt auf dieſen endlich einmal von dir<lb/> zu haben, lieber Heinrich, wenn es dich in deinen Scheidens-Martern<lb/> nicht mit einer neuen belädt. So <hi rendition="#g">fahre</hi> denn wol, Ferner, Kommen-<lb/> der, (und <hi rendition="#g">Nächſter</hi> auf eine oder die andere oder beide Weiſen). —<lb n="30"/> </p> <closer> <salute> <hi rendition="#right">Dein<lb/> J. P. F. Richter.</hi> </salute> </closer> </div> </div><lb/> </body> </text> </TEI> [41/0054]
ſeine Behauptung, er werde nicht verſtanden, bauete er die, man ſolle
alſo nicht gegen ihn ſchreiben; und ich konnte ihm nicht beibringen,
daß jeder Syſtematiker, der einen Radikal-Angriff erlebe, daſſelbe
Nicht-Verſtehen, ſobald er unüberzeugt bleibe, eben ſo voraus ſetzen
und anbauen dürfe u. ſ. w. *) Ein wenig an Achtung für ſeine mora- 35
liſche Seite hat er dieß mal bei mir eingebüßt; nämlich vor einer
großen Geſellſchaft ſagte er mir, nur das Blatt von Monsieur im
Clavis hab’ er geleſen — dann zwang ich ihn durch Vorrückung
ſeines öffentlichen Urtheils darüber (aber erſt nach ſeinem langen
Fortbehaupten der erſten Lüge) zum Bekenntniß das ja eben auch ge- 10
druckt iſt, daß er darin den Einwand aus der Sprache hergenommen
geleſen — und zuletzt hatt’ er nach kahlen Ausbeugungen eben alles
durch gelaufen, nur ſich nicht gleich beſonnen. Hier wurd’ ich etwas
faſt ungeſellig-hart und aufgebracht. Doch zuletzt gaben wir einander
wieder die Schreib-Hand. Er hat ein wenig zu ſehr bloße Zuhörer 15
gewohnt. Du wirſt alle deine philoſophiſche Allſeitigkeit anwenden
müſſen, um — nicht dich in ſeine Stelle, ſondern — ihn in deine zu
verſetzen. — Nicht bloß aber ſittlich, ſondern auch logiſch wider-
ſprach er ſich dieſe wenigen Stunden mehrmals aus Rechthaberei
oder Verdunklung durch ſeine (ſchöne) Tiefe. Wer ſich bis zum 20
Mittelpunkt der Welt hinunter gegraben, kann ſich freilich nicht
viel Platz und Oeffnung dazu machen. **)
Könnteſt denn du nicht den bequemen Weg von Weimar über
Gotha, Meiningen, Coburg — — — — Bamberg, Erlangen
nehmen? Und mir dann im zweiten Briefe deine Begegnungs- 25
Geſchichte ſchreiben?
Denn den erſten hoff’ ich jetzt auf dieſen endlich einmal von dir
zu haben, lieber Heinrich, wenn es dich in deinen Scheidens-Martern
nicht mit einer neuen belädt. So fahre denn wol, Ferner, Kommen-
der, (und Nächſter auf eine oder die andere oder beide Weiſen). — 30
Dein
J. P. F. Richter.
*) Ja es ſei, daß ihn nie jemand verſtanden; folgt denn daraus, daß er immer 5
etwas anderes dachte als man an ihm widerlegte, daß dieſes andere ein Wahres
ſei?
**) Er klagt, daß jetzt niemand leſe; dieſes beweiſet er ſo gut man es ſelber kann;
indem er ſelber nichts lieſet.
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(2016-11-22T15:13:57Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:13:57Z)
Weitere Informationen:Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen). Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
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