Jeden Tag, geliebter Freund und Schriftsteller, beging ich eine Sünde mehr durch den wachsenden Schein meiner Undankbarkeit. Dieß ist gewiß anno 1810 mein größter Fehler gewesen. Aber5 Sommers Anfang soll auch Besserungs Anfang sein. Was hälf's, die Ursachen der Zögerung vorzuzählen? Aber Mangel an Liebe war nicht unter ihnen.
Ihre beiden Briefe so wie das Geschenk brachten mir nur Rosen ohne Dornen, anstatt daß es sonst im Leben und Winter so viele10 Dornen ohne Rosen gibt.
Glauben Sie dem namenlosen Rezensenten Ihres Büchleins in der J[enaischen] L[iteratur] Z[eitung] doch weniger als einem ehrlichen Briefschreiber mit Namens Unterschrift. Ich erinnere mich sogar einer Ihrer als irrig angeführten Bemerkungen über15 den Menschen, wo er offenbar gegen Sie irrt. Was ich Ihnen höchstens rathen würde, wäre, da Deutsche für bloßen Witz und bloße Ironie zu wenig Sinn besitzen, beide ihnen in der Schüssel aufzutischen, aus der sie alles essen, sogar das Beste -- in einem Romane.20
Leben Sie wol! Ich sage nicht: verzeihen Sie mir! Denn Ihr liebendes -- und wiedergeliebtes -- Herz hat mir gewiß schon seit 2 Minuten verziehen!
Ihr Jean Paul Fr. Richter25
297. An Frau von Meusebach.
Bayreuth d. 22. Jun. 1810
An die Rosen-Gaertnerin
Ich habe, Unvergeßne und Verehrte, meinen Dank so lange verschoben, daß er Ihnen kaum einer mehr sein wird in der Zeit30 wirklicher Rosen für Ihre perennierenden. Sie haben Ihre Eben- bilder trefflich getroffen, wie wenigstens Leute sagen, die es ver- stehen, z. B. meine Frau, der ich daher das schöne Beutelchen -- mehr werth als alles, was hinein kommt -- gegeben habe, da es für ein Mannes Fäustchen zu gut ist.35
8*
296. An Freiherrn von Meuſebach in Dillenburg.
Bayreuth d. 22. Jun. [1810]
Jeden Tag, geliebter Freund und Schriftſteller, beging ich eine Sünde mehr durch den wachſenden Schein meiner Undankbarkeit. Dieß iſt gewiß anno 1810 mein größter Fehler geweſen. Aber5 Sommers Anfang ſoll auch Beſſerungs Anfang ſein. Was hälf’s, die Urſachen der Zögerung vorzuzählen? Aber Mangel an Liebe war nicht unter ihnen.
Ihre beiden Briefe ſo wie das Geſchenk brachten mir nur Roſen ohne Dornen, anſtatt daß es ſonſt im Leben und Winter ſo viele10 Dornen ohne Roſen gibt.
Glauben Sie dem namenloſen Rezenſenten Ihres Büchleins in der J[enaischen] L[iteratur] Z[eitung] doch weniger als einem ehrlichen Briefſchreiber mit Namens Unterſchrift. Ich erinnere mich ſogar einer Ihrer als irrig angeführten Bemerkungen über15 den Menſchen, wo er offenbar gegen Sie irrt. Was ich Ihnen höchſtens rathen würde, wäre, da Deutſche für bloßen Witz und bloße Ironie zu wenig Sinn beſitzen, beide ihnen in der Schüſſel aufzutiſchen, aus der ſie alles eſſen, ſogar das Beſte — in einem Romane.20
Leben Sie wol! Ich ſage nicht: verzeihen Sie mir! Denn Ihr liebendes — und wiedergeliebtes — Herz hat mir gewiß ſchon ſeit 2 Minuten verziehen!
Ihr Jean Paul Fr. Richter25
297. An Frau von Meuſebach.
Bayreuth d. 22. Jun. 1810
An die Rosen-Gaertnerin
Ich habe, Unvergeßne und Verehrte, meinen Dank ſo lange verſchoben, daß er Ihnen kaum einer mehr ſein wird in der Zeit30 wirklicher Roſen für Ihre perennierenden. Sie haben Ihre Eben- bilder trefflich getroffen, wie wenigſtens Leute ſagen, die es ver- ſtehen, z. B. meine Frau, der ich daher das ſchöne Beutelchen — mehr werth als alles, was hinein kommt — gegeben habe, da es für ein Mannes Fäuſtchen zu gut iſt.35
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296. An Freiherrn von Meuſebach in Dillenburg.
Bayreuth d. 22. Jun. [1810]
Jeden Tag, geliebter Freund und Schriftſteller, beging ich eine
Sünde mehr durch den wachſenden Schein meiner Undankbarkeit.
Dieß iſt gewiß anno 1810 mein größter Fehler geweſen. Aber 5
Sommers Anfang ſoll auch Beſſerungs Anfang ſein. Was hälf’s,
die Urſachen der Zögerung vorzuzählen? Aber Mangel an Liebe
war nicht unter ihnen.
Ihre beiden Briefe ſo wie das Geſchenk brachten mir nur Roſen
ohne Dornen, anſtatt daß es ſonſt im Leben und Winter ſo viele 10
Dornen ohne Roſen gibt.
Glauben Sie dem namenloſen Rezenſenten Ihres Büchleins in
der J[enaischen] L[iteratur] Z[eitung] doch weniger als einem
ehrlichen Briefſchreiber mit Namens Unterſchrift. Ich erinnere
mich ſogar einer Ihrer als irrig angeführten Bemerkungen über 15
den Menſchen, wo er offenbar gegen Sie irrt. Was ich Ihnen
höchſtens rathen würde, wäre, da Deutſche für bloßen Witz und
bloße Ironie zu wenig Sinn beſitzen, beide ihnen in der Schüſſel
aufzutiſchen, aus der ſie alles eſſen, ſogar das Beſte — in einem
Romane. 20
Leben Sie wol! Ich ſage nicht: verzeihen Sie mir! Denn Ihr
liebendes — und wiedergeliebtes — Herz hat mir gewiß ſchon ſeit
2 Minuten verziehen!
Ihr
Jean Paul Fr. Richter 25
297. An Frau von Meuſebach.
Bayreuth d. 22. Jun. 1810
An die Rosen-Gaertnerin
Ich habe, Unvergeßne und Verehrte, meinen Dank ſo lange
verſchoben, daß er Ihnen kaum einer mehr ſein wird in der Zeit 30
wirklicher Roſen für Ihre perennierenden. Sie haben Ihre Eben-
bilder trefflich getroffen, wie wenigſtens Leute ſagen, die es ver-
ſtehen, z. B. meine Frau, der ich daher das ſchöne Beutelchen —
mehr werth als alles, was hinein kommt — gegeben habe, da es
für ein Mannes Fäuſtchen zu gut iſt. 35
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 6. Berlin, 1952, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe06_1962/128>, abgerufen am 16.07.2024.
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