Die Wetterwolke war schon seitwärts gezogen, als ich an dem Tage, wo ich Ihren ruhigen Brief auf meinen unruhigen empfing, Ihnen antworten wollte. Ich danke Ihnen [für] Ihre philoso-5 phische Aufnahmes meines stür[mischen] Ausdrucks, der weniger gegen die Wahrheit als gegen die Liebe für Sie und Ihre Tochter sündigte. Denn dieß ist eben das Schmerzliche und Gute zugleich, daß ich und sie einander fortlieben -- daß diese Liebe uns ein- ander unentbehrlich macht, aber dafür desto reizbarer -- und daß10 also jede Trennung -- moralische oder geographische -- uns nur mehr vereinigt und aus ihrem Winter die ersten Maiwochen der Liebe wiederbringt. -- Eine Reise zu Ihnen wäre die beste Kur C[arolinens], litten es sonst die Umstände. Sie -- der Sie so unendlich von ihr geliebt und geachtet werden -- würden durch15 Wiederholung meiner Grundsätze leichter siegen, daß ein Ehemann durchaus die Oberherrschaft haben müße -- daß ein bester Vater, wofür sie mich selber erklärt, auch der beste Ehemann sein könnte, wäre sonst alles gleich -- daß ein Mann, der im Kriege sogar nicht borgte, sondern verborgte, und der blos für Wissenschaft und20 Frau und Kinder lebt, mehr zu schonen wäre. Aber statt einer Reise könnten ja Briefe dasselbe sagen. Ihre unerschöpfliche Liebes Quelle gegen andere und ihren Muth brauch' ich Ihnen nicht zu malen. -- Unsere ersten Kämpfe waren medizinische über die Kinder und sie. Meine Kenntnis, ihre Unkenntnis der Arzneikunde, die25 Verzärtelungen der Kinder. -- Ich bitte Sie um Ihre allmächtigen Ermahnungen.
328. An Emanuel.
[Bayreuth, 8. Aug. 1810]
Guten Morgen, mein Emanuel! Hier schick' ich Ihnen das30 schöne aber leere Fruchtkörbchen mit 2 Büchern zurück. Solche Johannis Beeren aß ich anno 1810 noch nicht. Meinen Dank! -- Von Otto werden Sie die in Ihrer Abwesenheit eingegangnen Briefe erhalten. Max will ein wenig Raststunde bei Ihnen halten, wenn er darf.
R.35
327. An Tribunalrat Mayer in Berlin.
[Kopie][Bayreuth, 7. Aug. 1810]
Die Wetterwolke war ſchon ſeitwärts gezogen, als ich an dem Tage, wo ich Ihren ruhigen Brief auf meinen unruhigen empfing, Ihnen antworten wollte. Ich danke Ihnen [für] Ihre philoſo-5 phiſche Aufnahmes meines ſtür[miſchen] Ausdrucks, der weniger gegen die Wahrheit als gegen die Liebe für Sie und Ihre Tochter ſündigte. Denn dieß iſt eben das Schmerzliche und Gute zugleich, daß ich und ſie einander fortlieben — daß dieſe Liebe uns ein- ander unentbehrlich macht, aber dafür deſto reizbarer — und daß10 alſo jede Trennung — moraliſche oder geographiſche — uns nur mehr vereinigt und aus ihrem Winter die erſten Maiwochen der Liebe wiederbringt. — Eine Reiſe zu Ihnen wäre die beſte Kur C[arolinens], litten es ſonſt die Umſtände. Sie — der Sie ſo unendlich von ihr geliebt und geachtet werden — würden durch15 Wiederholung meiner Grundſätze leichter ſiegen, daß ein Ehemann durchaus die Oberherrſchaft haben müße — daß ein beſter Vater, wofür ſie mich ſelber erklärt, auch der beſte Ehemann ſein könnte, wäre ſonſt alles gleich — daß ein Mann, der im Kriege ſogar nicht borgte, ſondern verborgte, und der blos für Wiſſenſchaft und20 Frau und Kinder lebt, mehr zu ſchonen wäre. Aber ſtatt einer Reiſe könnten ja Briefe daſſelbe ſagen. Ihre unerſchöpfliche Liebes Quelle gegen andere und ihren Muth brauch’ ich Ihnen nicht zu malen. — Unſere erſten Kämpfe waren mediziniſche über die Kinder und ſie. Meine Kenntnis, ihre Unkenntnis der Arzneikunde, die25 Verzärtelungen der Kinder. — Ich bitte Sie um Ihre allmächtigen Ermahnungen.
328. An Emanuel.
[Bayreuth, 8. Aug. 1810]
Guten Morgen, mein Emanuel! Hier ſchick’ ich Ihnen das30 ſchöne aber leere Fruchtkörbchen mit 2 Büchern zurück. Solche Johannis Beeren aß ich anno 1810 noch nicht. Meinen Dank! — Von Otto werden Sie die in Ihrer Abweſenheit eingegangnen Briefe erhalten. Max will ein wenig Raſtſtunde bei Ihnen halten, wenn er darf.
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[128/0141]
327. An Tribunalrat Mayer in Berlin.
[Bayreuth, 7. Aug. 1810]
Die Wetterwolke war ſchon ſeitwärts gezogen, als ich an dem
Tage, wo ich Ihren ruhigen Brief auf meinen unruhigen empfing,
Ihnen antworten wollte. Ich danke Ihnen [für] Ihre philoſo- 5
phiſche Aufnahmes meines ſtür[miſchen] Ausdrucks, der weniger
gegen die Wahrheit als gegen die Liebe für Sie und Ihre Tochter
ſündigte. Denn dieß iſt eben das Schmerzliche und Gute zugleich,
daß ich und ſie einander fortlieben — daß dieſe Liebe uns ein-
ander unentbehrlich macht, aber dafür deſto reizbarer — und daß 10
alſo jede Trennung — moraliſche oder geographiſche — uns nur
mehr vereinigt und aus ihrem Winter die erſten Maiwochen der
Liebe wiederbringt. — Eine Reiſe zu Ihnen wäre die beſte Kur
C[arolinens], litten es ſonſt die Umſtände. Sie — der Sie ſo
unendlich von ihr geliebt und geachtet werden — würden durch 15
Wiederholung meiner Grundſätze leichter ſiegen, daß ein Ehemann
durchaus die Oberherrſchaft haben müße — daß ein beſter Vater,
wofür ſie mich ſelber erklärt, auch der beſte Ehemann ſein könnte,
wäre ſonſt alles gleich — daß ein Mann, der im Kriege ſogar
nicht borgte, ſondern verborgte, und der blos für Wiſſenſchaft und 20
Frau und Kinder lebt, mehr zu ſchonen wäre. Aber ſtatt einer
Reiſe könnten ja Briefe daſſelbe ſagen. Ihre unerſchöpfliche Liebes
Quelle gegen andere und ihren Muth brauch’ ich Ihnen nicht zu
malen. — Unſere erſten Kämpfe waren mediziniſche über die Kinder
und ſie. Meine Kenntnis, ihre Unkenntnis der Arzneikunde, die 25
Verzärtelungen der Kinder. — Ich bitte Sie um Ihre allmächtigen
Ermahnungen.
328. An Emanuel.
[Bayreuth, 8. Aug. 1810]
Guten Morgen, mein Emanuel! Hier ſchick’ ich Ihnen das 30
ſchöne aber leere Fruchtkörbchen mit 2 Büchern zurück. Solche
Johannis Beeren aß ich anno 1810 noch nicht. Meinen Dank!
— Von Otto werden Sie die in Ihrer Abweſenheit eingegangnen
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 6. Berlin, 1952, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe06_1962/141>, abgerufen am 04.12.2024.
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