die fahrende Post bald: schickt' ichs mit dieser; sonst mit der reiten- den. -- Den schnell hingeworfnen Brief an Cotta sollst du auch beurtheilen, ob ihn der kurze Scherz nicht ärgert.
*518. An Hofrat Wolke in Dresden.
Bayreuth d. [2.] Aug. 18115
Verehrungswürdiger Mann! Ich habe mehr gegen mich ge- sündigt als gegen Sie, daß ich auf Ihr Schreiben und Ihr Geschenk mit einem so späten Danke antworte. Eine Menge Geschäfte ließen mich noch nicht das Studium eines solchen Sprach- und Sach- Forschers vollenden. Nicht einmal die Untersuchung über die10 Gründe des Wechsels der beiden deutschen Sprach-Fügungen -- bald zu sagen Löwenhaupt, Pfauenschwanz, dann wieder Thau- tropfen, Gaugraf; bald weiblich Liebesdienst, Entenjagd, dann Beerwanze, Saujagd; bald geschlechtlos Geschäftsträger, dann Werkmeister -- konnt' ich durchführen, weil durchaus Gründe zu15 dieser anscheinenden Grundlosigkeit durch die Überzählung aller Fälle aufzufinden sein müßen. Was aber eben wieder meine dankende Antwort verschob, war daß ich im künftigen Jahre die zweite Auflage meiner Aesthetik gebe, worin diese Untersuchungen, nach meinen Kräften angestellt, vorkommen müßen.20
Ich gäbe eine halbe Büchermesse darum für die Erscheinung einer deutschen Sprachlehre von Ihnen, durch welche Sie, wie ich höre, mündlich eine deutsche Academia della Crusca um sich bilden. Mit halb wehmüthiger Freude sieht man Sie kurz vor Ihrem Davon- und Auffluge noch am Sprach-Gewande unserer Gedanken arbeiten,25 um ordentlich wie ein Elias uns den Mantel zurück zu werfen.
Ihre Verdeutschungen sind deutsch und kräftig geschaffen. Den- noch bleiben wir beide zuweilen nicht auf Einem Wege neben einander, woran auch vielleicht dieß Schuld ist, weil Sie voraus gehen. Keine der menschlichen Sprachen behauptete die Gleich-30 mäßigkeit ihrer Bildung fort, sondern verba anomala und regulae falsi erzeugten als die grammatischen Leidenschaften, nur aber besser, das Clinamen der Epikurs Atomen. Nichts auf der Erde ist regel-beständig. Und warum soll denn immer die erste, also die fortgeleitete Form die bessere bleiben? Danken wir alte Landes-35
die fahrende Poſt bald: ſchickt’ ichs mit dieſer; ſonſt mit der reiten- den. — Den ſchnell hingeworfnen Brief an Cotta ſollſt du auch beurtheilen, ob ihn der kurze Scherz nicht ärgert.
*518. An Hofrat Wolke in Dresden.
Bayreuth d. [2.] Aug. 18115
Verehrungswürdiger Mann! Ich habe mehr gegen mich ge- ſündigt als gegen Sie, daß ich auf Ihr Schreiben und Ihr Geſchenk mit einem ſo ſpäten Danke antworte. Eine Menge Geſchäfte ließen mich noch nicht das Studium eines ſolchen Sprach- und Sach- Forſchers vollenden. Nicht einmal die Unterſuchung über die10 Gründe des Wechſels der beiden deutſchen Sprach-Fügungen — bald zu ſagen Löwenhaupt, Pfauenſchwanz, dann wieder Thau- tropfen, Gaugraf; bald weiblich Liebesdienſt, Entenjagd, dann Beerwanze, Saujagd; bald geſchlechtlos Geſchäftsträger, dann Werkmeiſter — konnt’ ich durchführen, weil durchaus Gründe zu15 dieſer anſcheinenden Grundloſigkeit durch die Überzählung aller Fälle aufzufinden ſein müßen. Was aber eben wieder meine dankende Antwort verſchob, war daß ich im künftigen Jahre die zweite Auflage meiner Aeſthetik gebe, worin dieſe Unterſuchungen, nach meinen Kräften angeſtellt, vorkommen müßen.20
Ich gäbe eine halbe Büchermeſſe darum für die Erſcheinung einer deutſchen Sprachlehre von Ihnen, durch welche Sie, wie ich höre, mündlich eine deutſche Academia della Crusca um ſich bilden. Mit halb wehmüthiger Freude ſieht man Sie kurz vor Ihrem Davon- und Auffluge noch am Sprach-Gewande unſerer Gedanken arbeiten,25 um ordentlich wie ein Elias uns den Mantel zurück zu werfen.
Ihre Verdeutſchungen ſind deutſch und kräftig geſchaffen. Den- noch bleiben wir beide zuweilen nicht auf Einem Wege neben einander, woran auch vielleicht dieß Schuld iſt, weil Sie voraus gehen. Keine der menſchlichen Sprachen behauptete die Gleich-30 mäßigkeit ihrer Bildung fort, ſondern verba anomala und regulae falsi erzeugten als die grammatiſchen Leidenſchaften, nur aber beſſer, das Clinamen der Epikurs Atomen. Nichts auf der Erde iſt regel-beſtändig. Und warum ſoll denn immer die erſte, alſo die fortgeleitete Form die beſſere bleiben? Danken wir alte Landes-35
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die fahrende Poſt bald: ſchickt’ ichs mit dieſer; ſonſt mit der reiten-
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beurtheilen, ob ihn der kurze Scherz nicht ärgert.
*518. An Hofrat Wolke in Dresden.
Bayreuth d. [2.] Aug. 1811 5
Verehrungswürdiger Mann! Ich habe mehr gegen mich ge-
ſündigt als gegen Sie, daß ich auf Ihr Schreiben und Ihr Geſchenk
mit einem ſo ſpäten Danke antworte. Eine Menge Geſchäfte ließen
mich noch nicht das Studium eines ſolchen Sprach- und Sach-
Forſchers vollenden. Nicht einmal die Unterſuchung über die 10
Gründe des Wechſels der beiden deutſchen Sprach-Fügungen —
bald zu ſagen Löwenhaupt, Pfauenſchwanz, dann wieder Thau-
tropfen, Gaugraf; bald weiblich Liebesdienſt, Entenjagd, dann
Beerwanze, Saujagd; bald geſchlechtlos Geſchäftsträger, dann
Werkmeiſter — konnt’ ich durchführen, weil durchaus Gründe zu 15
dieſer anſcheinenden Grundloſigkeit durch die Überzählung aller
Fälle aufzufinden ſein müßen. Was aber eben wieder meine
dankende Antwort verſchob, war daß ich im künftigen Jahre die
zweite Auflage meiner Aeſthetik gebe, worin dieſe Unterſuchungen,
nach meinen Kräften angeſtellt, vorkommen müßen. 20
Ich gäbe eine halbe Büchermeſſe darum für die Erſcheinung einer
deutſchen Sprachlehre von Ihnen, durch welche Sie, wie ich höre,
mündlich eine deutſche Academia della Crusca um ſich bilden. Mit
halb wehmüthiger Freude ſieht man Sie kurz vor Ihrem Davon-
und Auffluge noch am Sprach-Gewande unſerer Gedanken arbeiten, 25
um ordentlich wie ein Elias uns den Mantel zurück zu werfen.
Ihre Verdeutſchungen ſind deutſch und kräftig geſchaffen. Den-
noch bleiben wir beide zuweilen nicht auf Einem Wege neben
einander, woran auch vielleicht dieß Schuld iſt, weil Sie voraus
gehen. Keine der menſchlichen Sprachen behauptete die Gleich- 30
mäßigkeit ihrer Bildung fort, ſondern verba anomala und regulae
falsi erzeugten als die grammatiſchen Leidenſchaften, nur aber
beſſer, das Clinamen der Epikurs Atomen. Nichts auf der Erde
iſt regel-beſtändig. Und warum ſoll denn immer die erſte, alſo die
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 6. Berlin, 1952, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe06_1962/227>, abgerufen am 26.11.2024.
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