Guten Morgen, geliebter Emanuel! Welche Weltgeschichte steht zwischen Ihrer Abreise und Ihrer Ankunft! -- Hier ein Brief, dessen Verfasserin die Tochter des Lux ist, den ich in der Corday5 (S. Katzenberger B. 2. S. 248 etc.) so gelobt. Sie werden sich laben. -- Und hier meine Aesthetik.
755. An Otto.
[Bayreuth, Mai (?) 1813]
Lieber Alter! Ich hätt' es früher einsehen sollen, daß die Briefe10 Mariannens durchaus nur von 1) dir und 2) Emanuel gelesen werden können; schon aus meiner alten Regel, daß man blos in höchster Gewißheit der Einerleiheit des fremden Urtheils mit dem eignen mittheilen dürfe; und diese Gewißheit existiert nur unter uns dreien. -- Du wirst im Briefe eine erhabene Ansicht finden, welche15 niederquetscht nicht zum Petrus, sondern tiefer; aber welche Gestalt in der Geschichte besteht vor Christus?
756. An Friedrich Heinrich Jacobi in München.
Baireuth d. 21 Mai 1813
Mein alt- und neu-geliebter Heinrich! Dein Herzbrief hat mich20 eben so sehr überrascht und erfreuet als doch betrübt. Letztes durch deine, gewis nur augenblickliche Stimmung über die Verstimmung der Zeit. Wie? Du Belisar sprichst einen Mitkrieger unter deinem Kommando um einen Obulus an? Freilich wer wird unter dem jetzigen Erdgeist nicht der alte Belisar?25
Auch ich habe ähnliche Verstimmungen des Augenblicks -- und dergleichen ist schon zuviel für uns bloße Augenblickmenschen -- aber der Glaube an die längere ausgleichende und aussöhnende Zukunft kehrt mir sehr bald zurück; und ich wünschte nur, ich hätte über den Menschen-Gang hinter unserer Erdkugel so viele Gewißheit als30 über den Völker-Fortgang auf derselben. Die Zweifelstelle aus meinem Briefe in dem deinigen, bezog sich blos auf das elende kalte Mondlicht der Metaphysik, das ein Nebenmondlicht, ja ein Mond- hoflicht ist, das oft so erbärmlich nach Zurückstrahlungen von Zurück-
754. An Emanuel.
[Bayreuth, 2. Hälfte Mai 1813]
Guten Morgen, geliebter Emanuel! Welche Weltgeſchichte ſteht zwiſchen Ihrer Abreiſe und Ihrer Ankunft! — Hier ein Brief, deſſen Verfaſſerin die Tochter des Lux iſt, den ich in der Corday5 (S. Katzenberger B. 2. S. 248 ꝛc.) ſo gelobt. Sie werden ſich laben. — Und hier meine Aeſthetik.
755. An Otto.
[Bayreuth, Mai (?) 1813]
Lieber Alter! Ich hätt’ es früher einſehen ſollen, daß die Briefe10 Mariannens durchaus nur von 1) dir und 2) Emanuel geleſen werden können; ſchon aus meiner alten Regel, daß man blos in höchſter Gewißheit der Einerleiheit des fremden Urtheils mit dem eignen mittheilen dürfe; und dieſe Gewißheit exiſtiert nur unter uns dreien. — Du wirſt im Briefe eine erhabene Anſicht finden, welche15 niederquetſcht nicht zum Petrus, ſondern tiefer; aber welche Geſtalt in der Geſchichte beſteht vor Chriſtus?
756. An Friedrich Heinrich Jacobi in München.
Baireuth d. 21 Mai 1813
Mein alt- und neu-geliebter Heinrich! Dein Herzbrief hat mich20 eben ſo ſehr überraſcht und erfreuet als doch betrübt. Letztes durch deine, gewis nur augenblickliche Stimmung über die Verſtimmung der Zeit. Wie? Du Beliſar ſprichſt einen Mitkrieger unter deinem Kommando um einen Obulus an? Freilich wer wird unter dem jetzigen Erdgeiſt nicht der alte Beliſar?25
Auch ich habe ähnliche Verſtimmungen des Augenblicks — und dergleichen iſt ſchon zuviel für uns bloße Augenblickmenſchen — aber der Glaube an die längere ausgleichende und ausſöhnende Zukunft kehrt mir ſehr bald zurück; und ich wünſchte nur, ich hätte über den Menſchen-Gang hinter unſerer Erdkugel ſo viele Gewißheit als30 über den Völker-Fortgang auf derſelben. Die Zweifelſtelle aus meinem Briefe in dem deinigen, bezog ſich blos auf das elende kalte Mondlicht der Metaphyſik, das ein Nebenmondlicht, ja ein Mond- hoflicht iſt, das oft ſo erbärmlich nach Zurückſtrahlungen von Zurück-
<TEI><text><body><pbfacs="#f0337"n="322"/><divtype="letter"n="1"><head>754. An <hirendition="#g">Emanuel.</hi></head><lb/><dateline><hirendition="#right">[Bayreuth, 2. Hälfte Mai 1813]</hi></dateline><lb/><p>Guten Morgen, geliebter <hirendition="#aq">Emanuel!</hi> Welche Weltgeſchichte<lb/>ſteht zwiſchen Ihrer Abreiſe und Ihrer Ankunft! — Hier ein Brief,<lb/>
deſſen Verfaſſerin die Tochter des <hirendition="#aq">Lux</hi> iſt, den ich in der <hirendition="#aq">Corday</hi><lbn="5"/>
(S. <hirendition="#aq">Katzenberger</hi> B. 2. S. 248 ꝛc.) ſo gelobt. Sie werden ſich<lb/>
laben. — Und hier meine Aeſthetik.</p></div><lb/><divtype="letter"n="1"><head>755. An <hirendition="#g">Otto.</hi></head><lb/><dateline><hirendition="#right">[Bayreuth, Mai (?) 1813]</hi></dateline><lb/><p>Lieber Alter! Ich hätt’ es früher einſehen ſollen, daß die Briefe<lbn="10"/><hirendition="#aq">Mariannens</hi> durchaus <hirendition="#g">nur</hi> von 1) dir und 2) <hirendition="#aq">Emanuel</hi> geleſen<lb/>
werden können; ſchon aus meiner alten Regel, daß man blos in<lb/>
höchſter Gewißheit der Einerleiheit des fremden Urtheils mit dem<lb/>
eignen mittheilen dürfe; und dieſe Gewißheit exiſtiert nur unter uns<lb/>
dreien. — Du wirſt im Briefe eine erhabene Anſicht finden, welche<lbn="15"/>
niederquetſcht nicht zum Petrus, ſondern tiefer; aber welche Geſtalt<lb/>
in der Geſchichte beſteht vor Chriſtus?</p></div><lb/><divtype="letter"n="1"><head>756. An <hirendition="#g">Friedrich Heinrich Jacobi in München.</hi></head><lb/><dateline><hirendition="#right"><hirendition="#aq">Baireuth</hi> d. 21 Mai 1813</hi></dateline><lb/><p>Mein alt- und neu-geliebter Heinrich! Dein Herzbrief hat mich<lbn="20"/>
eben ſo ſehr überraſcht und erfreuet als doch betrübt. Letztes durch<lb/>
deine, gewis nur augenblickliche Stimmung über die Verſtimmung<lb/>
der Zeit. Wie? Du Beliſar ſprichſt einen Mitkrieger unter deinem<lb/>
Kommando um einen <hirendition="#aq">Obulus</hi> an? Freilich wer wird unter dem<lb/>
jetzigen Erdgeiſt nicht der alte Beliſar?<lbn="25"/></p><p>Auch ich habe ähnliche Verſtimmungen des Augenblicks — und<lb/>
dergleichen iſt ſchon zuviel für uns bloße Augenblickmenſchen — aber<lb/>
der Glaube an die längere ausgleichende und ausſöhnende Zukunft<lb/>
kehrt mir ſehr bald zurück; und ich wünſchte nur, ich hätte über den<lb/>
Menſchen-Gang <hirendition="#g">hinter</hi> unſerer Erdkugel ſo viele Gewißheit als<lbn="30"/>
über den Völker-Fortgang <hirendition="#g">auf</hi> derſelben. Die Zweifelſtelle aus<lb/>
meinem Briefe in dem deinigen, bezog ſich blos auf das elende kalte<lb/>
Mondlicht der Metaphyſik, das ein Nebenmondlicht, ja ein Mond-<lb/>
hoflicht iſt, das oft ſo erbärmlich nach Zurückſtrahlungen von Zurück-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[322/0337]
754. An Emanuel.
[Bayreuth, 2. Hälfte Mai 1813]
Guten Morgen, geliebter Emanuel! Welche Weltgeſchichte
ſteht zwiſchen Ihrer Abreiſe und Ihrer Ankunft! — Hier ein Brief,
deſſen Verfaſſerin die Tochter des Lux iſt, den ich in der Corday 5
(S. Katzenberger B. 2. S. 248 ꝛc.) ſo gelobt. Sie werden ſich
laben. — Und hier meine Aeſthetik.
755. An Otto.
[Bayreuth, Mai (?) 1813]
Lieber Alter! Ich hätt’ es früher einſehen ſollen, daß die Briefe 10
Mariannens durchaus nur von 1) dir und 2) Emanuel geleſen
werden können; ſchon aus meiner alten Regel, daß man blos in
höchſter Gewißheit der Einerleiheit des fremden Urtheils mit dem
eignen mittheilen dürfe; und dieſe Gewißheit exiſtiert nur unter uns
dreien. — Du wirſt im Briefe eine erhabene Anſicht finden, welche 15
niederquetſcht nicht zum Petrus, ſondern tiefer; aber welche Geſtalt
in der Geſchichte beſteht vor Chriſtus?
756. An Friedrich Heinrich Jacobi in München.
Baireuth d. 21 Mai 1813
Mein alt- und neu-geliebter Heinrich! Dein Herzbrief hat mich 20
eben ſo ſehr überraſcht und erfreuet als doch betrübt. Letztes durch
deine, gewis nur augenblickliche Stimmung über die Verſtimmung
der Zeit. Wie? Du Beliſar ſprichſt einen Mitkrieger unter deinem
Kommando um einen Obulus an? Freilich wer wird unter dem
jetzigen Erdgeiſt nicht der alte Beliſar? 25
Auch ich habe ähnliche Verſtimmungen des Augenblicks — und
dergleichen iſt ſchon zuviel für uns bloße Augenblickmenſchen — aber
der Glaube an die längere ausgleichende und ausſöhnende Zukunft
kehrt mir ſehr bald zurück; und ich wünſchte nur, ich hätte über den
Menſchen-Gang hinter unſerer Erdkugel ſo viele Gewißheit als 30
über den Völker-Fortgang auf derſelben. Die Zweifelſtelle aus
meinem Briefe in dem deinigen, bezog ſich blos auf das elende kalte
Mondlicht der Metaphyſik, das ein Nebenmondlicht, ja ein Mond-
hoflicht iſt, das oft ſo erbärmlich nach Zurückſtrahlungen von Zurück-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 6. Berlin, 1952, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe06_1962/337>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.