Noth und Argwöhnung, da ich seit dreiviertel Jahren im Keller, und vier Mägde hintereinander -- und zwar N. B. im Anfange der Dienstzeit -- bestohlen worden (welches alles ich bei einer gerichtlichen Antwort anführen würde), anders klagen als dem Herrn des Hauses, um mit ihm den Thäter auszumitteln? Auf5 irgend einen Menschen in der Welt muß mir doch das Gericht argwöhnisch zu sein erlauben -- denn die Sachen stehlen sich selber nicht -- und in diesem Falle würden Sie für Ihre heim- liche Stubenuntersuchung so gut als ich, die Strafe des Arg- wohns tragen.10
In meiner gerichtlichen Antwort würd' ich sagen, daß ich nur die dreivierteljährigen Diebstähle beweisen und beschwören könnte, daß ich aber gegen keinen einzelnen Menschen rechtliche Erweise seiner Schuld besäße, sonst hätt' ich ihn schon längst gescholten und ver- klagt. Ich würde ferner sagen, daß ich durch alle Erscheinungen --15 z. B. daß Sie im Schweinstall eine halbe Flasche Wein von der Magd fanden, den Sie selber dem meinigen für ähnlich im Geruche erklärten, oder daß seit dem Gebrauche Ihres englischen und meines neuen Schlosses mir kein Wein mehr gestohlen wird -- kurz daß ich durch alle diese Erscheinungen mich doch nicht für berechtigt20 hielte, gerichtlich eine bestimmte Person als Diebin anzugeben; daß aber über meinen Glauben, der ohne gerichtliche Beweise bestehen kann, das Gericht so wenig Herr ist als ich selber. Wenn ich nun dieß und mehres anführte, so wird die Stadt, welche gegen mich nicht gleichgültig sein kann, leicht die Partei für mich wider diese25 Person ergreifen, und diese mag dann zusehen, wo ihr Ruf bleibt. Denn man wird doch leichter glauben, daß eine Magd stiehlt, als daß ich verläumde. Möglich wär' es auch, daß das Publikum den weisen Grundsatz aufstellt: es gibt hundert Wahrheiten, die nicht gerichtlich zu beweisen, und hundert Lügen, die nicht gerichtlich zu30 widerlegen sind.
Übrigens werd' ich in dieser Sache aus Zeitmangel und aus Ver- achtung der Injuriendrohung nichts weiter mehr schreiben als wozu mich die Gerichte nöthigen; sonst aber die ganze Erbärmlichkeit ver- gessen; denn das Beste ist doch fort, nämlich über 100 ausgesuchte35 Bier- und Weinkörke, der Flaschen und des Inhalts nicht einmal zu gedenken.
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Noth und Argwöhnung, da ich ſeit dreiviertel Jahren im Keller, und vier Mägde hintereinander — und zwar N. B. im Anfange der Dienſtzeit — beſtohlen worden (welches alles ich bei einer gerichtlichen Antwort anführen würde), anders klagen als dem Herrn des Hauſes, um mit ihm den Thäter auszumitteln? Auf5 irgend einen Menſchen in der Welt muß mir doch das Gericht argwöhniſch zu ſein erlauben — denn die Sachen ſtehlen ſich ſelber nicht — und in dieſem Falle würden Sie für Ihre heim- liche Stubenunterſuchung ſo gut als ich, die Strafe des Arg- wohns tragen.10
In meiner gerichtlichen Antwort würd’ ich ſagen, daß ich nur die dreivierteljährigen Diebſtähle beweiſen und beſchwören könnte, daß ich aber gegen keinen einzelnen Menſchen rechtliche Erweiſe ſeiner Schuld beſäße, ſonſt hätt’ ich ihn ſchon längſt geſcholten und ver- klagt. Ich würde ferner ſagen, daß ich durch alle Erſcheinungen —15 z. B. daß Sie im Schweinſtall eine halbe Flaſche Wein von der Magd fanden, den Sie ſelber dem meinigen für ähnlich im Geruche erklärten, oder daß ſeit dem Gebrauche Ihres engliſchen und meines neuen Schloſſes mir kein Wein mehr geſtohlen wird — kurz daß ich durch alle dieſe Erſcheinungen mich doch nicht für berechtigt20 hielte, gerichtlich eine beſtimmte Perſon als Diebin anzugeben; daß aber über meinen Glauben, der ohne gerichtliche Beweiſe beſtehen kann, das Gericht ſo wenig Herr iſt als ich ſelber. Wenn ich nun dieß und mehres anführte, ſo wird die Stadt, welche gegen mich nicht gleichgültig ſein kann, leicht die Partei für mich wider dieſe25 Perſon ergreifen, und dieſe mag dann zuſehen, wo ihr Ruf bleibt. Denn man wird doch leichter glauben, daß eine Magd ſtiehlt, als daß ich verläumde. Möglich wär’ es auch, daß das Publikum den weiſen Grundſatz aufſtellt: es gibt hundert Wahrheiten, die nicht gerichtlich zu beweiſen, und hundert Lügen, die nicht gerichtlich zu30 widerlegen ſind.
Übrigens werd’ ich in dieſer Sache aus Zeitmangel und aus Ver- achtung der Injuriendrohung nichts weiter mehr ſchreiben als wozu mich die Gerichte nöthigen; ſonſt aber die ganze Erbärmlichkeit ver- geſſen; denn das Beſte iſt doch fort, nämlich über 100 ausgeſuchte35 Bier- und Weinkörke, der Flaſchen und des Inhalts nicht einmal zu gedenken.
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Noth und Argwöhnung, da ich ſeit dreiviertel Jahren im Keller,
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gerichtlichen Antwort anführen würde), anders klagen als dem
Herrn des Hauſes, um mit ihm den Thäter auszumitteln? Auf 5
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argwöhniſch zu ſein erlauben — denn die Sachen ſtehlen ſich
ſelber nicht — und in dieſem Falle würden Sie für Ihre heim-
liche Stubenunterſuchung ſo gut als ich, die Strafe des Arg-
wohns tragen. 10
In meiner gerichtlichen Antwort würd’ ich ſagen, daß ich nur die
dreivierteljährigen Diebſtähle beweiſen und beſchwören könnte, daß
ich aber gegen keinen einzelnen Menſchen rechtliche Erweiſe ſeiner
Schuld beſäße, ſonſt hätt’ ich ihn ſchon längſt geſcholten und ver-
klagt. Ich würde ferner ſagen, daß ich durch alle Erſcheinungen — 15
z. B. daß Sie im Schweinſtall eine halbe Flaſche Wein von der
Magd fanden, den Sie ſelber dem meinigen für ähnlich im Geruche
erklärten, oder daß ſeit dem Gebrauche Ihres engliſchen und meines
neuen Schloſſes mir kein Wein mehr geſtohlen wird — kurz daß
ich durch alle dieſe Erſcheinungen mich doch nicht für berechtigt 20
hielte, gerichtlich eine beſtimmte Perſon als Diebin anzugeben; daß
aber über meinen Glauben, der ohne gerichtliche Beweiſe beſtehen
kann, das Gericht ſo wenig Herr iſt als ich ſelber. Wenn ich nun
dieß und mehres anführte, ſo wird die Stadt, welche gegen mich
nicht gleichgültig ſein kann, leicht die Partei für mich wider dieſe 25
Perſon ergreifen, und dieſe mag dann zuſehen, wo ihr Ruf bleibt.
Denn man wird doch leichter glauben, daß eine Magd ſtiehlt, als
daß ich verläumde. Möglich wär’ es auch, daß das Publikum den
weiſen Grundſatz aufſtellt: es gibt hundert Wahrheiten, die nicht
gerichtlich zu beweiſen, und hundert Lügen, die nicht gerichtlich zu 30
widerlegen ſind.
Übrigens werd’ ich in dieſer Sache aus Zeitmangel und aus Ver-
achtung der Injuriendrohung nichts weiter mehr ſchreiben als wozu
mich die Gerichte nöthigen; ſonſt aber die ganze Erbärmlichkeit ver-
geſſen; denn das Beſte iſt doch fort, nämlich über 100 ausgeſuchte 35
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 6. Berlin, 1952, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe06_1962/355>, abgerufen am 24.11.2024.
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