wieder eine seltene Genialität voraus setzte. Aber ist es Recht, daß du mir in so wichtigen Sachen nicht einmal ein Wort sagst? -- Ein Ende mach' ich nun dem Schreiben; denn auch als Ihr [!] Ernst muß der Unsinn geendigt werden.
Eben bekomm' ich dein Blättchen. Im zweiten Durchlesen zum5 rothen Unterstreichen der unsittlichen oder ironischen Stellen bin ich sehr wild geworden, ich der ich in der ganzen Sache mit reinstem menschenfreundlichstem Herzen und vorsichtigstem Verstande han- delte. Lies doch das Rothe, womit ich die Ironie bezeichnete, noch einmal. Aber schreiben kann ich nicht ohne Antwort auf meinen10 vorgestrigen Brief.
781. An Assessor Braun in Bayreuth.
[Kopie][Bayreuth, 22. (?) Juli 1813]
Hochzuehrender Herr Medizinal-Assessor!
Ich erwarte den Injurienprozeß sehr gleichgültig; die Magd15 wird niemand bestrafen als sich. Erstlich schalt ich sie nie ins Gesicht eine Diebin. Mein Wunsch zweitens, daß Sie sie abdankten, -- nicht fortjagten, denn dazu gehörten gerichtliche Beweise einer Schlechtigkeit -- ist keine Beleidigung Injurie; und ich hatte wirk- lich von Ihrer bisherigen Gefälligkeit gegen mich gehofft, daß Sie20 solcher, da sechs Wochen vor Jakobi unsere Unterredung und Ihre Untersuchung vorfiel, den Dienst aufkündigen würden, wär' es auch nur gewesen, um mir -- gesetzt ich hätte ganz Unrecht -- ihren un- angenehmen Anblick und die nöthige Sorgfalt mit Schloß und Licht zu ersparen. Drittens hatte sie gar kein Recht, Sie um die25 Ursachen meines Wunsches zu befragen, und Sie hätten sie durchaus an mich verweisen sollen. Ihre Wahrheits Liebe foderte ja nicht, daß Sie ihr das, was ich Ihnen als Geheimnis anvertraute, offenbarten, so wie Sie ihr bei aller Wahrheits Liebe gewiß werden verschwiegen haben, daß Sie eine geheime Stuben- und Kasten-30 Untersuchung ihrer Kammer angestellt. So, wenn z. B. mich die Kronacher Magd befragte, ob Sie sie für die Diebin gehalten, wie Sie später gegen mich gethan, so würd' ich ihr sagen, daß sie von mir keine Antwort zu verlangen habe. Wem sollt' ich denn meine
wieder eine ſeltene Genialität voraus ſetzte. Aber iſt es Recht, daß du mir in ſo wichtigen Sachen nicht einmal ein Wort ſagſt? — Ein Ende mach’ ich nun dem Schreiben; denn auch als Ihr [!] Ernſt muß der Unſinn geendigt werden.
Eben bekomm’ ich dein Blättchen. Im zweiten Durchleſen zum5 rothen Unterſtreichen der unſittlichen oder ironiſchen Stellen bin ich ſehr wild geworden, ich der ich in der ganzen Sache mit reinſtem menſchenfreundlichſtem Herzen und vorſichtigſtem Verſtande han- delte. Lies doch das Rothe, womit ich die Ironie bezeichnete, noch einmal. Aber ſchreiben kann ich nicht ohne Antwort auf meinen10 vorgeſtrigen Brief.
781. An Aſſeſſor Braun in Bayreuth.
[Kopie][Bayreuth, 22. (?) Juli 1813]
Hochzuehrender Herr Medizinal-Aſſeſſor!
Ich erwarte den Injurienprozeß ſehr gleichgültig; die Magd15 wird niemand beſtrafen als ſich. Erſtlich ſchalt ich ſie nie ins Geſicht eine Diebin. Mein Wunſch zweitens, daß Sie ſie abdankten, — nicht fortjagten, denn dazu gehörten gerichtliche Beweiſe einer Schlechtigkeit — iſt keine Beleidigung 〈Injurie〉; und ich hatte wirk- lich von Ihrer bisherigen Gefälligkeit gegen mich gehofft, daß Sie20 ſolcher, da ſechs Wochen vor Jakobi unſere Unterredung und Ihre Unterſuchung vorfiel, den Dienſt aufkündigen würden, wär’ es auch nur geweſen, um mir — geſetzt ich hätte ganz Unrecht — ihren un- angenehmen Anblick und die nöthige Sorgfalt mit Schloß und Licht zu erſparen. Drittens hatte ſie gar kein Recht, Sie um die25 Urſachen meines Wunſches zu befragen, und Sie hätten ſie durchaus an mich verweiſen ſollen. Ihre Wahrheits Liebe foderte ja nicht, daß Sie ihr das, was ich Ihnen als Geheimnis anvertraute, offenbarten, ſo wie Sie ihr bei aller Wahrheits Liebe gewiß werden verſchwiegen haben, daß Sie eine geheime Stuben- und Kaſten-30 Unterſuchung ihrer Kammer angeſtellt. So, wenn z. B. mich die Kronacher Magd befragte, ob Sie ſie für die Diebin gehalten, wie Sie ſpäter gegen mich gethan, ſo würd’ ich ihr ſagen, daß ſie von mir keine Antwort zu verlangen habe. Wem ſollt’ ich denn meine
<TEI><text><body><divtype="letter"n="1"><p><pbfacs="#f0354"n="338"/>
wieder eine ſeltene Genialität voraus ſetzte. Aber iſt es Recht,<lb/>
daß du mir in ſo wichtigen Sachen nicht einmal ein Wort ſagſt?<lb/>— Ein Ende mach’ ich nun dem Schreiben; denn auch als Ihr [!]<lb/>
Ernſt muß der Unſinn geendigt werden.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Eben bekomm’ ich dein Blättchen. Im zweiten Durchleſen zum<lbn="5"/>
rothen Unterſtreichen der unſittlichen oder ironiſchen Stellen bin ich<lb/><hirendition="#g">ſehr wild</hi> geworden, ich der ich in der ganzen Sache mit reinſtem<lb/>
menſchenfreundlichſtem Herzen und vorſichtigſtem Verſtande han-<lb/>
delte. Lies doch das Rothe, womit ich die Ironie bezeichnete, noch<lb/>
einmal. Aber ſchreiben kann ich nicht ohne Antwort auf meinen<lbn="10"/>
vorgeſtrigen Brief.</p></div><lb/><divtype="letter"n="1"><head>781. An <hirendition="#g">Aſſeſſor Braun in Bayreuth.</hi></head><lb/><notetype="editorial">[Kopie]</note><dateline><hirendition="#right">[Bayreuth, 22. (?) Juli 1813]</hi></dateline><lb/><salute><hirendition="#left">Hochzuehrender Herr Medizinal-Aſſeſſor!</hi></salute><lb/><p>Ich erwarte den Injurienprozeß ſehr gleichgültig; die Magd<lbn="15"/>
wird niemand beſtrafen als ſich. Erſtlich ſchalt ich ſie nie ins Geſicht<lb/>
eine Diebin. Mein Wunſch zweitens, daß Sie ſie abdankten, —<lb/>
nicht fortjagten, denn dazu gehörten gerichtliche Beweiſe einer<lb/>
Schlechtigkeit — iſt keine Beleidigung 〈Injurie〉; und ich hatte wirk-<lb/>
lich von Ihrer bisherigen Gefälligkeit gegen mich gehofft, daß Sie<lbn="20"/>ſolcher, da ſechs Wochen vor Jakobi unſere Unterredung und Ihre<lb/>
Unterſuchung vorfiel, den Dienſt aufkündigen würden, wär’ es auch<lb/>
nur geweſen, um mir — geſetzt ich hätte ganz Unrecht — ihren un-<lb/>
angenehmen Anblick und die nöthige Sorgfalt mit Schloß und<lb/>
Licht zu erſparen. Drittens hatte ſie gar kein Recht, Sie um die<lbn="25"/>
Urſachen meines Wunſches zu befragen, und Sie hätten ſie durchaus<lb/>
an mich verweiſen ſollen. Ihre Wahrheits Liebe foderte ja nicht,<lb/>
daß Sie ihr das, was ich Ihnen als <hirendition="#g">Geheimnis</hi> anvertraute,<lb/>
offenbarten, ſo wie Sie ihr bei aller Wahrheits Liebe gewiß werden<lb/>
verſchwiegen haben, daß Sie eine geheime Stuben- und Kaſten-<lbn="30"/>
Unterſuchung ihrer Kammer angeſtellt. So, wenn z. B. mich die<lb/>
Kronacher Magd befragte, ob Sie ſie für die Diebin gehalten, wie<lb/>
Sie ſpäter gegen mich gethan, ſo würd’ ich ihr ſagen, daß ſie von<lb/>
mir keine Antwort zu verlangen habe. Wem ſollt’ ich denn meine<lb/></p></div></body></text></TEI>
[338/0354]
wieder eine ſeltene Genialität voraus ſetzte. Aber iſt es Recht,
daß du mir in ſo wichtigen Sachen nicht einmal ein Wort ſagſt?
— Ein Ende mach’ ich nun dem Schreiben; denn auch als Ihr [!]
Ernſt muß der Unſinn geendigt werden.
Eben bekomm’ ich dein Blättchen. Im zweiten Durchleſen zum 5
rothen Unterſtreichen der unſittlichen oder ironiſchen Stellen bin ich
ſehr wild geworden, ich der ich in der ganzen Sache mit reinſtem
menſchenfreundlichſtem Herzen und vorſichtigſtem Verſtande han-
delte. Lies doch das Rothe, womit ich die Ironie bezeichnete, noch
einmal. Aber ſchreiben kann ich nicht ohne Antwort auf meinen 10
vorgeſtrigen Brief.
781. An Aſſeſſor Braun in Bayreuth.
[Bayreuth, 22. (?) Juli 1813]
Hochzuehrender Herr Medizinal-Aſſeſſor!
Ich erwarte den Injurienprozeß ſehr gleichgültig; die Magd 15
wird niemand beſtrafen als ſich. Erſtlich ſchalt ich ſie nie ins Geſicht
eine Diebin. Mein Wunſch zweitens, daß Sie ſie abdankten, —
nicht fortjagten, denn dazu gehörten gerichtliche Beweiſe einer
Schlechtigkeit — iſt keine Beleidigung 〈Injurie〉; und ich hatte wirk-
lich von Ihrer bisherigen Gefälligkeit gegen mich gehofft, daß Sie 20
ſolcher, da ſechs Wochen vor Jakobi unſere Unterredung und Ihre
Unterſuchung vorfiel, den Dienſt aufkündigen würden, wär’ es auch
nur geweſen, um mir — geſetzt ich hätte ganz Unrecht — ihren un-
angenehmen Anblick und die nöthige Sorgfalt mit Schloß und
Licht zu erſparen. Drittens hatte ſie gar kein Recht, Sie um die 25
Urſachen meines Wunſches zu befragen, und Sie hätten ſie durchaus
an mich verweiſen ſollen. Ihre Wahrheits Liebe foderte ja nicht,
daß Sie ihr das, was ich Ihnen als Geheimnis anvertraute,
offenbarten, ſo wie Sie ihr bei aller Wahrheits Liebe gewiß werden
verſchwiegen haben, daß Sie eine geheime Stuben- und Kaſten- 30
Unterſuchung ihrer Kammer angeſtellt. So, wenn z. B. mich die
Kronacher Magd befragte, ob Sie ſie für die Diebin gehalten, wie
Sie ſpäter gegen mich gethan, ſo würd’ ich ihr ſagen, daß ſie von
mir keine Antwort zu verlangen habe. Wem ſollt’ ich denn meine
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 6. Berlin, 1952, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe06_1962/354>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.