Veränderungen verhältnismäßig arme Periode; aber die großen politischen Zeitereignisse warfen ihre Schatten doch auch in sein Bayreuther Stilleben und spiegeln sich vielfach in seinem Brief- wechsel. Bayreuth, anfangs noch unter französischer, seit Mitte 1810 in bayrischer Verwaltung, war oft vom Kriege bedroht, so daß Jean Paul an Wegzug in weniger gefährdete Gegenden denken mußte. Obwohl wirtschaftlich durch die ihm vom Fürst-Primas Dalberg ausgesetzte Pension einigermaßen gesichert, bekam er doch das Daniederliegen des deutschen Buchhandels stark zu spüren und mußte seine ohnehin nachlassende Kraft fast ganz auf Beiträge zu Zeitschriften, Kalendern und zum Frankfurter Museum, auf Neu- auflagen (Vorschule der Ästhetik, Levana) und Sammlungen seiner zerstreuten Aufsätze (Herbst-Blumine) verwenden. An größeren Dichtungen hat er in diesen Jahren nur das "Leben Fibels" voll- endet und den großen komischen Roman, der später "Der Komet" betitelt wurde, begonnen. -- Die mit dem Heranwachsen der drei Kinder brennender werdenden Erziehungsfragen führten zeitweise zu heftigen ehelichen Zerwürfnissen, von denen er sich durch kleine Reisen nach Bamberg (1810), Erlangen (1811) und Nürnberg (1812) erholte. Auch an Konflikten mit Freunden und Bekannten fehlte es nicht, wie sich denn überhaupt vielfach starke Reizbarkeit bekundet. Eine schwere seelische Erschütterung brachte ihm der tra- gische Liebestod der unglücklichen Marianne Lux.
Jean Pauls Briefwechsel war in diesen Jahren nicht mehr so umfangreich wie in der Zeit um die Jahr hundertwende, doch immer noch beträchtlich genug. Seine Briefe werden durchweg kürzer und sachlicher; nur auf Reisen nahm er sich noch die Zeit zu ausführ- lichen Berichten. Manches überließ er -- nach Herders Vorbild (vgl. S. 258, 29) -- seiner Frau, z. B. die Korrespondenz mit Char- lotte von Kalb; viele Briefe ließ er auch unbeantwortet, sogar einen so liebenswürdigen wie den von Johann Peter Hebel. Unter den Korrespondenten begegnen wir von den älteren Freunden neben den Getreuen Otto und Emanuel noch Jacobi, Knebel, Schlichte- groll, Thieriot, Ahlefeldt, Ludwig von Oertel, Ernst Wagner, Friedrich Schlegel, Vogel, von Freundinnen Emilie von Berlepsch (nunmehriger Harmes), Helmina von Chezy, Renate Otto usw. Dazu kommen viele neue: die Hamburger Beneke und Hudtwalcker,
Veränderungen verhältnismäßig arme Periode; aber die großen politiſchen Zeitereigniſſe warfen ihre Schatten doch auch in ſein Bayreuther Stilleben und ſpiegeln ſich vielfach in ſeinem Brief- wechſel. Bayreuth, anfangs noch unter franzöſiſcher, ſeit Mitte 1810 in bayriſcher Verwaltung, war oft vom Kriege bedroht, ſo daß Jean Paul an Wegzug in weniger gefährdete Gegenden denken mußte. Obwohl wirtſchaftlich durch die ihm vom Fürſt-Primas Dalberg ausgeſetzte Penſion einigermaßen geſichert, bekam er doch das Daniederliegen des deutſchen Buchhandels ſtark zu ſpüren und mußte ſeine ohnehin nachlaſſende Kraft faſt ganz auf Beiträge zu Zeitſchriften, Kalendern und zum Frankfurter Muſeum, auf Neu- auflagen (Vorſchule der Äſthetik, Levana) und Sammlungen ſeiner zerſtreuten Aufſätze (Herbſt-Blumine) verwenden. An größeren Dichtungen hat er in dieſen Jahren nur das „Leben Fibels“ voll- endet und den großen komiſchen Roman, der ſpäter „Der Komet“ betitelt wurde, begonnen. — Die mit dem Heranwachſen der drei Kinder brennender werdenden Erziehungsfragen führten zeitweiſe zu heftigen ehelichen Zerwürfniſſen, von denen er ſich durch kleine Reiſen nach Bamberg (1810), Erlangen (1811) und Nürnberg (1812) erholte. Auch an Konflikten mit Freunden und Bekannten fehlte es nicht, wie ſich denn überhaupt vielfach ſtarke Reizbarkeit bekundet. Eine ſchwere ſeeliſche Erſchütterung brachte ihm der tra- giſche Liebestod der unglücklichen Marianne Lux.
Jean Pauls Briefwechſel war in dieſen Jahren nicht mehr ſo umfangreich wie in der Zeit um die Jahr hundertwende, doch immer noch beträchtlich genug. Seine Briefe werden durchweg kürzer und ſachlicher; nur auf Reiſen nahm er ſich noch die Zeit zu ausführ- lichen Berichten. Manches überließ er — nach Herders Vorbild (vgl. S. 258, 29) — ſeiner Frau, z. B. die Korreſpondenz mit Char- lotte von Kalb; viele Briefe ließ er auch unbeantwortet, ſogar einen ſo liebenswürdigen wie den von Johann Peter Hebel. Unter den Korreſpondenten begegnen wir von den älteren Freunden neben den Getreuen Otto und Emanuel noch Jacobi, Knebel, Schlichte- groll, Thieriot, Ahlefeldt, Ludwig von Oertel, Ernſt Wagner, Friedrich Schlegel, Vogel, von Freundinnen Emilie von Berlepſch (nunmehriger Harmes), Helmina von Chézy, Renate Otto uſw. Dazu kommen viele neue: die Hamburger Beneke und Hudtwalcker,
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[VII/0006]
Veränderungen verhältnismäßig arme Periode; aber die großen
politiſchen Zeitereigniſſe warfen ihre Schatten doch auch in ſein
Bayreuther Stilleben und ſpiegeln ſich vielfach in ſeinem Brief-
wechſel. Bayreuth, anfangs noch unter franzöſiſcher, ſeit Mitte
1810 in bayriſcher Verwaltung, war oft vom Kriege bedroht, ſo
daß Jean Paul an Wegzug in weniger gefährdete Gegenden denken
mußte. Obwohl wirtſchaftlich durch die ihm vom Fürſt-Primas
Dalberg ausgeſetzte Penſion einigermaßen geſichert, bekam er doch
das Daniederliegen des deutſchen Buchhandels ſtark zu ſpüren und
mußte ſeine ohnehin nachlaſſende Kraft faſt ganz auf Beiträge zu
Zeitſchriften, Kalendern und zum Frankfurter Muſeum, auf Neu-
auflagen (Vorſchule der Äſthetik, Levana) und Sammlungen ſeiner
zerſtreuten Aufſätze (Herbſt-Blumine) verwenden. An größeren
Dichtungen hat er in dieſen Jahren nur das „Leben Fibels“ voll-
endet und den großen komiſchen Roman, der ſpäter „Der Komet“
betitelt wurde, begonnen. — Die mit dem Heranwachſen der drei
Kinder brennender werdenden Erziehungsfragen führten zeitweiſe
zu heftigen ehelichen Zerwürfniſſen, von denen er ſich durch kleine
Reiſen nach Bamberg (1810), Erlangen (1811) und Nürnberg
(1812) erholte. Auch an Konflikten mit Freunden und Bekannten
fehlte es nicht, wie ſich denn überhaupt vielfach ſtarke Reizbarkeit
bekundet. Eine ſchwere ſeeliſche Erſchütterung brachte ihm der tra-
giſche Liebestod der unglücklichen Marianne Lux.
Jean Pauls Briefwechſel war in dieſen Jahren nicht mehr ſo
umfangreich wie in der Zeit um die Jahr hundertwende, doch immer
noch beträchtlich genug. Seine Briefe werden durchweg kürzer und
ſachlicher; nur auf Reiſen nahm er ſich noch die Zeit zu ausführ-
lichen Berichten. Manches überließ er — nach Herders Vorbild
(vgl. S. 258, 29) — ſeiner Frau, z. B. die Korreſpondenz mit Char-
lotte von Kalb; viele Briefe ließ er auch unbeantwortet, ſogar
einen ſo liebenswürdigen wie den von Johann Peter Hebel. Unter
den Korreſpondenten begegnen wir von den älteren Freunden neben
den Getreuen Otto und Emanuel noch Jacobi, Knebel, Schlichte-
groll, Thieriot, Ahlefeldt, Ludwig von Oertel, Ernſt Wagner,
Friedrich Schlegel, Vogel, von Freundinnen Emilie von Berlepſch
(nunmehriger Harmes), Helmina von Chézy, Renate Otto uſw.
Dazu kommen viele neue: die Hamburger Beneke und Hudtwalcker,
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 6. Berlin, 1952, S. VII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe06_1962/6>, abgerufen am 21.11.2024.
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