floßne Fratzen-Schatten gemacht, dafür hätt' ihm Luther seinen ächten Band Tischreden an den Kopf geworfen. Der karfunkelnde Famulus allein ist ächt theatralisch, wenn er durch einen guten Schauspieler, einen Weston, Foote, Carlin, oder auch Schuch richtig dargestellt wird. -- Nicht die Darstellung des Mystischen5 ist hier die Entheiligung desselben, sondern die Armuth daran bei dem Bestreben, den Leser in der Guckkasten-Nacht unbestimmter Floskeln mehr sehen zu lassen als der Kasten-Künstler selber sieht und weiß. -- Die letzten Auftritte des Attila waren mir eine wahn- sinnige Verschraubung aller menschlichen Empfindungen wie sie10 nur jetzt floriert.
d. 4 Okt.
Koeppen war diese Woche bei mir. Sein nordisch-redlicher Charakter und seine freie philosophische kraftvolle Ansicht haben mir ihn mehr gewonnen und liebgemacht (so wie dem genialen15 D. Langermann) als er selber vielleicht vorausgesetzt, da ich durch Nachwehen meines Wechselfiebers*) [ihn] zweimal nicht sehen konnte und Einmal aus Arbeits-Ursach. Alles übrige erzähl' er dir selber.
Der freche Tiek sammt seiner frechen Frau und Schwester sind -- nach Bernhardi -- wirklich katholisch geworden, um endlich das20 zu sein, was du von einem Dichter so sehr foderest. Nachdem nämlich Tiek und Schlegel etc. lange genug aus poetischem Scheine und Spaße vor der h. Marie gekniet, haben sie zuletzt im prosaischen Ernste angebetet, wie Lügner am Ende sich selber glauben. So wird denn aus poetischer Form doch Stoff.25
Dein Gegensatz der Wissenschaft -- als Spinozismus und Pla- tonismus -- wird neuerlich durch Oken recht klar, der "das Zero "oder Nichts**) zum Inbegriff der Mathematik und Gott zum "selbstbewußten Nichts macht und alle Einzelwesen zu bestimmten "Nichtsen" folglich zu bestimmtenAbsolutis. Ich schrieb einmal30 aus Spaß, dem tranßendenten Steigern bleibe nun kein noch höheres Prinzip übrig als das Nichts; jetzt sagt der wirklich, "es existiert nichts als das Nichts."
*) Dennoch war ich nie auf dem Krankenbette -- ausgenommen einmal in der Kindheit --35
**) das er auch das Absolute nennt.
floßne Fratzen-Schatten gemacht, dafür hätt’ ihm Luther ſeinen ächten Band Tiſchreden an den Kopf geworfen. Der karfunkelnde Famulus allein iſt ächt theatraliſch, wenn er durch einen guten Schauſpieler, einen Weſton, Foote, Carlin, oder auch Schuch richtig dargeſtellt wird. — Nicht die Darſtellung des Myſtiſchen5 iſt hier die Entheiligung deſſelben, ſondern die Armuth daran bei dem Beſtreben, den Leſer in der Guckkaſten-Nacht unbeſtimmter Floſkeln mehr ſehen zu laſſen als der Kaſten-Künſtler ſelber ſieht und weiß. — Die letzten Auftritte des Attila waren mir eine wahn- ſinnige Verſchraubung aller menſchlichen Empfindungen wie ſie10 nur jetzt floriert.
d. 4 Okt.
Koeppen war dieſe Woche bei mir. Sein nordiſch-redlicher Charakter und ſeine freie philoſophiſche kraftvolle Anſicht haben mir ihn mehr gewonnen und liebgemacht (ſo wie dem genialen15 D. Langermann) als er ſelber vielleicht vorausgeſetzt, da ich durch Nachwehen meines Wechſelfiebers*) [ihn] zweimal nicht ſehen konnte und Einmal aus Arbeits-Urſach. Alles übrige erzähl’ er dir ſelber.
Der freche Tiek ſammt ſeiner frechen Frau und Schweſter ſind — nach Bernhardi — wirklich katholiſch geworden, um endlich das20 zu ſein, was du von einem Dichter ſo ſehr fodereſt. Nachdem nämlich Tiek und Schlegel ꝛc. lange genug aus poetiſchem Scheine und Spaße vor der h. Marie gekniet, haben ſie zuletzt im proſaiſchen Ernſte angebetet, wie Lügner am Ende ſich ſelber glauben. So wird denn aus poetiſcher Form doch Stoff.25
Dein Gegenſatz der Wiſſenſchaft — als Spinoziſmus und Pla- toniſmus — wird neuerlich durch Oken recht klar, der „das Zero „oder Nichts**) zum Inbegriff der Mathematik und Gott zum „ſelbſtbewußten Nichts macht und alle Einzelweſen zu beſtimmten „Nichtſen“ folglich zu beſtimmtenAbsolutis. Ich ſchrieb einmal30 aus Spaß, dem tranſzendenten Steigern bleibe nun kein noch höheres Prinzip übrig als das Nichts; jetzt ſagt der wirklich, „es exiſtiert nichts als das Nichts.“
*) Dennoch war ich nie auf dem Krankenbette — ausgenommen einmal in der Kindheit —35
**) das er auch das Abſolute nennt.
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floßne Fratzen-Schatten gemacht, dafür hätt’ ihm Luther ſeinen
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Schauſpieler, einen Weſton, Foote, Carlin, oder auch Schuch
richtig dargeſtellt wird. — Nicht die Darſtellung des Myſtiſchen 5
iſt hier die Entheiligung deſſelben, ſondern die Armuth daran bei
dem Beſtreben, den Leſer in der Guckkaſten-Nacht unbeſtimmter
Floſkeln mehr ſehen zu laſſen als der Kaſten-Künſtler ſelber ſieht
und weiß. — Die letzten Auftritte des Attila waren mir eine wahn-
ſinnige Verſchraubung aller menſchlichen Empfindungen wie ſie 10
nur jetzt floriert.
d. 4 Okt.
Koeppen war dieſe Woche bei mir. Sein nordiſch-redlicher
Charakter und ſeine freie philoſophiſche kraftvolle Anſicht haben
mir ihn mehr gewonnen und liebgemacht (ſo wie dem genialen 15
D. Langermann) als er ſelber vielleicht vorausgeſetzt, da ich durch
Nachwehen meines Wechſelfiebers *) [ihn] zweimal nicht ſehen konnte
und Einmal aus Arbeits-Urſach. Alles übrige erzähl’ er dir ſelber.
Der freche Tiek ſammt ſeiner frechen Frau und Schweſter ſind
— nach Bernhardi — wirklich katholiſch geworden, um endlich das 20
zu ſein, was du von einem Dichter ſo ſehr fodereſt. Nachdem nämlich
Tiek und Schlegel ꝛc. lange genug aus poetiſchem Scheine und
Spaße vor der h. Marie gekniet, haben ſie zuletzt im proſaiſchen
Ernſte angebetet, wie Lügner am Ende ſich ſelber glauben. So
wird denn aus poetiſcher Form doch Stoff. 25
Dein Gegenſatz der Wiſſenſchaft — als Spinoziſmus und Pla-
toniſmus — wird neuerlich durch Oken recht klar, der „das Zero
„oder Nichts **) zum Inbegriff der Mathematik und Gott zum
„ſelbſtbewußten Nichts macht und alle Einzelweſen zu beſtimmten
„Nichtſen“ folglich zu beſtimmten Absolutis. Ich ſchrieb einmal 30
aus Spaß, dem tranſzendenten Steigern bleibe nun kein noch
höheres Prinzip übrig als das Nichts; jetzt ſagt der wirklich, „es
exiſtiert nichts als das Nichts.“
*) Dennoch war ich nie auf dem Krankenbette — ausgenommen einmal in
der Kindheit —
**) das er auch das Abſolute nennt.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 6. Berlin, 1952, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe06_1962/65>, abgerufen am 16.02.2025.
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