Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954.

Bild:
<< vorherige Seite

Nach 11 Uhr umkreisete uns ein neues Schiff mit Lichtern, Flöten
und Weibern und Jünglingen, das uns nachgezogen war und zum
Plane des Festes gehörte -- Ich konnte über den Mittelnachen
Nebennachen doch die Hände hinüberreichen zum Drücken*) --
Und so glitt es, mehr schwebend und ruhend, auf den Wellen der5
Stadt zu. Da sah ich oft zu den Sternen hinauf und dankte Gott.

Die Musiker und Menschen unseres Schiffs begleiteten uns bis
in den Hof des Wennerschen Hauses und ich bekam, nachdem ich
schon Abschied genommen, wieder ein gesungnes und gespieltes
Ständchen und mußte wieder hinunter, um neu zu danken und neu10
zu scheiden. Von einem Mädchen, das ich nicht kenne, bekam ich
einen so herzlichen Kuß nach dem meinigen als sei es meine Tochter.
Nach 121/2 Uhr war die schöne Geisternacht vorüber. -- Verzeih die
wilde Schilderung, die eigentlich doch nur das halbe sagt. Nun wirst
du begreifen, warum ich an deinen heutigen Tag dachte; und beinahe15
hätt' ich etwas davon gesagt, wäre die Feiergesellschaft nicht zu
groß gewesen. --

Die Weiber sind hier mehr ausgebildet, als in Mainz. Meine
neulichen Berichte der weiblichen Häßlichkeit beziehen sich nur auf
die untern, nicht auf die mittlern Klassen.20

Der geistig und leiblich-fein gebildete und schön geformte Wenner
-- der keinen Zug von einem Buchhändler hat, auch keiner mehr ist,
aber sehr reich; denn sein Haus besteht aus 2 aneinander gereiheten
Häusern -- hatte mich zum ganzen mir zubereiteten Festabend nur
so nebenher eingeladen.25


Ich schmachte sehr nach einem Blatte von dir und habe dich den
ganzen Morgen im Sinne, zumal da mir in der Nacht geträumt, ich
sähe dich krank im Bette, was Gott verhüte. -- Setze auf deine
Briefe: Frankfurt am Main. -- Auch frankiere sie hieher, bis ich in30
Heidelberg bin, damit ich Wenner nicht etwa von dort aus zu be-
zahlen brauche. Diese Woche bleib ich freilich noch hier, da ich
zum Essen mit dem hiesigen Gelehrtenverein geladen bin, -- und

*) Komisch genug und doch in der Freude verzeihlich bat man mich, mehr das
Gesicht herauszuhalten, damit das neue Weiberschiff mein mitschiffendes Gesicht35
sähe als eine neue Insel.

Nach 11 Uhr umkreiſete uns ein neues Schiff mit Lichtern, Flöten
und Weibern und Jünglingen, das uns nachgezogen war und zum
Plane des Feſtes gehörte — Ich konnte über den Mittelnachen
〈Nebennachen〉 doch die Hände hinüberreichen zum Drücken*)
Und ſo glitt es, mehr ſchwebend und ruhend, auf den Wellen der5
Stadt zu. Da ſah ich oft zu den Sternen hinauf und dankte Gott.

Die Muſiker und Menſchen unſeres Schiffs begleiteten uns bis
in den Hof des Wennerschen Hauſes und ich bekam, nachdem ich
ſchon Abſchied genommen, wieder ein geſungnes und geſpieltes
Ständchen und mußte wieder hinunter, um neu zu danken und neu10
zu ſcheiden. Von einem Mädchen, das ich nicht kenne, bekam ich
einen ſo herzlichen Kuß nach dem meinigen als ſei es meine Tochter.
Nach 12½ Uhr war die ſchöne Geiſternacht vorüber. — Verzeih die
wilde Schilderung, die eigentlich doch nur das halbe ſagt. Nun wirſt
du begreifen, warum ich an deinen heutigen Tag dachte; und beinahe15
hätt’ ich etwas davon geſagt, wäre die Feiergeſellſchaft nicht zu
groß geweſen. —

Die Weiber ſind hier mehr ausgebildet, als in Mainz. Meine
neulichen Berichte der weiblichen Häßlichkeit beziehen ſich nur auf
die untern, nicht auf die mittlern Klaſſen.20

Der geiſtig und leiblich-fein gebildete und ſchön geformte Wenner
— der keinen Zug von einem Buchhändler hat, auch keiner mehr iſt,
aber ſehr reich; denn ſein Haus beſteht aus 2 aneinander gereiheten
Häuſern — hatte mich zum ganzen mir zubereiteten Feſtabend nur
ſo nebenher eingeladen.25


Ich ſchmachte ſehr nach einem Blatte von dir und habe dich den
ganzen Morgen im Sinne, zumal da mir in der Nacht geträumt, ich
ſähe dich krank im Bette, was Gott verhüte. — Setze auf deine
Briefe: Frankfurt am Main. — Auch frankiere ſie hieher, bis ich in30
Heidelberg bin, damit ich Wenner nicht etwa von dort aus zu be-
zahlen brauche. Dieſe Woche bleib ich freilich noch hier, da ich
zum Eſſen mit dem hieſigen Gelehrtenverein geladen bin, — und

*) Komiſch genug und doch in der Freude verzeihlich bat man mich, mehr das
Geſicht herauszuhalten, damit das neue Weiberſchiff mein mitſchiffendes Geſicht35
ſähe als eine neue Inſel.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0205" n="198"/>
Nach 11 Uhr umkrei&#x017F;ete uns ein neues Schiff mit Lichtern, Flöten<lb/>
und Weibern und Jünglingen, das uns nachgezogen war und zum<lb/>
Plane des Fe&#x017F;tes gehörte &#x2014; Ich konnte über den Mittelnachen<lb/>
&#x2329;Nebennachen&#x232A; doch die Hände hinüberreichen zum Drücken<note place="foot" n="*)">Komi&#x017F;ch genug und doch in der Freude verzeihlich bat man mich, mehr das<lb/>
Ge&#x017F;icht herauszuhalten, damit das neue Weiber&#x017F;chiff mein mit&#x017F;chiffendes Ge&#x017F;icht<lb n="35"/>
&#x017F;ähe als eine neue In&#x017F;el.</note> &#x2014;<lb/>
Und &#x017F;o glitt es, mehr &#x017F;chwebend und ruhend, auf den Wellen der<lb n="5"/>
Stadt zu. Da &#x017F;ah ich oft zu den Sternen hinauf und dankte Gott.</p><lb/>
          <p>Die Mu&#x017F;iker und Men&#x017F;chen un&#x017F;eres Schiffs begleiteten uns bis<lb/>
in den Hof des <hi rendition="#aq">Wennerschen</hi> Hau&#x017F;es und ich bekam, nachdem ich<lb/>
&#x017F;chon Ab&#x017F;chied genommen, wieder ein ge&#x017F;ungnes und ge&#x017F;pieltes<lb/>
Ständchen und mußte wieder hinunter, um neu zu danken und neu<lb n="10"/>
zu &#x017F;cheiden. Von einem Mädchen, das ich nicht kenne, bekam ich<lb/>
einen &#x017F;o herzlichen Kuß nach dem meinigen als &#x017F;ei es meine Tochter.<lb/>
Nach 12½ Uhr war die &#x017F;chöne Gei&#x017F;ternacht vorüber. &#x2014; Verzeih die<lb/>
wilde Schilderung, die eigentlich doch nur das halbe &#x017F;agt. Nun wir&#x017F;t<lb/>
du begreifen, warum ich an deinen heutigen Tag dachte; und beinahe<lb n="15"/>
hätt&#x2019; ich etwas davon ge&#x017F;agt, wäre die Feierge&#x017F;ell&#x017F;chaft nicht zu<lb/>
groß gewe&#x017F;en. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Die Weiber &#x017F;ind hier mehr ausgebildet, als in Mainz. Meine<lb/>
neulichen Berichte der weiblichen Häßlichkeit beziehen &#x017F;ich nur auf<lb/>
die untern, nicht auf die mittlern Kla&#x017F;&#x017F;en.<lb n="20"/>
</p>
          <p>Der gei&#x017F;tig und leiblich-fein gebildete und &#x017F;chön geformte <hi rendition="#aq">Wenner</hi><lb/>
&#x2014; der keinen Zug von einem Buchhändler hat, auch keiner mehr i&#x017F;t,<lb/>
aber &#x017F;ehr reich; denn &#x017F;ein Haus be&#x017F;teht aus 2 aneinander gereiheten<lb/>
Häu&#x017F;ern &#x2014; hatte mich zum ganzen mir zubereiteten Fe&#x017F;tabend nur<lb/>
&#x017F;o nebenher eingeladen.<lb n="25"/>
</p>
        </div>
        <div n="2">
          <dateline> <hi rendition="#right">d. 8. Jun.</hi> </dateline><lb/>
          <p>Ich &#x017F;chmachte &#x017F;ehr nach einem Blatte von dir und habe dich den<lb/>
ganzen Morgen im Sinne, zumal da mir in der Nacht geträumt, ich<lb/>
&#x017F;ähe dich krank im Bette, was Gott verhüte. &#x2014; Setze auf deine<lb/>
Briefe: Frankfurt <hi rendition="#g">am Main.</hi> &#x2014; Auch frankiere &#x017F;ie hieher, bis ich in<lb n="30"/> <hi rendition="#aq">Heidelberg</hi> bin, damit ich <hi rendition="#aq">Wenner</hi> nicht etwa von dort aus zu be-<lb/>
zahlen brauche. Die&#x017F;e Woche bleib ich freilich noch hier, da ich<lb/>
zum E&#x017F;&#x017F;en mit dem hie&#x017F;igen Gelehrtenverein geladen bin, &#x2014; und<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[198/0205] Nach 11 Uhr umkreiſete uns ein neues Schiff mit Lichtern, Flöten und Weibern und Jünglingen, das uns nachgezogen war und zum Plane des Feſtes gehörte — Ich konnte über den Mittelnachen 〈Nebennachen〉 doch die Hände hinüberreichen zum Drücken *) — Und ſo glitt es, mehr ſchwebend und ruhend, auf den Wellen der 5 Stadt zu. Da ſah ich oft zu den Sternen hinauf und dankte Gott. Die Muſiker und Menſchen unſeres Schiffs begleiteten uns bis in den Hof des Wennerschen Hauſes und ich bekam, nachdem ich ſchon Abſchied genommen, wieder ein geſungnes und geſpieltes Ständchen und mußte wieder hinunter, um neu zu danken und neu 10 zu ſcheiden. Von einem Mädchen, das ich nicht kenne, bekam ich einen ſo herzlichen Kuß nach dem meinigen als ſei es meine Tochter. Nach 12½ Uhr war die ſchöne Geiſternacht vorüber. — Verzeih die wilde Schilderung, die eigentlich doch nur das halbe ſagt. Nun wirſt du begreifen, warum ich an deinen heutigen Tag dachte; und beinahe 15 hätt’ ich etwas davon geſagt, wäre die Feiergeſellſchaft nicht zu groß geweſen. — Die Weiber ſind hier mehr ausgebildet, als in Mainz. Meine neulichen Berichte der weiblichen Häßlichkeit beziehen ſich nur auf die untern, nicht auf die mittlern Klaſſen. 20 Der geiſtig und leiblich-fein gebildete und ſchön geformte Wenner — der keinen Zug von einem Buchhändler hat, auch keiner mehr iſt, aber ſehr reich; denn ſein Haus beſteht aus 2 aneinander gereiheten Häuſern — hatte mich zum ganzen mir zubereiteten Feſtabend nur ſo nebenher eingeladen. 25 d. 8. Jun. Ich ſchmachte ſehr nach einem Blatte von dir und habe dich den ganzen Morgen im Sinne, zumal da mir in der Nacht geträumt, ich ſähe dich krank im Bette, was Gott verhüte. — Setze auf deine Briefe: Frankfurt am Main. — Auch frankiere ſie hieher, bis ich in 30 Heidelberg bin, damit ich Wenner nicht etwa von dort aus zu be- zahlen brauche. Dieſe Woche bleib ich freilich noch hier, da ich zum Eſſen mit dem hieſigen Gelehrtenverein geladen bin, — und *) Komiſch genug und doch in der Freude verzeihlich bat man mich, mehr das Geſicht herauszuhalten, damit das neue Weiberſchiff mein mitſchiffendes Geſicht 35 ſähe als eine neue Inſel.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:19:52Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:19:52Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe07_1954
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe07_1954/205
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe07_1954/205>, abgerufen am 21.11.2024.