Heute mußt du einen zweiten Brief von mir empfangen, auf den du mir noch Antwort schuldig bist. Ich schreibe eilig, damit der Kutscher meinen unabänderlichen Willen mitbringt. So vortrefflich5 der vorige Kutscher war, so abscheulich waren seine Pferde, die mir jede Stadt wegraubten, weil ich stets um 8 oder 1/29 ankam. Und der gegenwärtige kam mit seinen stärkern Pferden schon gestern um 1 hier an. Also dieser überbringende Kutscher mit seinen Pferden*) holt mich; mach' es bei Eisenhut zur heiligen Bedingung10 der Bezahlung und der künftigen Kundschaft. Heute über 8 Tage den 3. Jul. fährt er von Baireut ab, und ich komme also am Sonn- abende an. Es ist da auch gerade die vierwöchentliche Miethzeit meiner Wohnung aus (denn unter weniger Wochen wollte Mohr nicht vermiethen). Jetzo schon mitzufahren wäre unmöglich, zahlt'15 ich auch 2 Tage Wartgeld; und was gewänn ich dann an Geld? Heute holt mich der Herzog nach Stetten zur Herzogin. Noch hab' ich die Kunstwerke Danneckers und Boisserees und eine wichtige Hellseherin und viele Gegenden nicht gesehen. Abschiede -- Paß -- abzuschreibende und zurück zu schickende Bücher -- alles hindert.20 Ferner sollst du mir auch etwas auf die Rückreise mitschicken. Erstlich 4 Krüge Franzwein (denn hier kostet die Flasche 1 Thaler); und zwar jeden Krug halb von gutem und schlechtem gemischt; dann 2 Bouteillen Pomeranzensäuferei. Es thäte auch weiter gar nichts, wenn du ein Stückchen Schinken und ein Paar Hollunder-25 trauben gut einpacktest, weil der Fuhrmann sich darauf spitzt. -- Und endlich gib dem Kutscher das Beste mit, einen Brief von dir. Es kommt jetzo viel schöneres Wetter, wie ich schon seit Dienstags in der ganzen Stadt ausgeklingelt habe.
-- -- Jetzo eben hör' ich zu meinem Schrecken, daß auch die Post30 mir so wenig einen Brief mitgebracht hat wie der Kutscher. Wie konntest du dieß thun, liebe Karoline? Wer in der Fremde lebt, bedarf am ersten der geliebten Stimmen aus dem Hause; aber nicht so umgekehrt. Ich entbehre euch alle, ihr aber nur Einen. -- Ich selber habe nun, da nichts zu beantworten ist, nicht viel weniger [!]35
*) Jeder Kutscher ist an seine eignen Pferde gebunden, die er nur behandeln kann.
537. An Karoline Richter.
Stuttgart d. 26. Jun. 〈Sonnabends〉 1819
Heute mußt du einen zweiten Brief von mir empfangen, auf den du mir noch Antwort ſchuldig biſt. Ich ſchreibe eilig, damit der Kutſcher meinen unabänderlichen Willen mitbringt. So vortrefflich5 der vorige Kutſcher war, ſo abſcheulich waren ſeine Pferde, die mir jede Stadt wegraubten, weil ich ſtets um 8 oder ½9 ankam. Und der gegenwärtige kam mit ſeinen ſtärkern Pferden ſchon geſtern um 1 hier an. Alſo dieſer überbringende Kutſcher mit ſeinen Pferden*) holt mich; mach’ es bei Eisenhut zur heiligen Bedingung10 der Bezahlung und der künftigen Kundſchaft. Heute über 8 Tage den 3. Jul. fährt er von Baireut ab, und ich komme alſo am Sonn- abende an. Es iſt da auch gerade die vierwöchentliche Miethzeit meiner Wohnung aus (denn unter weniger Wochen wollte Mohr nicht vermiethen). Jetzo ſchon mitzufahren wäre unmöglich, zahlt’15 ich auch 2 Tage Wartgeld; und was gewänn ich dann an Geld? Heute holt mich der Herzog nach Stetten zur Herzogin. Noch hab’ ich die Kunſtwerke Danneckers und Boisserées und eine wichtige Hellſeherin und viele Gegenden nicht geſehen. Abſchiede — Paß — abzuſchreibende und zurück zu ſchickende Bücher — alles hindert.20 Ferner ſollſt du mir auch etwas auf die Rückreiſe mitſchicken. Erſtlich 4 Krüge Franzwein (denn hier koſtet die Flaſche 1 Thaler); und zwar jeden Krug halb von gutem und ſchlechtem gemiſcht; dann 2 Bouteillen Pomeranzenſäuferei. Es thäte auch weiter gar nichts, wenn du ein Stückchen Schinken und ein Paar Hollunder-25 trauben gut einpackteſt, weil der Fuhrmann ſich darauf ſpitzt. — Und endlich gib dem Kutſcher das Beſte mit, einen Brief von dir. Es kommt jetzo viel ſchöneres Wetter, wie ich ſchon ſeit Dienſtags in der ganzen Stadt ausgeklingelt habe.
— — Jetzo eben hör’ ich zu meinem Schrecken, daß auch die Poſt30 mir ſo wenig einen Brief mitgebracht hat wie der Kutſcher. Wie konnteſt du dieß thun, liebe Karoline? Wer in der Fremde lebt, bedarf am erſten der geliebten Stimmen aus dem Hauſe; aber nicht ſo umgekehrt. Ich entbehre euch alle, ihr aber nur Einen. — Ich ſelber habe nun, da nichts zu beantworten iſt, nicht viel weniger [!]35
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537. An Karoline Richter.
Stuttgart d. 26. Jun. 〈Sonnabends〉 1819
Heute mußt du einen zweiten Brief von mir empfangen, auf
den du mir noch Antwort ſchuldig biſt. Ich ſchreibe eilig, damit der
Kutſcher meinen unabänderlichen Willen mitbringt. So vortrefflich 5
der vorige Kutſcher war, ſo abſcheulich waren ſeine Pferde, die mir
jede Stadt wegraubten, weil ich ſtets um 8 oder ½9 ankam. Und
der gegenwärtige kam mit ſeinen ſtärkern Pferden ſchon geſtern um
1 hier an. Alſo dieſer überbringende Kutſcher mit ſeinen
Pferden *) holt mich; mach’ es bei Eisenhut zur heiligen Bedingung 10
der Bezahlung und der künftigen Kundſchaft. Heute über 8 Tage
den 3. Jul. fährt er von Baireut ab, und ich komme alſo am Sonn-
abende an. Es iſt da auch gerade die vierwöchentliche Miethzeit
meiner Wohnung aus (denn unter weniger Wochen wollte Mohr
nicht vermiethen). Jetzo ſchon mitzufahren wäre unmöglich, zahlt’ 15
ich auch 2 Tage Wartgeld; und was gewänn ich dann an Geld?
Heute holt mich der Herzog nach Stetten zur Herzogin. Noch hab’
ich die Kunſtwerke Danneckers und Boisserées und eine wichtige
Hellſeherin und viele Gegenden nicht geſehen. Abſchiede — Paß —
abzuſchreibende und zurück zu ſchickende Bücher — alles hindert. 20
Ferner ſollſt du mir auch etwas auf die Rückreiſe mitſchicken.
Erſtlich 4 Krüge Franzwein (denn hier koſtet die Flaſche 1 Thaler);
und zwar jeden Krug halb von gutem und ſchlechtem gemiſcht;
dann 2 Bouteillen Pomeranzenſäuferei. Es thäte auch weiter gar
nichts, wenn du ein Stückchen Schinken und ein Paar Hollunder- 25
trauben gut einpackteſt, weil der Fuhrmann ſich darauf ſpitzt. —
Und endlich gib dem Kutſcher das Beſte mit, einen Brief von dir.
Es kommt jetzo viel ſchöneres Wetter, wie ich ſchon ſeit Dienſtags
in der ganzen Stadt ausgeklingelt habe.
— — Jetzo eben hör’ ich zu meinem Schrecken, daß auch die Poſt 30
mir ſo wenig einen Brief mitgebracht hat wie der Kutſcher. Wie
konnteſt du dieß thun, liebe Karoline? Wer in der Fremde lebt,
bedarf am erſten der geliebten Stimmen aus dem Hauſe; aber nicht
ſo umgekehrt. Ich entbehre euch alle, ihr aber nur Einen. — Ich
ſelber habe nun, da nichts zu beantworten iſt, nicht viel weniger [!] 35
*) Jeder Kutſcher iſt an ſeine eignen Pferde gebunden, die er nur behandeln kann.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:19:52Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:19:52Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe07_1954/288>, abgerufen am 16.07.2024.
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