Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954.569. An Karoline Richter. Löbigau d. 2. Sept. 1819Meine gute Karoline! Wie will ich Erzählfeind fertig werden *) Die Reck hatte sie vorher gehabt. **) Ich merke, das hiesige bestimmte Leben greift den Körper nicht so an als35
das Stuttgarter und Frankfurter. 569. An Karoline Richter. Löbigau d. 2. Sept. 1819Meine gute Karoline! Wie will ich Erzählfeind fertig werden *) Die Reck hatte ſie vorher gehabt. **) Ich merke, das hieſige beſtimmte Leben greift den Körper nicht ſo an als35
das Stuttgarter und Frankfurter. <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0303" n="294"/> <div type="letter" n="1"> <head>569. An <hi rendition="#g">Karoline Richter.</hi></head><lb/> <dateline> <hi rendition="#right"><hi rendition="#aq">Löbigau d. 2. Sept.</hi> 1819</hi> </dateline><lb/> <p>Meine gute Karoline! Wie will ich Erzählfeind fertig werden<lb/> nur mit zwei Tagen? Man lebt ſich hier ſo ins Schloß hinein, daß<lb/> noch kein Beiſpiel vorhanden, daß einer nach 2 Tagen fortgegangen<lb n="5"/> wäre. <hi rendition="#aq">Marheinecke</hi> kam (von der <hi rendition="#aq">Reck</hi> geladen) auf 1 Tag hieher<lb/> und ſitzt ſeit 4 Wochen noch da. Geſtern ſaßen 36 Mann 〈Tags<lb/> darauf 40〉 an der Mittagtafel. So lagern hier Kurländer und<lb/> Berliner 〈unter letzten 3 adeliche Studenten〉, — Feuerbach, Schink,<lb/> Grafen neſterweiſe ꝛc.ꝛc., ſogar der halliſche Buchhändler Eberhard<lb n="10"/> mit ſeiner dicken Frau ſaß geſtern mit daran. Viele ſind der <hi rendition="#aq">Reck</hi><lb/> Geladne. In <hi rendition="#aq">Gera</hi> holte mich die <hi rendition="#aq">Ende</hi> und <hi rendition="#aq">Chassepot</hi> und <hi rendition="#aq">Mar-<lb/> heinecke</hi> ab. Meine Begleiter hatten während meines Anzugs einen<lb/> gutmüthigen Sturm über das ſpäte Ankommen (um 10 Uhr) aus-<lb/> zuſtehen, da man ſchon um 8 auf ſie rechnete. Die 3 Säle waren voll.<lb n="15"/> Noch abends ſang die Fürſtin von Hohenzollern mit einer Oper-<lb/> ſtimme aus dem Tancred. — Ich habe unter den Nichtfürſtlichen die<lb/> zwei beſten Zimmer<note place="foot" n="*)">Die Reck hatte ſie vorher gehabt.</note> — dicht neben den <hi rendition="#aq">Ende</hi>ſchen. Für die kleinſten<lb/> Bequemlichkeiten, an die man gar nicht denkt, iſt mit Aufwand ge-<lb/> ſorgt. Nur die ſeidne Wirthſchaft jagt’ ich aus meinem Bette. —<lb n="20"/> Alle Treppen des Schloſſes ſind mit engliſchen Fußteppichen belegt,<lb/> und die Säle und Zimmer der Herzogin ſo weich wattiert, daß ich<lb/> darauf ſchlafen könnte. Das Eſſen iſt ganz nach guter altbürgerlicher<lb/> Sitte; um 12 oder 12½ wird zu Mittag geſpeiſet, faſt lauter warme<lb/> Gerichte, wenn ich den Kuchen ausnehme. Das Abendeſſen iſt ſchon<lb n="25"/> nach 6 Uhr, hat aber einige Gerichte mehr (und alle ſind trefflich)<lb/> und dabei den Schaugerichtaufſatz, ders am meiſten vom <hi rendition="#aq">Diner</hi><lb/> unterſcheidet; erſt nach der Abendtafel wird um 8½ Uhr Kaffee<lb/> getrunken, und um 10 Uhr Thee. Nach 12 Uhr denkt man ſchon<lb/> ans Bett. Mein Magen fügte ſich bei einiger Mäßigkeit<note place="foot" n="**)">Ich merke, das hieſige beſtimmte Leben greift den Körper nicht ſo an als<lb n="35"/> das Stuttgarter und Frankfurter.</note> geſtern<lb n="30"/> recht gut in dieſen alten Bürgerbrauch. Ich kenne keine größere<lb/> Freiheit als hier unter dieſem <hi rendition="#g">italieniſchen</hi> Dache wohnt. Wäh-<lb/> rend des fürſtlichen Singens im 1 Saale, hatten andere junge Leute<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [294/0303]
569. An Karoline Richter.
Löbigau d. 2. Sept. 1819
Meine gute Karoline! Wie will ich Erzählfeind fertig werden
nur mit zwei Tagen? Man lebt ſich hier ſo ins Schloß hinein, daß
noch kein Beiſpiel vorhanden, daß einer nach 2 Tagen fortgegangen 5
wäre. Marheinecke kam (von der Reck geladen) auf 1 Tag hieher
und ſitzt ſeit 4 Wochen noch da. Geſtern ſaßen 36 Mann 〈Tags
darauf 40〉 an der Mittagtafel. So lagern hier Kurländer und
Berliner 〈unter letzten 3 adeliche Studenten〉, — Feuerbach, Schink,
Grafen neſterweiſe ꝛc.ꝛc., ſogar der halliſche Buchhändler Eberhard 10
mit ſeiner dicken Frau ſaß geſtern mit daran. Viele ſind der Reck
Geladne. In Gera holte mich die Ende und Chassepot und Mar-
heinecke ab. Meine Begleiter hatten während meines Anzugs einen
gutmüthigen Sturm über das ſpäte Ankommen (um 10 Uhr) aus-
zuſtehen, da man ſchon um 8 auf ſie rechnete. Die 3 Säle waren voll. 15
Noch abends ſang die Fürſtin von Hohenzollern mit einer Oper-
ſtimme aus dem Tancred. — Ich habe unter den Nichtfürſtlichen die
zwei beſten Zimmer *) — dicht neben den Endeſchen. Für die kleinſten
Bequemlichkeiten, an die man gar nicht denkt, iſt mit Aufwand ge-
ſorgt. Nur die ſeidne Wirthſchaft jagt’ ich aus meinem Bette. — 20
Alle Treppen des Schloſſes ſind mit engliſchen Fußteppichen belegt,
und die Säle und Zimmer der Herzogin ſo weich wattiert, daß ich
darauf ſchlafen könnte. Das Eſſen iſt ganz nach guter altbürgerlicher
Sitte; um 12 oder 12½ wird zu Mittag geſpeiſet, faſt lauter warme
Gerichte, wenn ich den Kuchen ausnehme. Das Abendeſſen iſt ſchon 25
nach 6 Uhr, hat aber einige Gerichte mehr (und alle ſind trefflich)
und dabei den Schaugerichtaufſatz, ders am meiſten vom Diner
unterſcheidet; erſt nach der Abendtafel wird um 8½ Uhr Kaffee
getrunken, und um 10 Uhr Thee. Nach 12 Uhr denkt man ſchon
ans Bett. Mein Magen fügte ſich bei einiger Mäßigkeit **) geſtern 30
recht gut in dieſen alten Bürgerbrauch. Ich kenne keine größere
Freiheit als hier unter dieſem italieniſchen Dache wohnt. Wäh-
rend des fürſtlichen Singens im 1 Saale, hatten andere junge Leute
*) Die Reck hatte ſie vorher gehabt.
**) Ich merke, das hieſige beſtimmte Leben greift den Körper nicht ſo an als 35
das Stuttgarter und Frankfurter.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:19:52Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:19:52Z)
Weitere Informationen:Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen). Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |