Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955.207. An Heinrich Voß in Heidelberg. Baireut d. 3. Sept. 1821 [Montag]Mein guter Heinrich! Es war wieder nichts. Der Reisepaß lag zwar Laße doch meinen Max die vorige Seite lesen, da ich nichts 2 mal 207. An Heinrich Voß in Heidelberg. Baireut d. 3. Sept. 1821 [Montag]Mein guter Heinrich! Es war wieder nichts. Der Reiſepaß lag zwar Laße doch meinen Max die vorige Seite leſen, da ich nichts 2 mal <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0139" n="132"/> <div type="letter" n="1"> <head>207. An <hi rendition="#g">Heinrich Voß in Heidelberg.</hi></head><lb/> <dateline> <hi rendition="#right"><hi rendition="#aq">Baireut</hi> d. 3. Sept. 1821 [Montag]</hi> </dateline><lb/> <p>Mein guter Heinrich! Es war wieder nichts. Der Reiſepaß lag zwar<lb/> ſchon im Mai da; aber als ich ſchon 1 Kronenthaler dem Kutſcher darauf-<lb/> gegeben, kam unter Zögerungen von fremden Seiten jenes vermiſchte<lb n="5"/> Wetter heran, das erſt in der Mitte künftiger Woche zu blauem wird.<lb/> Ohne dieſes hab’ ich im Wagen keinen Genuß. Mein Inneres braucht<lb/> jetzo viel Äuſſeres. Aber der Herbſt mit ſeinen einſchrumpfenden Tagen<lb/> predigt Häuslichkeit und nur der Frühling ruft das ſehnſüchtige ver-<lb/> jüngte Herz in die Welt hinaus. Sogar nur der Morgen iſt für mich<lb n="10"/> Frühling; der Nachmittag aber Herbſt; nun vollends dazu ein Herbſt-<lb/> nachmittag auf Reiſen, die Quadratzahl jenes Gefühls. Dabei ſeid ihr<lb/> jetzo alle ſelber auch auf Reiſen. — Wie oft dacht ich ſchmerzlich an <hi rendition="#aq">Max</hi><lb/> und dich, die ihr mich doch am meiſten in <hi rendition="#aq">H[eidelberg]</hi> liebt, und daß<lb/> wir uns alle wieder nicht ſehen ſollen.<lb n="15"/> </p> <p>Laße doch meinen <hi rendition="#aq">Max</hi> die vorige Seite leſen, da ich nichts 2 mal<lb/> ſchreiben kann. — Nun zum Schöneren, zum Danke für eueren<lb/> Ariſtophanes. Dieſer Vogelkanker umſpinnt mich eben mit ſeinen<lb/> glänzenden Seidenfäden und läßt mich nicht los, nicht aber um mich<lb/> auszuſaugen, ſondern um mich aufzufüllen. Der Überſetzer-Klimax geht<lb n="20"/> durch Wieland, Wolf und Welker hinauf; aber dieſesmal ſteht den<lb/> W’s das <hi rendition="#aq">V</hi> voran durch Sprachfülle und lebendigen Abguß von einem<lb/> Todtengeſicht. Nur der grammatiſche Zyniſmus (mit der Übertragung<lb/> des ſittlichen verſöhn’ ich mich leichter) wird bei vielen anſtoßen, da das<lb/> Metrum eben ſo gut z. B. kaken erlaubt als das dem griechiſchen Worte<lb n="25"/> nachklingende deutſche; — und vollends br —. Bei den Athenern waren<lb/> doch alle jene Wörter nur unſerem p—, k—, St— ähnlich. Die Über-<lb/> tragung der Wortſpiele und die Wortnachbildungen gelingen freilich nur<lb/> unter dem — <hi rendition="#aq">Vossischen</hi> Dache. — Deiner Noten <hi rendition="#aq">contra modum Mi-<lb/> nellii</hi> könnten und ſollten blos — mehre ſein; in den ſchweren „Rittern“<lb n="30"/> zumal. Mir halfen ſie unendlich, beſonders über bloße Namen; und das<lb/> Schwere und Originelle iſt, daß du immer den Ariſtophanes blos aus<lb/> dem Ariſtophanes erläuterſt. Inzwiſchen ſind doch auch entbehrliche mit<lb/> untergelaufen, welche ich dir, wenn ich aus dem Garten in meine Stube<lb/> zurückkomme, anmerken will. Die mir entbehrlichen ſind es jedem. Aber<lb n="35"/> <hi rendition="#aq">cito, citius, citissime</hi> gebt den Kommentar, der uns griechiſchen Laien<lb/> um Jahre früher nöthiger iſt als die Rechtfertigung des angenommenen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [132/0139]
207. An Heinrich Voß in Heidelberg.
Baireut d. 3. Sept. 1821 [Montag]
Mein guter Heinrich! Es war wieder nichts. Der Reiſepaß lag zwar
ſchon im Mai da; aber als ich ſchon 1 Kronenthaler dem Kutſcher darauf-
gegeben, kam unter Zögerungen von fremden Seiten jenes vermiſchte 5
Wetter heran, das erſt in der Mitte künftiger Woche zu blauem wird.
Ohne dieſes hab’ ich im Wagen keinen Genuß. Mein Inneres braucht
jetzo viel Äuſſeres. Aber der Herbſt mit ſeinen einſchrumpfenden Tagen
predigt Häuslichkeit und nur der Frühling ruft das ſehnſüchtige ver-
jüngte Herz in die Welt hinaus. Sogar nur der Morgen iſt für mich 10
Frühling; der Nachmittag aber Herbſt; nun vollends dazu ein Herbſt-
nachmittag auf Reiſen, die Quadratzahl jenes Gefühls. Dabei ſeid ihr
jetzo alle ſelber auch auf Reiſen. — Wie oft dacht ich ſchmerzlich an Max
und dich, die ihr mich doch am meiſten in H[eidelberg] liebt, und daß
wir uns alle wieder nicht ſehen ſollen. 15
Laße doch meinen Max die vorige Seite leſen, da ich nichts 2 mal
ſchreiben kann. — Nun zum Schöneren, zum Danke für eueren
Ariſtophanes. Dieſer Vogelkanker umſpinnt mich eben mit ſeinen
glänzenden Seidenfäden und läßt mich nicht los, nicht aber um mich
auszuſaugen, ſondern um mich aufzufüllen. Der Überſetzer-Klimax geht 20
durch Wieland, Wolf und Welker hinauf; aber dieſesmal ſteht den
W’s das V voran durch Sprachfülle und lebendigen Abguß von einem
Todtengeſicht. Nur der grammatiſche Zyniſmus (mit der Übertragung
des ſittlichen verſöhn’ ich mich leichter) wird bei vielen anſtoßen, da das
Metrum eben ſo gut z. B. kaken erlaubt als das dem griechiſchen Worte 25
nachklingende deutſche; — und vollends br —. Bei den Athenern waren
doch alle jene Wörter nur unſerem p—, k—, St— ähnlich. Die Über-
tragung der Wortſpiele und die Wortnachbildungen gelingen freilich nur
unter dem — Vossischen Dache. — Deiner Noten contra modum Mi-
nellii könnten und ſollten blos — mehre ſein; in den ſchweren „Rittern“ 30
zumal. Mir halfen ſie unendlich, beſonders über bloße Namen; und das
Schwere und Originelle iſt, daß du immer den Ariſtophanes blos aus
dem Ariſtophanes erläuterſt. Inzwiſchen ſind doch auch entbehrliche mit
untergelaufen, welche ich dir, wenn ich aus dem Garten in meine Stube
zurückkomme, anmerken will. Die mir entbehrlichen ſind es jedem. Aber 35
cito, citius, citissime gebt den Kommentar, der uns griechiſchen Laien
um Jahre früher nöthiger iſt als die Rechtfertigung des angenommenen
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(2016-11-22T15:22:18Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:22:18Z)
Weitere Informationen:Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen). Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
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