Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Helm. Chezy begegnete ich auf dem Wege zu Tieck. Die ganze
vorige Grazie hat sich unkenntlich verdickt. Hier soll sie (Minna zufolge)
wegen eines literarischen Raubes an Tarnow*) und anderer Ver-
hältnisse wegen von den vorigen Verbindungen ausgeschlossen sein.
Sie und ihr kranker Sohn brachten mir Blumen. Aus Mitleiden und5
aus Dank für die alte Zeit besuch' ich sie, wenn Wolke bei ihr ist, der
meinetwegen von Leipzig hieher gekommen.

Die herrliche, gerade zur hiesigen Meßzeit von Minna ausgesuchte
Leinwand kostet 4 gr. 6 Pf. sächs., nicht die 50 Ellen, sondern schon eine;
-- viel Geld! -- Ich habe hier die Wahl zwischen 2 trefflichen Bieren.10
Der Appetit hält an. Glücklicher Weise fast' ich abends nach den
Thees. --


Endlich grüßte mich gestern Nachmittags dein liebes Blättchen.
Meine wieder aufblühende Odilie segne in meinem Namen. Der Herbst15
bei euch dreien wird mir den Frühling verschönert geben. Denn nun
wird es zu arg und das Stehen auf dem Ehrenpranger ermattet mich.
Gestern waren zum Thee bei Elisa an 30 Menschen (worunter über
10 Gräfinnen), deren Namen ich meistens schon eh' die Reihe präsen-
tiert war, zusammt den Gesichtern vergaß (Schöne weibliche sind hier20
seltener als in Baireut); und ich mußte neben Elisa sitzend vor dem
ausgedehnten Zirkel mich hören und sehen lassen. Es ist kein Spaß. --
Ich muß eilen. Ich bin schon 2 mal gestört worden und der Brief soll
doch fort, eh ich mit Uthe und Minna fortfahre. -- Aber im Ganzen
fehlt mir doch manche Traum-Erfüllung und ein Schwabachers25
Garten und meine Seele ermattet unter der Menge und durch die
Fernen. -- In einer Mittelstadt wär' ich viel glücklicher. -- Aber,
meine gute Caroline, warum hältst du dein heiliges Versprechen nicht,
meine Sachen ungeändert zu lassen? Bei der Umsetzung des Ofens hätt'
ich 100 Sachen zu bestimmen, z. B. das Einheizen ausser dem Zimmer30
etc. etc. -- Schreibe mir immer den Ankunfttag der Briefe. -- -- Meine
warm verehrte Welden sei recht gegrüßt, und Emanuel und Otto --
und du von innigster Seele, da ich immer mehr in der Fremde sehe, was
ich an dir gewonnen.

Dein alter Richter
*) Sie ist eine Freundin Minnas und oft bei Elisa. Ihr kräftiges, aber be-35
scheidnes Wesen gefällt mir -- übrigens wie bei fast allen Schriftstellerinnen
wenig Schönheit.

Der Helm. Chezy begegnete ich auf dem Wege zu Tieck. Die ganze
vorige Grazie hat ſich unkenntlich verdickt. Hier ſoll ſie (Minna zufolge)
wegen eines literariſchen Raubes an Tarnow*) und anderer Ver-
hältniſſe wegen von den vorigen Verbindungen ausgeſchloſſen ſein.
Sie und ihr kranker Sohn brachten mir Blumen. Aus Mitleiden und5
aus Dank für die alte Zeit beſuch’ ich ſie, wenn Wolke bei ihr iſt, der
meinetwegen von Leipzig hieher gekommen.

Die herrliche, gerade zur hieſigen Meßzeit von Minna ausgeſuchte
Leinwand koſtet 4 gr. 6 Pf. ſächſ., nicht die 50 Ellen, ſondern ſchon eine;
— viel Geld! — Ich habe hier die Wahl zwiſchen 2 trefflichen Bieren.10
Der Appetit hält an. Glücklicher Weiſe faſt’ ich abends nach den
Thées.


Endlich grüßte mich geſtern Nachmittags dein liebes Blättchen.
Meine wieder aufblühende Odilie ſegne in meinem Namen. Der Herbſt15
bei euch dreien wird mir den Frühling verſchönert geben. Denn nun
wird es zu arg und das Stehen auf dem Ehrenpranger ermattet mich.
Geſtern waren zum Thée bei Elisa an 30 Menſchen (worunter über
10 Gräfinnen), deren Namen ich meiſtens ſchon eh’ die Reihe präſen-
tiert war, zuſammt den Geſichtern vergaß (Schöne weibliche ſind hier20
ſeltener als in Baireut); und ich mußte neben Elisa ſitzend vor dem
ausgedehnten Zirkel mich hören und ſehen laſſen. Es iſt kein Spaß. —
Ich muß eilen. Ich bin ſchon 2 mal geſtört worden und der Brief ſoll
doch fort, eh ich mit Uthe und Minna fortfahre. — Aber im Ganzen
fehlt mir doch manche Traum-Erfüllung und ein Schwabachers25
Garten und meine Seele ermattet unter der Menge und durch die
Fernen. — In einer Mittelſtadt wär’ ich viel glücklicher. — Aber,
meine gute Caroline, warum hältſt du dein heiliges Verſprechen nicht,
meine Sachen ungeändert zu laſſen? Bei der Umſetzung des Ofens hätt’
ich 100 Sachen zu beſtimmen, z. B. das Einheizen auſſer dem Zimmer30
ꝛc. ꝛc. — Schreibe mir immer den Ankunfttag der Briefe. — — Meine
warm verehrte Welden ſei recht gegrüßt, und Emanuel und Otto
und du von innigſter Seele, da ich immer mehr in der Fremde ſehe, was
ich an dir gewonnen.

Dein alter Richter
*) Sie iſt eine Freundin Minnas und oft bei Elisa. Ihr kräftiges, aber be-35
ſcheidnes Weſen gefällt mir — übrigens wie bei faſt allen Schriftſtellerinnen
wenig Schönheit.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0177" n="170"/>
          <p>Der <hi rendition="#aq">Helm. Chezy</hi> begegnete ich auf dem Wege zu <hi rendition="#aq">Tieck.</hi> Die ganze<lb/>
vorige Grazie hat &#x017F;ich unkenntlich verdickt. Hier &#x017F;oll &#x017F;ie (<hi rendition="#aq">Minna</hi> zufolge)<lb/>
wegen eines literari&#x017F;chen Raubes an <hi rendition="#aq">Tarnow</hi><note place="foot" n="*)">Sie i&#x017F;t eine Freundin <hi rendition="#aq">Minnas</hi> und oft bei <hi rendition="#aq">Elisa.</hi> Ihr kräftiges, aber be-<lb n="35"/>
&#x017F;cheidnes We&#x017F;en gefällt mir &#x2014; übrigens wie bei fa&#x017F;t allen Schrift&#x017F;tellerinnen<lb/>
wenig Schönheit.</note> und anderer Ver-<lb/>
hältni&#x017F;&#x017F;e wegen von den vorigen Verbindungen ausge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ein.<lb/>
Sie und ihr kranker Sohn brachten mir Blumen. Aus Mitleiden und<lb n="5"/>
aus Dank für die alte Zeit be&#x017F;uch&#x2019; ich &#x017F;ie, wenn <hi rendition="#aq">Wolke</hi> bei ihr i&#x017F;t, der<lb/>
meinetwegen von <hi rendition="#aq">Leipzig</hi> hieher gekommen.</p><lb/>
          <p>Die herrliche, gerade zur hie&#x017F;igen Meßzeit von <hi rendition="#aq">Minna</hi> ausge&#x017F;uchte<lb/>
Leinwand ko&#x017F;tet 4 gr. 6 Pf. &#x017F;äch&#x017F;., nicht die 50 Ellen, &#x017F;ondern &#x017F;chon eine;<lb/>
&#x2014; viel Geld! &#x2014; Ich habe hier die Wahl zwi&#x017F;chen 2 trefflichen Bieren.<lb n="10"/>
Der Appetit hält an. Glücklicher Wei&#x017F;e fa&#x017F;t&#x2019; ich abends nach den<lb/><hi rendition="#aq">Thées.</hi> &#x2014;</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <dateline> <hi rendition="#right">d. 13<hi rendition="#sup">ten</hi> Mai</hi> </dateline><lb/>
          <p>Endlich grüßte mich ge&#x017F;tern Nachmittags dein liebes Blättchen.<lb/>
Meine wieder aufblühende <hi rendition="#aq">Odilie</hi> &#x017F;egne in meinem Namen. Der Herb&#x017F;t<lb n="15"/>
bei euch dreien wird mir den Frühling ver&#x017F;chönert geben. Denn nun<lb/>
wird es zu arg und das Stehen auf dem Ehrenpranger ermattet mich.<lb/>
Ge&#x017F;tern waren zum Thée bei <hi rendition="#aq">Elisa</hi> an 30 Men&#x017F;chen (worunter über<lb/>
10 Gräfinnen), deren Namen ich mei&#x017F;tens &#x017F;chon eh&#x2019; die Reihe prä&#x017F;en-<lb/>
tiert war, zu&#x017F;ammt den Ge&#x017F;ichtern vergaß (Schöne weibliche &#x017F;ind hier<lb n="20"/>
&#x017F;eltener als in <hi rendition="#aq">Baireut</hi>); und ich mußte neben <hi rendition="#aq">Elisa</hi> &#x017F;itzend vor dem<lb/>
ausgedehnten Zirkel mich hören und &#x017F;ehen la&#x017F;&#x017F;en. Es i&#x017F;t kein Spaß. &#x2014;<lb/>
Ich muß eilen. Ich bin &#x017F;chon 2 mal ge&#x017F;tört worden und der Brief &#x017F;oll<lb/>
doch fort, eh ich mit <hi rendition="#aq">Uthe</hi> und <hi rendition="#aq">Minna</hi> fortfahre. &#x2014; Aber im Ganzen<lb/>
fehlt mir doch manche Traum-Erfüllung und ein <hi rendition="#aq">Schwabachers</hi><lb n="25"/>
Garten und meine Seele ermattet unter der Menge und durch die<lb/>
Fernen. &#x2014; In einer Mittel&#x017F;tadt wär&#x2019; ich viel glücklicher. &#x2014; Aber,<lb/>
meine gute <hi rendition="#aq">Caroline,</hi> warum hält&#x017F;t du dein heiliges Ver&#x017F;prechen nicht,<lb/>
meine Sachen ungeändert zu la&#x017F;&#x017F;en? Bei der Um&#x017F;etzung des Ofens hätt&#x2019;<lb/>
ich 100 Sachen zu be&#x017F;timmen, z. B. das Einheizen au&#x017F;&#x017F;er dem Zimmer<lb n="30"/>
&#xA75B;c. &#xA75B;c. &#x2014; Schreibe mir immer den Ankunfttag der Briefe. &#x2014; &#x2014; Meine<lb/>
warm verehrte <hi rendition="#aq">Welden</hi> &#x017F;ei recht gegrüßt, und <hi rendition="#aq">Emanuel</hi> und <hi rendition="#aq">Otto</hi> &#x2014;<lb/>
und du von innig&#x017F;ter Seele, da ich immer mehr in der Fremde &#x017F;ehe, was<lb/>
ich an dir gewonnen.</p>
          <closer>
            <salute> <hi rendition="#right">Dein alter Richter</hi> </salute>
          </closer>
        </div>
      </div><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[170/0177] Der Helm. Chezy begegnete ich auf dem Wege zu Tieck. Die ganze vorige Grazie hat ſich unkenntlich verdickt. Hier ſoll ſie (Minna zufolge) wegen eines literariſchen Raubes an Tarnow *) und anderer Ver- hältniſſe wegen von den vorigen Verbindungen ausgeſchloſſen ſein. Sie und ihr kranker Sohn brachten mir Blumen. Aus Mitleiden und 5 aus Dank für die alte Zeit beſuch’ ich ſie, wenn Wolke bei ihr iſt, der meinetwegen von Leipzig hieher gekommen. Die herrliche, gerade zur hieſigen Meßzeit von Minna ausgeſuchte Leinwand koſtet 4 gr. 6 Pf. ſächſ., nicht die 50 Ellen, ſondern ſchon eine; — viel Geld! — Ich habe hier die Wahl zwiſchen 2 trefflichen Bieren. 10 Der Appetit hält an. Glücklicher Weiſe faſt’ ich abends nach den Thées. — d. 13ten Mai Endlich grüßte mich geſtern Nachmittags dein liebes Blättchen. Meine wieder aufblühende Odilie ſegne in meinem Namen. Der Herbſt 15 bei euch dreien wird mir den Frühling verſchönert geben. Denn nun wird es zu arg und das Stehen auf dem Ehrenpranger ermattet mich. Geſtern waren zum Thée bei Elisa an 30 Menſchen (worunter über 10 Gräfinnen), deren Namen ich meiſtens ſchon eh’ die Reihe präſen- tiert war, zuſammt den Geſichtern vergaß (Schöne weibliche ſind hier 20 ſeltener als in Baireut); und ich mußte neben Elisa ſitzend vor dem ausgedehnten Zirkel mich hören und ſehen laſſen. Es iſt kein Spaß. — Ich muß eilen. Ich bin ſchon 2 mal geſtört worden und der Brief ſoll doch fort, eh ich mit Uthe und Minna fortfahre. — Aber im Ganzen fehlt mir doch manche Traum-Erfüllung und ein Schwabachers 25 Garten und meine Seele ermattet unter der Menge und durch die Fernen. — In einer Mittelſtadt wär’ ich viel glücklicher. — Aber, meine gute Caroline, warum hältſt du dein heiliges Verſprechen nicht, meine Sachen ungeändert zu laſſen? Bei der Umſetzung des Ofens hätt’ ich 100 Sachen zu beſtimmen, z. B. das Einheizen auſſer dem Zimmer 30 ꝛc. ꝛc. — Schreibe mir immer den Ankunfttag der Briefe. — — Meine warm verehrte Welden ſei recht gegrüßt, und Emanuel und Otto — und du von innigſter Seele, da ich immer mehr in der Fremde ſehe, was ich an dir gewonnen. Dein alter Richter *) Sie iſt eine Freundin Minnas und oft bei Elisa. Ihr kräftiges, aber be- 35 ſcheidnes Weſen gefällt mir — übrigens wie bei faſt allen Schriftſtellerinnen wenig Schönheit.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:22:18Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:22:18Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe08_1955
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe08_1955/177
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe08_1955/177>, abgerufen am 21.11.2024.