Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955.379. An Professor Mehmel in Erlangen. Baireut d. 27ten Mai 1823Höchstgeschätzter Herr Hofrath! Ich kann mir meine Erlanger Tage Ich spreche vom Dr. Kapp. Seine Sylvae Cratyli, schon aus Flug-10 Sein frommes Gemüth, seine kindliche Bescheidenheit, sein religiöses Nun kommt es -- nach allem was ich höre -- auf Ihre Stimme an, Ihrer Einsicht brauch' ich nichts weiter zu sagen und abzuverlangen, Ihr ergebenster35 Jean Paul Fr. Richter 15 Jean Paul Briefe. VIII.
379. An Profeſſor Mehmel in Erlangen. Baireut d. 27ten Mai 1823Höchſtgeſchätzter Herr Hofrath! Ich kann mir meine Erlanger Tage Ich ſpreche vom Dr. Kapp. Seine Sylvae Cratyli, ſchon aus Flug-10 Sein frommes Gemüth, ſeine kindliche Beſcheidenheit, ſein religiöſes Nun kommt es — nach allem was ich höre — auf Ihre Stimme an, Ihrer Einſicht brauch’ ich nichts weiter zu ſagen und abzuverlangen, Ihr ergebenſter35 Jean Paul Fr. Richter 15 Jean Paul Briefe. VIII.
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379. An Profeſſor Mehmel in Erlangen.
Baireut d. 27ten Mai 1823
Höchſtgeſchätzter Herr Hofrath! Ich kann mir meine Erlanger Tage
— dieſe ruhigen, aber heitern Sabbathtage — nicht zurückmalen, ohne
Ihr Bild und die einzelnen Bogen Ihrer Moral — ich wünſchte, ganze 5
moraliſche Alphabete brächten mir ſo ſchöne Morgen als Sie mit Ihren
Bogen damals — in das ſchöne geiſtige Stillleben zu bringen. Hier
ſchreib’ ich nun an Sie, um vielleicht auch einem andern durch Sie zu
Erlanger Tagen zu verhelfen.
Ich ſpreche vom Dr. Kapp. Seine Sylvae Cratyli, ſchon aus Flug- 10
ſamen früherer Jahre aufgegangen, ſind ein Garten voll philologiſcher
Knoſpen. Sein ſpäteres Buch „Chriſtus und die Weltgeſchichte“ wird
Sie — ſo wie mich — mehr mit ſeinen frühen Kenntniſſen und Kräften,
mit ſeiner Stärke der Kombinazionen und Überſichten anſprechen, als
mit der Aehnlichkeit, die er als junger Mann mit der neueſten, auch in 15
Erlangen reſidierenden Zeit zu theilen ſcheint, welche uns ſtatt des
Lichtes ein infuſoriſches Chaos von indiſch-poetiſch-myſtiſch-über-
glaubigem Chriſtenthum liefert. Die jugendliche Aehnlichkeit wird ver-
fliegen, aber dafür ein reifer, vielgewandter, religiöſer Geiſt zurück
bleiben, nach der Dephlegmatiſazion der Zeit. 20
Sein frommes Gemüth, ſeine kindliche Beſcheidenheit, ſein religiöſes
Streben nach dem Höchſten in Glauben und Lernen ſpricht ſich faſt
bei ſeine erſten Erſcheinung aus; und ein Theil ſeines geiſtigen Werths
ſich leider durch das, was der Körper dazu heropfern mußte. Denn der
Baum des Erkenntniſſes wurde eine paraſitiſche ausſaugende Pflanze 25
ſeines Nervenſyſtems.
Nun kommt es — nach allem was ich höre — auf Ihre Stimme an,
vortrefflicher, das Gute auch außerhalb des Landtagſaals im Lehrſaal
beſchirmender Mann, ob der Jüngling ſeine Heilung in der Lehrthätig-
keit und alle Früchte der mühſamen Jugendſaat endlich finden ſoll im — 30
Profeſſorkatheder.
Ihrer Einſicht brauch’ ich nichts weiter zu ſagen und abzuverlangen,
und Ihrem Herzen noch weniger. Leben Sie recht wohl!
Ihr
ergebenſter 35
Jean Paul Fr. Richter
15 Jean Paul Briefe. VIII.
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(2016-11-22T15:22:18Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:22:18Z)
Weitere Informationen:Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen). Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
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