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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955.

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379. An Professor Mehmel in Erlangen.

Höchstgeschätzter Herr Hofrath! Ich kann mir meine Erlanger Tage
-- diese ruhigen, aber heitern Sabbathtage -- nicht zurückmalen, ohne
Ihr Bild und die einzelnen Bogen Ihrer Moral -- ich wünschte, ganze5
moralische Alphabete brächten mir so schöne Morgen als Sie mit Ihren
Bogen damals -- in das schöne geistige Stillleben zu bringen. Hier
schreib' ich nun an Sie, um vielleicht auch einem andern durch Sie zu
Erlanger Tagen zu verhelfen.

Ich spreche vom Dr. Kapp. Seine Sylvae Cratyli, schon aus Flug-10
samen früherer Jahre aufgegangen, sind ein Garten voll philologischer
Knospen. Sein späteres Buch "Christus und die Weltgeschichte" wird
Sie -- so wie mich -- mehr mit seinen frühen Kenntnissen und Kräften,
mit seiner Stärke der Kombinazionen und Übersichten ansprechen, als
mit der Aehnlichkeit, die er als junger Mann mit der neuesten, auch in15
Erlangen residierenden Zeit zu theilen scheint, welche uns statt des
Lichtes ein infusorisches Chaos von indisch-poetisch-mystisch-über-
glaubigem Christenthum liefert. Die jugendliche Aehnlichkeit wird ver-
fliegen, aber dafür ein reifer, vielgewandter, religiöser Geist zurück
bleiben, nach der Dephlegmatisazion der Zeit.20

Sein frommes Gemüth, seine kindliche Bescheidenheit, sein religiöses
Streben nach dem Höchsten in Glauben und Lernen spricht sich fast
bei seine ersten Erscheinung aus; und ein Theil seines geistigen Werths
sich leider durch das, was der Körper dazu heropfern mußte. Denn der
Baum des Erkenntnisses wurde eine parasitische aussaugende Pflanze25
seines Nervensystems.

Nun kommt es -- nach allem was ich höre -- auf Ihre Stimme an,
vortrefflicher, das Gute auch außerhalb des Landtagsaals im Lehrsaal
beschirmender Mann, ob der Jüngling seine Heilung in der Lehrthätig-
keit und alle Früchte der mühsamen Jugendsaat endlich finden soll im --30
Professorkatheder.

Ihrer Einsicht brauch' ich nichts weiter zu sagen und abzuverlangen,
und Ihrem Herzen noch weniger. Leben Sie recht wohl!

Ihr
ergebenster35
Jean Paul Fr. Richter
15 Jean Paul Briefe. VIII.
379. An Profeſſor Mehmel in Erlangen.

Höchſtgeſchätzter Herr Hofrath! Ich kann mir meine Erlanger Tage
— dieſe ruhigen, aber heitern Sabbathtage — nicht zurückmalen, ohne
Ihr Bild und die einzelnen Bogen Ihrer Moral — ich wünſchte, ganze5
moraliſche Alphabete brächten mir ſo ſchöne Morgen als Sie mit Ihren
Bogen damals — in das ſchöne geiſtige Stillleben zu bringen. Hier
ſchreib’ ich nun an Sie, um vielleicht auch einem andern durch Sie zu
Erlanger Tagen zu verhelfen.

Ich ſpreche vom Dr. Kapp. Seine Sylvae Cratyli, ſchon aus Flug-10
ſamen früherer Jahre aufgegangen, ſind ein Garten voll philologiſcher
Knoſpen. Sein ſpäteres Buch „Chriſtus und die Weltgeſchichte“ wird
Sie — ſo wie mich — mehr mit ſeinen frühen Kenntniſſen und Kräften,
mit ſeiner Stärke der Kombinazionen und Überſichten anſprechen, als
mit der Aehnlichkeit, die er als junger Mann mit der neueſten, auch in15
Erlangen reſidierenden Zeit zu theilen ſcheint, welche uns ſtatt des
Lichtes ein infuſoriſches Chaos von indiſch-poetiſch-myſtiſch-über-
glaubigem Chriſtenthum liefert. Die jugendliche Aehnlichkeit wird ver-
fliegen, aber dafür ein reifer, vielgewandter, religiöſer Geiſt zurück
bleiben, nach der Dephlegmatiſazion der Zeit.20

Sein frommes Gemüth, ſeine kindliche Beſcheidenheit, ſein religiöſes
Streben nach dem Höchſten in Glauben und Lernen ſpricht ſich faſt
bei ſeine erſten Erſcheinung aus; und ein Theil ſeines geiſtigen Werths
ſich leider durch das, was der Körper dazu heropfern mußte. Denn der
Baum des Erkenntniſſes wurde eine paraſitiſche ausſaugende Pflanze25
ſeines Nervenſyſtems.

Nun kommt es — nach allem was ich höre — auf Ihre Stimme an,
vortrefflicher, das Gute auch außerhalb des Landtagſaals im Lehrſaal
beſchirmender Mann, ob der Jüngling ſeine Heilung in der Lehrthätig-
keit und alle Früchte der mühſamen Jugendſaat endlich finden ſoll im —30
Profeſſorkatheder.

Ihrer Einſicht brauch’ ich nichts weiter zu ſagen und abzuverlangen,
und Ihrem Herzen noch weniger. Leben Sie recht wohl!

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[225/0234] 379. An Profeſſor Mehmel in Erlangen. Baireut d. 27ten Mai 1823 Höchſtgeſchätzter Herr Hofrath! Ich kann mir meine Erlanger Tage — dieſe ruhigen, aber heitern Sabbathtage — nicht zurückmalen, ohne Ihr Bild und die einzelnen Bogen Ihrer Moral — ich wünſchte, ganze 5 moraliſche Alphabete brächten mir ſo ſchöne Morgen als Sie mit Ihren Bogen damals — in das ſchöne geiſtige Stillleben zu bringen. Hier ſchreib’ ich nun an Sie, um vielleicht auch einem andern durch Sie zu Erlanger Tagen zu verhelfen. Ich ſpreche vom Dr. Kapp. Seine Sylvae Cratyli, ſchon aus Flug- 10 ſamen früherer Jahre aufgegangen, ſind ein Garten voll philologiſcher Knoſpen. Sein ſpäteres Buch „Chriſtus und die Weltgeſchichte“ wird Sie — ſo wie mich — mehr mit ſeinen frühen Kenntniſſen und Kräften, mit ſeiner Stärke der Kombinazionen und Überſichten anſprechen, als mit der Aehnlichkeit, die er als junger Mann mit der neueſten, auch in 15 Erlangen reſidierenden Zeit zu theilen ſcheint, welche uns ſtatt des Lichtes ein infuſoriſches Chaos von indiſch-poetiſch-myſtiſch-über- glaubigem Chriſtenthum liefert. Die jugendliche Aehnlichkeit wird ver- fliegen, aber dafür ein reifer, vielgewandter, religiöſer Geiſt zurück bleiben, nach der Dephlegmatiſazion der Zeit. 20 Sein frommes Gemüth, ſeine kindliche Beſcheidenheit, ſein religiöſes Streben nach dem Höchſten in Glauben und Lernen ſpricht ſich faſt bei ſeine erſten Erſcheinung aus; und ein Theil ſeines geiſtigen Werths ſich leider durch das, was der Körper dazu heropfern mußte. Denn der Baum des Erkenntniſſes wurde eine paraſitiſche ausſaugende Pflanze 25 ſeines Nervenſyſtems. Nun kommt es — nach allem was ich höre — auf Ihre Stimme an, vortrefflicher, das Gute auch außerhalb des Landtagſaals im Lehrſaal beſchirmender Mann, ob der Jüngling ſeine Heilung in der Lehrthätig- keit und alle Früchte der mühſamen Jugendſaat endlich finden ſoll im — 30 Profeſſorkatheder. Ihrer Einſicht brauch’ ich nichts weiter zu ſagen und abzuverlangen, und Ihrem Herzen noch weniger. Leben Sie recht wohl! Ihr ergebenſter 35 Jean Paul Fr. Richter 15 Jean Paul Briefe. VIII.

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:22:18Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:22:18Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe08_1955/234>, abgerufen am 21.11.2024.