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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955.

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Einsamkeit weit öfter an seine Zurückgebliebnen als diese an ihn in ihrer
zeitabkürzenden Alltäglichkeit. Lebe recht wohl, mein geliebtes Herz
mit meiner Odilie und Emma.

Dein
alter5
Alter Richter

Ich logiere im Wallfisch, einem sehr

[Lücke]
392. An Karoline Richter.

Meine geliebte Karoline! Erst g[est]ern Mittags kam ich für 1 Kronen-10
thaler Fuhrgeld hier an. In Erlangen besucht ich erst Mittwochs abends
Schelling, dessen gefällige Frau eine Theegesellschaft aus Alten mit
bloßem Butterbrod ohne Rack traktierte. Beide wollten mich zum
Abendessen behalten, aber ich [mied?] wegen des vorhergehenden
starken Biers Abendtrinken und Reden. Er war voll Liebe gegen mich,15
befriedigte mich aber sonst nicht. Am Morgen darauf ging ich zu
Mehmel, der viel herzlicher war. Kapp kann gewiß auf seine Nachhülfe
rechnen, nur eine halbjährige Geduld bei einer aber frühern Gratifika-
zion ist nöthig. Er wollte mich durchaus mit Schelling und andern Freitag
Abends in seinem Garten haben und brachte mir noch am Morgen20
unter dem Arme zwei Flaschen 22ger Forsterwein, -- wofür er 1 Krug
Roußillon annehmen mußte, und der mir wegen seiner Jugend schlecht
bekam -- aber ich fuhr ab, um einmal auszupacken; -- was indeß noch
nicht geschehen. Die Rechnung im Gasthof betrug ohne Trankgelder
10 fl. Donnerstag Abends war ich bei Kanne in seinem Schwitzzimmer25
gegen seine Gicht. Eine herrliche edle Physiognomie! Der äußere Kopf
hat durch sein Christenthum gewonnen, was der innere verloren. Mit
herzlicher Liebe empfing er mich -- so wie seine gar nicht sehr gealterte
Frau -- Mitten in seiner Heiterkeit bringt er seine theologischen
Schaföhrchen ruhig hervor, z. B. gegen seinen Arzt, daß die Arzenei gar30
nichts helfe sondern nur der von oben. Auf Einwürfe hören die Öhr-
chen gar nicht. Er zeigte mit wahrer freundlicher Liebe auf mein Herz
und sagte, er verlasse sich auf dieses und es werde schon noch werden
(nämlich kannisch). Ich versetzte, gerade mit dem Alter käm' ich immer
weiter ab. Er: "Am Ende werden wir schon sehen" -- ich: "hinter dem35

Einſamkeit weit öfter an ſeine Zurückgebliebnen als dieſe an ihn in ihrer
zeitabkürzenden Alltäglichkeit. Lebe recht wohl, mein geliebtes Herz
mit meiner Odilie und Emma.

Dein
alter5
Alter Richter

Ich logiere im Wallfiſch, einem ſehr

[Lücke]
392. An Karoline Richter.

Meine geliebte Karoline! Erſt g[eſt]ern Mittags kam ich für 1 Kronen-10
thaler Fuhrgeld hier an. In Erlangen beſucht ich erſt Mittwochs abends
Schelling, deſſen gefällige Frau eine Theegeſellſchaft aus Alten mit
bloßem Butterbrod ohne Rack traktierte. Beide wollten mich zum
Abendeſſen behalten, aber ich [mied?] wegen des vorhergehenden
ſtarken Biers Abendtrinken und Reden. Er war voll Liebe gegen mich,15
befriedigte mich aber ſonſt nicht. Am Morgen darauf ging ich zu
Mehmel, der viel herzlicher war. Kapp kann gewiß auf ſeine Nachhülfe
rechnen, nur eine halbjährige Geduld bei einer aber frühern Gratifika-
zion iſt nöthig. Er wollte mich durchaus mit Schelling und andern Freitag
Abends in ſeinem Garten haben und brachte mir noch am Morgen20
unter dem Arme zwei Flaſchen 22ger Forſterwein, — wofür er 1 Krug
Roußillon annehmen mußte, und der mir wegen ſeiner Jugend ſchlecht
bekam — aber ich fuhr ab, um einmal auszupacken; — was indeß noch
nicht geſchehen. Die Rechnung im Gaſthof betrug ohne Trankgelder
10 fl. Donnerſtag Abends war ich bei Kanne in ſeinem Schwitzzimmer25
gegen ſeine Gicht. Eine herrliche edle Phyſiognomie! Der äußere Kopf
hat durch ſein Chriſtenthum gewonnen, was der innere verloren. Mit
herzlicher Liebe empfing er mich — ſo wie ſeine gar nicht ſehr gealterte
Frau — Mitten in ſeiner Heiterkeit bringt er ſeine theologiſchen
Schaföhrchen ruhig hervor, z. B. gegen ſeinen Arzt, daß die Arzenei gar30
nichts helfe ſondern nur der von oben. Auf Einwürfe hören die Öhr-
chen gar nicht. Er zeigte mit wahrer freundlicher Liebe auf mein Herz
und ſagte, er verlaſſe ſich auf dieſes und es werde ſchon noch werden
(nämlich kanniſch). Ich verſetzte, gerade mit dem Alter käm’ ich immer
weiter ab. Er: „Am Ende werden wir ſchon ſehen“ — ich: „hinter dem35

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[232/0241] Einſamkeit weit öfter an ſeine Zurückgebliebnen als dieſe an ihn in ihrer zeitabkürzenden Alltäglichkeit. Lebe recht wohl, mein geliebtes Herz mit meiner Odilie und Emma. Dein alter 5 Alter Richter Ich logiere im Wallfiſch, einem ſehr 392. An Karoline Richter. Nürnberg d. 30ten Aug. 1823 [Sonnabend] Meine geliebte Karoline! Erſt g[eſt]ern Mittags kam ich für 1 Kronen- 10 thaler Fuhrgeld hier an. In Erlangen beſucht ich erſt Mittwochs abends Schelling, deſſen gefällige Frau eine Theegeſellſchaft aus Alten mit bloßem Butterbrod ohne Rack traktierte. Beide wollten mich zum Abendeſſen behalten, aber ich [mied?] wegen des vorhergehenden ſtarken Biers Abendtrinken und Reden. Er war voll Liebe gegen mich, 15 befriedigte mich aber ſonſt nicht. Am Morgen darauf ging ich zu Mehmel, der viel herzlicher war. Kapp kann gewiß auf ſeine Nachhülfe rechnen, nur eine halbjährige Geduld bei einer aber frühern Gratifika- zion iſt nöthig. Er wollte mich durchaus mit Schelling und andern Freitag Abends in ſeinem Garten haben und brachte mir noch am Morgen 20 unter dem Arme zwei Flaſchen 22ger Forſterwein, — wofür er 1 Krug Roußillon annehmen mußte, und der mir wegen ſeiner Jugend ſchlecht bekam — aber ich fuhr ab, um einmal auszupacken; — was indeß noch nicht geſchehen. Die Rechnung im Gaſthof betrug ohne Trankgelder 10 fl. Donnerſtag Abends war ich bei Kanne in ſeinem Schwitzzimmer 25 gegen ſeine Gicht. Eine herrliche edle Phyſiognomie! Der äußere Kopf hat durch ſein Chriſtenthum gewonnen, was der innere verloren. Mit herzlicher Liebe empfing er mich — ſo wie ſeine gar nicht ſehr gealterte Frau — Mitten in ſeiner Heiterkeit bringt er ſeine theologiſchen Schaföhrchen ruhig hervor, z. B. gegen ſeinen Arzt, daß die Arzenei gar 30 nichts helfe ſondern nur der von oben. Auf Einwürfe hören die Öhr- chen gar nicht. Er zeigte mit wahrer freundlicher Liebe auf mein Herz und ſagte, er verlaſſe ſich auf dieſes und es werde ſchon noch werden (nämlich kanniſch). Ich verſetzte, gerade mit dem Alter käm’ ich immer weiter ab. Er: „Am Ende werden wir ſchon ſehen“ — ich: „hinter dem 35

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:22:18Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:22:18Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe08_1955/241>, abgerufen am 24.11.2024.