Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955.Einsamkeit weit öfter an seine Zurückgebliebnen als diese an ihn in ihrer Dein alter5 Alter Richter Ich logiere im Wallfisch, einem sehr 392. An Karoline Richter. Nürnberg d. 30ten Aug. 1823 [Sonnabend]Meine geliebte Karoline! Erst g[est]ern Mittags kam ich für 1 Kronen-10 Einſamkeit weit öfter an ſeine Zurückgebliebnen als dieſe an ihn in ihrer Dein alter5 Alter Richter Ich logiere im Wallfiſch, einem ſehr 392. An Karoline Richter. Nürnberg d. 30ten Aug. 1823 [Sonnabend]Meine geliebte Karoline! Erſt g[eſt]ern Mittags kam ich für 1 Kronen-10 <TEI> <text> <body> <div type="letter" n="1"> <p><pb facs="#f0241" n="232"/> Einſamkeit weit öfter an ſeine Zurückgebliebnen als dieſe an ihn in ihrer<lb/> zeitabkürzenden Alltäglichkeit. Lebe recht wohl, mein geliebtes Herz<lb/> mit meiner <hi rendition="#aq">Odilie</hi> und <hi rendition="#aq">Emma.</hi></p><lb/> <closer> <salute> <hi rendition="#right">Dein<lb/> alter<lb n="5"/> Alter Richter</hi> </salute> </closer><lb/> <postscript> <p>Ich logiere im Wallfiſch, einem ſehr</p> </postscript> <note type="editorial"> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#i">[Lücke]</hi> </hi> </note> </div><lb/> <div type="letter" n="1"> <head>392. An <hi rendition="#g">Karoline Richter.</hi></head><lb/> <dateline> <hi rendition="#right"><hi rendition="#aq">Nürnberg</hi> d. 30<hi rendition="#sup">ten</hi> Aug. 1823 [Sonnabend]</hi> </dateline><lb/> <p>Meine geliebte Karoline! Erſt g[eſt]ern Mittags kam ich für 1 Kronen-<lb n="10"/> thaler Fuhrgeld hier an. In <hi rendition="#aq">Erlangen</hi> beſucht ich erſt Mittwochs abends<lb/><hi rendition="#aq">Schelling,</hi> deſſen gefällige Frau eine Theegeſellſchaft aus Alten mit<lb/> bloßem Butterbrod ohne Rack traktierte. Beide wollten mich zum<lb/> Abendeſſen behalten, aber ich [mied?] wegen des vorhergehenden<lb/> ſtarken Biers Abendtrinken und Reden. Er war voll Liebe gegen mich,<lb n="15"/> befriedigte mich aber ſonſt nicht. Am Morgen darauf ging ich zu<lb/><hi rendition="#aq">Mehmel,</hi> der viel herzlicher war. <hi rendition="#aq">Kapp</hi> kann gewiß auf ſeine Nachhülfe<lb/> rechnen, nur eine halbjährige Geduld bei einer aber frühern Gratifika-<lb/> zion iſt nöthig. Er wollte mich durchaus mit <hi rendition="#aq">Schelling</hi> und andern Freitag<lb/> Abends in ſeinem Garten haben und brachte mir noch am Morgen<lb n="20"/> unter dem Arme zwei Flaſchen 22ger Forſterwein, — wofür er 1 Krug<lb/><hi rendition="#aq">Roußillon</hi> annehmen mußte, und der mir wegen ſeiner Jugend ſchlecht<lb/> bekam — aber ich fuhr ab, um einmal auszupacken; — was indeß noch<lb/> nicht geſchehen. Die Rechnung im Gaſthof betrug ohne Trankgelder<lb/> 10 fl. Donnerſtag Abends war ich bei <hi rendition="#aq">Kanne</hi> in ſeinem Schwitzzimmer<lb n="25"/> gegen ſeine Gicht. Eine herrliche edle Phyſiognomie! Der äußere Kopf<lb/> hat durch ſein Chriſtenthum gewonnen, was der innere verloren. Mit<lb/> herzlicher Liebe empfing er mich — ſo wie ſeine gar nicht ſehr gealterte<lb/> Frau — Mitten in ſeiner Heiterkeit bringt er ſeine theologiſchen<lb/> Schaföhrchen ruhig hervor, z. B. gegen ſeinen Arzt, daß die Arzenei gar<lb n="30"/> nichts helfe ſondern nur der von oben. Auf Einwürfe hören die Öhr-<lb/> chen gar nicht. Er zeigte mit wahrer freundlicher Liebe auf mein Herz<lb/> und ſagte, er verlaſſe ſich auf dieſes und es werde ſchon noch werden<lb/> (nämlich kanniſch). Ich verſetzte, gerade mit dem Alter käm’ ich immer<lb/> weiter ab. Er: „Am Ende werden wir ſchon ſehen“ — ich: „hinter dem<lb n="35"/><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [232/0241]
Einſamkeit weit öfter an ſeine Zurückgebliebnen als dieſe an ihn in ihrer
zeitabkürzenden Alltäglichkeit. Lebe recht wohl, mein geliebtes Herz
mit meiner Odilie und Emma.
Dein
alter 5
Alter Richter
Ich logiere im Wallfiſch, einem ſehr
392. An Karoline Richter.
Nürnberg d. 30ten Aug. 1823 [Sonnabend]
Meine geliebte Karoline! Erſt g[eſt]ern Mittags kam ich für 1 Kronen- 10
thaler Fuhrgeld hier an. In Erlangen beſucht ich erſt Mittwochs abends
Schelling, deſſen gefällige Frau eine Theegeſellſchaft aus Alten mit
bloßem Butterbrod ohne Rack traktierte. Beide wollten mich zum
Abendeſſen behalten, aber ich [mied?] wegen des vorhergehenden
ſtarken Biers Abendtrinken und Reden. Er war voll Liebe gegen mich, 15
befriedigte mich aber ſonſt nicht. Am Morgen darauf ging ich zu
Mehmel, der viel herzlicher war. Kapp kann gewiß auf ſeine Nachhülfe
rechnen, nur eine halbjährige Geduld bei einer aber frühern Gratifika-
zion iſt nöthig. Er wollte mich durchaus mit Schelling und andern Freitag
Abends in ſeinem Garten haben und brachte mir noch am Morgen 20
unter dem Arme zwei Flaſchen 22ger Forſterwein, — wofür er 1 Krug
Roußillon annehmen mußte, und der mir wegen ſeiner Jugend ſchlecht
bekam — aber ich fuhr ab, um einmal auszupacken; — was indeß noch
nicht geſchehen. Die Rechnung im Gaſthof betrug ohne Trankgelder
10 fl. Donnerſtag Abends war ich bei Kanne in ſeinem Schwitzzimmer 25
gegen ſeine Gicht. Eine herrliche edle Phyſiognomie! Der äußere Kopf
hat durch ſein Chriſtenthum gewonnen, was der innere verloren. Mit
herzlicher Liebe empfing er mich — ſo wie ſeine gar nicht ſehr gealterte
Frau — Mitten in ſeiner Heiterkeit bringt er ſeine theologiſchen
Schaföhrchen ruhig hervor, z. B. gegen ſeinen Arzt, daß die Arzenei gar 30
nichts helfe ſondern nur der von oben. Auf Einwürfe hören die Öhr-
chen gar nicht. Er zeigte mit wahrer freundlicher Liebe auf mein Herz
und ſagte, er verlaſſe ſich auf dieſes und es werde ſchon noch werden
(nämlich kanniſch). Ich verſetzte, gerade mit dem Alter käm’ ich immer
weiter ab. Er: „Am Ende werden wir ſchon ſehen“ — ich: „hinter dem 35
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(2016-11-22T15:22:18Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:22:18Z)
Weitere Informationen:Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen). Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
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