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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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Vorrede.
ihm zu befreien, bestand darin, ihn der Oeffentlichkeit zu über-
geben. Im Jahre 1845 bat ich Puchta, als ich mich von ihm
trennte, um die Erlaubniß, ihm mein Werk dediciren zu dürfen.
Wenn einerseits die Dankbarkeit für den unvergleichlichen Ge-
nuß, den mir sein Cursus der Institutionen gewährt hatte, so-
wie die tiefe Verehrung, die ich für den großen Meister hege,
den Wunsch in mir erregt hatten, ihm das Liebste und Beste,
was ich ihm glaubte geben zu können, zu widmen, so veranlaßte
mich eine andere Rücksicht, ihm diesen Wunsch schon damals
mitzutheilen. Ich hoffte nämlich, wenn ich ihm meinen Quäl-
geist verschriebe, so würde es mir eher gelingen desselben Herr
zu werden, und ich bin überzeugt, daß wenn Puchta noch lebte,
ich bereits seit Jahren damit fertig geworden wäre; die ihm
ausgestellte Verschreibung würde mich angetrieben haben, jenen
Geist "todt oder lebendig" in seine Hände zu liefern.

Mit Puchta's Tod fiel dieser Antrieb für mich hinweg,
und von neuem ward ich der Spielball des übermächtigen Gei-
stes. Je mehr ich mich meinem Ziel zu nähern glaubte, um so
mehr entrückte es sich meinen Blicken; je mehr ich arbeitete, um
so weniger fühlte ich mich befriedigt. Meine Selbstkritik, die
namentlich was die Redaction anbetraf, immer ängstlicher und
pedantischer wurde, führte gegen das Werk einen Vernichtungs-
krieg. Meine Arbeit drehte sich, ohne eigentlich aus der Stelle
zu kommen, im Kreise herum, und ich würde wohl mein ganzes
Leben dazu verdammt gewesen sein, wenn ich hätte abwarten
sollen, daß das Werk meinen eignen Beifall erwürbe; meine
Selbstkritik hatte sich so sehr abgenutzt, daß ich bei manchen Aen-
derungen kaum wußte, ob ich verbessere oder verschlechtere, jene
ewige Kreisbewegung hatte mich, wenn ich so sagen darf,
moralisch schwindlich gemacht.

Vorrede.
ihm zu befreien, beſtand darin, ihn der Oeffentlichkeit zu über-
geben. Im Jahre 1845 bat ich Puchta, als ich mich von ihm
trennte, um die Erlaubniß, ihm mein Werk dediciren zu dürfen.
Wenn einerſeits die Dankbarkeit für den unvergleichlichen Ge-
nuß, den mir ſein Curſus der Inſtitutionen gewährt hatte, ſo-
wie die tiefe Verehrung, die ich für den großen Meiſter hege,
den Wunſch in mir erregt hatten, ihm das Liebſte und Beſte,
was ich ihm glaubte geben zu können, zu widmen, ſo veranlaßte
mich eine andere Rückſicht, ihm dieſen Wunſch ſchon damals
mitzutheilen. Ich hoffte nämlich, wenn ich ihm meinen Quäl-
geiſt verſchriebe, ſo würde es mir eher gelingen deſſelben Herr
zu werden, und ich bin überzeugt, daß wenn Puchta noch lebte,
ich bereits ſeit Jahren damit fertig geworden wäre; die ihm
ausgeſtellte Verſchreibung würde mich angetrieben haben, jenen
Geiſt „todt oder lebendig“ in ſeine Hände zu liefern.

Mit Puchta’s Tod fiel dieſer Antrieb für mich hinweg,
und von neuem ward ich der Spielball des übermächtigen Gei-
ſtes. Je mehr ich mich meinem Ziel zu nähern glaubte, um ſo
mehr entrückte es ſich meinen Blicken; je mehr ich arbeitete, um
ſo weniger fühlte ich mich befriedigt. Meine Selbſtkritik, die
namentlich was die Redaction anbetraf, immer ängſtlicher und
pedantiſcher wurde, führte gegen das Werk einen Vernichtungs-
krieg. Meine Arbeit drehte ſich, ohne eigentlich aus der Stelle
zu kommen, im Kreiſe herum, und ich würde wohl mein ganzes
Leben dazu verdammt geweſen ſein, wenn ich hätte abwarten
ſollen, daß das Werk meinen eignen Beifall erwürbe; meine
Selbſtkritik hatte ſich ſo ſehr abgenutzt, daß ich bei manchen Aen-
derungen kaum wußte, ob ich verbeſſere oder verſchlechtere, jene
ewige Kreisbewegung hatte mich, wenn ich ſo ſagen darf,
moraliſch ſchwindlich gemacht.

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[VI/0012] Vorrede. ihm zu befreien, beſtand darin, ihn der Oeffentlichkeit zu über- geben. Im Jahre 1845 bat ich Puchta, als ich mich von ihm trennte, um die Erlaubniß, ihm mein Werk dediciren zu dürfen. Wenn einerſeits die Dankbarkeit für den unvergleichlichen Ge- nuß, den mir ſein Curſus der Inſtitutionen gewährt hatte, ſo- wie die tiefe Verehrung, die ich für den großen Meiſter hege, den Wunſch in mir erregt hatten, ihm das Liebſte und Beſte, was ich ihm glaubte geben zu können, zu widmen, ſo veranlaßte mich eine andere Rückſicht, ihm dieſen Wunſch ſchon damals mitzutheilen. Ich hoffte nämlich, wenn ich ihm meinen Quäl- geiſt verſchriebe, ſo würde es mir eher gelingen deſſelben Herr zu werden, und ich bin überzeugt, daß wenn Puchta noch lebte, ich bereits ſeit Jahren damit fertig geworden wäre; die ihm ausgeſtellte Verſchreibung würde mich angetrieben haben, jenen Geiſt „todt oder lebendig“ in ſeine Hände zu liefern. Mit Puchta’s Tod fiel dieſer Antrieb für mich hinweg, und von neuem ward ich der Spielball des übermächtigen Gei- ſtes. Je mehr ich mich meinem Ziel zu nähern glaubte, um ſo mehr entrückte es ſich meinen Blicken; je mehr ich arbeitete, um ſo weniger fühlte ich mich befriedigt. Meine Selbſtkritik, die namentlich was die Redaction anbetraf, immer ängſtlicher und pedantiſcher wurde, führte gegen das Werk einen Vernichtungs- krieg. Meine Arbeit drehte ſich, ohne eigentlich aus der Stelle zu kommen, im Kreiſe herum, und ich würde wohl mein ganzes Leben dazu verdammt geweſen ſein, wenn ich hätte abwarten ſollen, daß das Werk meinen eignen Beifall erwürbe; meine Selbſtkritik hatte ſich ſo ſehr abgenutzt, daß ich bei manchen Aen- derungen kaum wußte, ob ich verbeſſere oder verſchlechtere, jene ewige Kreisbewegung hatte mich, wenn ich ſo ſagen darf, moraliſch ſchwindlich gemacht.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. VI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/12>, abgerufen am 29.04.2024.