Erstes Buch -- Ausgangspunkte des römischen Rechts.
berichten von den Ahnherrn des Volks, die mit der Gewalt des Arms die Rechtswelt gründeten, sondern statt deren von Göttern oder Dienern Gottes, die das Recht den Menschen schenkten oder ihnen als Satzung auferlegten. Der menschliche Schweiß und das Blut, das dem Ursprung des Rechts anklebt, wird hier durch den Nimbus göttlicher Entstehung desselben völlig ver- dunkelt.
Anders aber im römischen Recht; jene Schweiß- und Blut- flecke menschlicher Arbeit, die ihm anhaften, hat keine Zeit ver- nichten können; noch Jahrhunderte hindurch vibrirt im gelten- den Recht die Idee nach, daß die persönliche Thatkraft die Quelle des Rechts ist.
Persönliche Thatkraft die Quelle des Rechts -- für uns fast ein unverständliches Wort! Gewohnt, dem Staate alles in die Hand zu legen, das Recht als den Willen des Staates zu de- finiren und die Verwirklichung desselben ihm zu überlassen, kennen wir für das Recht die persönliche Thatkraft kaum, und wo sie ohne Autorisation des Staats sich geltend machen will, verpönen und verfolgen wir sie als Eingriff in die Rechtsord- nung. Aber so weit in unsern Augen Gewalt und Recht von einander liegen, so weit ist unsere heutige Auffassung dieser bei- den Begriffe von der altrömischen entfernt, und wir müssen unsere ganze heutige Vorstellungsweise von Staat und Rechts- ordnung daheim lassen, wenn wir altrömischen Grund und Boden betreten.
Ist denn unsere strenge Scheidung von Recht und Gewalt in der That eine richtige, gibt es nicht auch heutzutage Gebiete, in denen beide Hand in Hand gehn? In den kleinen Kreisen des bürgerlichen Lebens haben wir der Gewalt den Krieg erklärt, und wenn sie heutzutage nur noch schüchtern und verstohlen sich hier blicken lassen darf, ahnen wir nicht, daß ihr einst auf die- sem Gebiete die ausgedehnteste Herrschaft zustand. Aber zurück- gedrängt von unserer Theorie aus diesen Niederungen des Pri- vatlebens flüchtet sich die Gewalt auf jene Höhen, auf denen
Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts.
berichten von den Ahnherrn des Volks, die mit der Gewalt des Arms die Rechtswelt gründeten, ſondern ſtatt deren von Göttern oder Dienern Gottes, die das Recht den Menſchen ſchenkten oder ihnen als Satzung auferlegten. Der menſchliche Schweiß und das Blut, das dem Urſprung des Rechts anklebt, wird hier durch den Nimbus göttlicher Entſtehung deſſelben völlig ver- dunkelt.
Anders aber im römiſchen Recht; jene Schweiß- und Blut- flecke menſchlicher Arbeit, die ihm anhaften, hat keine Zeit ver- nichten können; noch Jahrhunderte hindurch vibrirt im gelten- den Recht die Idee nach, daß die perſönliche Thatkraft die Quelle des Rechts iſt.
Perſönliche Thatkraft die Quelle des Rechts — für uns faſt ein unverſtändliches Wort! Gewohnt, dem Staate alles in die Hand zu legen, das Recht als den Willen des Staates zu de- finiren und die Verwirklichung deſſelben ihm zu überlaſſen, kennen wir für das Recht die perſönliche Thatkraft kaum, und wo ſie ohne Autoriſation des Staats ſich geltend machen will, verpönen und verfolgen wir ſie als Eingriff in die Rechtsord- nung. Aber ſo weit in unſern Augen Gewalt und Recht von einander liegen, ſo weit iſt unſere heutige Auffaſſung dieſer bei- den Begriffe von der altrömiſchen entfernt, und wir müſſen unſere ganze heutige Vorſtellungsweiſe von Staat und Rechts- ordnung daheim laſſen, wenn wir altrömiſchen Grund und Boden betreten.
Iſt denn unſere ſtrenge Scheidung von Recht und Gewalt in der That eine richtige, gibt es nicht auch heutzutage Gebiete, in denen beide Hand in Hand gehn? In den kleinen Kreiſen des bürgerlichen Lebens haben wir der Gewalt den Krieg erklärt, und wenn ſie heutzutage nur noch ſchüchtern und verſtohlen ſich hier blicken laſſen darf, ahnen wir nicht, daß ihr einſt auf die- ſem Gebiete die ausgedehnteſte Herrſchaft zuſtand. Aber zurück- gedrängt von unſerer Theorie aus dieſen Niederungen des Pri- vatlebens flüchtet ſich die Gewalt auf jene Höhen, auf denen
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Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts.
berichten von den Ahnherrn des Volks, die mit der Gewalt des
Arms die Rechtswelt gründeten, ſondern ſtatt deren von Göttern
oder Dienern Gottes, die das Recht den Menſchen ſchenkten
oder ihnen als Satzung auferlegten. Der menſchliche Schweiß
und das Blut, das dem Urſprung des Rechts anklebt, wird hier
durch den Nimbus göttlicher Entſtehung deſſelben völlig ver-
dunkelt.
Anders aber im römiſchen Recht; jene Schweiß- und Blut-
flecke menſchlicher Arbeit, die ihm anhaften, hat keine Zeit ver-
nichten können; noch Jahrhunderte hindurch vibrirt im gelten-
den Recht die Idee nach, daß die perſönliche Thatkraft die
Quelle des Rechts iſt.
Perſönliche Thatkraft die Quelle des Rechts — für uns faſt
ein unverſtändliches Wort! Gewohnt, dem Staate alles in die
Hand zu legen, das Recht als den Willen des Staates zu de-
finiren und die Verwirklichung deſſelben ihm zu überlaſſen,
kennen wir für das Recht die perſönliche Thatkraft kaum, und
wo ſie ohne Autoriſation des Staats ſich geltend machen will,
verpönen und verfolgen wir ſie als Eingriff in die Rechtsord-
nung. Aber ſo weit in unſern Augen Gewalt und Recht von
einander liegen, ſo weit iſt unſere heutige Auffaſſung dieſer bei-
den Begriffe von der altrömiſchen entfernt, und wir müſſen
unſere ganze heutige Vorſtellungsweiſe von Staat und Rechts-
ordnung daheim laſſen, wenn wir altrömiſchen Grund und
Boden betreten.
Iſt denn unſere ſtrenge Scheidung von Recht und Gewalt
in der That eine richtige, gibt es nicht auch heutzutage Gebiete,
in denen beide Hand in Hand gehn? In den kleinen Kreiſen
des bürgerlichen Lebens haben wir der Gewalt den Krieg erklärt,
und wenn ſie heutzutage nur noch ſchüchtern und verſtohlen ſich
hier blicken laſſen darf, ahnen wir nicht, daß ihr einſt auf die-
ſem Gebiete die ausgedehnteſte Herrſchaft zuſtand. Aber zurück-
gedrängt von unſerer Theorie aus dieſen Niederungen des Pri-
vatlebens flüchtet ſich die Gewalt auf jene Höhen, auf denen
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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/122>, abgerufen am 16.02.2025.
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