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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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I. Prinzip des subjektiven Willens -- Erbeutung. §. 10.
Geschäftssprache übertragene Ausdruck "subhastiren" herschreibt.
Bei der Freilassung der Sklaven vor dem Prätor erscheint gleich-
falls der Speer, später statt dessen ein Stab, in officieller Sprache
vindicta; dies führt uns aber schon zu der Vindikation, von
der erst unten die Rede sein kann. Dahingegen liefert uns auch
hier das Hochzeitsceremoniel einen passenden Beleg. Der Mann
pflegte der Braut bei der Vermählung mit einem Speere (coeli-
baris hasta
19) das Haar zu scheiteln, und Festus, der uns diese
Notiz aufbewahrt hat, führt neben mehren unhaltbaren Erklä-
rungsversuchen auch die Deutung an, daß der Speer das höchste
Zeichen der Macht sei ("summa armorum et imperii") und da-
durch also der Braut angedeutet werden solle, wie sie als Frau
völlig der Gewalt des Mannes unterworfen sei. Daß die Men-
schen den Göttern das höchste Symbol der Herrschaft nicht ver-
sagt haben werden, liegt zu sehr auf der Hand, als daß uns die
Notiz, 20) die Römer hätten in ältester Zeit alle Götter unter
der Gestalt der Lanze verehrt, Wunder nehmen könnte. In späte-
rer Zeit wird die Lanze aus einem Symbol ein Attribut der Götter,
und wenn sie hier bei den friedlichen Gottheiten als hasta pura
d. h. als Stab erscheint, 21) so kann dies bei ihr die ursprüng-
liche Gestalt wohl ebenso wenig verkennen lassen, wie dies bei
der vindicta möglich ist; beide sind ursprünglich Speere, denen
die spätere Zeit die Spitze abgebrochen und ihnen damit zwar
die Beziehung auf den Krieg, aber nicht die des Symbols der
Macht und Herrschaft genommen hat.

Wo physische Kraft den Erwerb vermittelt, da spielt na-
türlich die Hand als Instrument derselben eine Hauptrolle;
kämpfen ist "handgemein werden", "manum conserere" (s. u.
bei der Vindikation), angreifen "Handanlegen" "manum in-
jicere," manus injectio"
(s. u. bei der Selbsthülfe). Wie das

19) S. Festus sub hac voce.
20) Justin 43, 23.
21) Pellegrino Andeutungen über den ursprünglichen Religionsunter-
schied der römischen Patricier und Plebejer. Leipz. 1842. S. 49 u. flg.

I. Prinzip des ſubjektiven Willens — Erbeutung. §. 10.
Geſchäftsſprache übertragene Ausdruck „ſubhaſtiren“ herſchreibt.
Bei der Freilaſſung der Sklaven vor dem Prätor erſcheint gleich-
falls der Speer, ſpäter ſtatt deſſen ein Stab, in officieller Sprache
vindicta; dies führt uns aber ſchon zu der Vindikation, von
der erſt unten die Rede ſein kann. Dahingegen liefert uns auch
hier das Hochzeitsceremoniel einen paſſenden Beleg. Der Mann
pflegte der Braut bei der Vermählung mit einem Speere (coeli-
baris hasta
19) das Haar zu ſcheiteln, und Feſtus, der uns dieſe
Notiz aufbewahrt hat, führt neben mehren unhaltbaren Erklä-
rungsverſuchen auch die Deutung an, daß der Speer das höchſte
Zeichen der Macht ſei („summa armorum et imperii“) und da-
durch alſo der Braut angedeutet werden ſolle, wie ſie als Frau
völlig der Gewalt des Mannes unterworfen ſei. Daß die Men-
ſchen den Göttern das höchſte Symbol der Herrſchaft nicht ver-
ſagt haben werden, liegt zu ſehr auf der Hand, als daß uns die
Notiz, 20) die Römer hätten in älteſter Zeit alle Götter unter
der Geſtalt der Lanze verehrt, Wunder nehmen könnte. In ſpäte-
rer Zeit wird die Lanze aus einem Symbol ein Attribut der Götter,
und wenn ſie hier bei den friedlichen Gottheiten als hasta pura
d. h. als Stab erſcheint, 21) ſo kann dies bei ihr die urſprüng-
liche Geſtalt wohl ebenſo wenig verkennen laſſen, wie dies bei
der vindicta möglich iſt; beide ſind urſprünglich Speere, denen
die ſpätere Zeit die Spitze abgebrochen und ihnen damit zwar
die Beziehung auf den Krieg, aber nicht die des Symbols der
Macht und Herrſchaft genommen hat.

Wo phyſiſche Kraft den Erwerb vermittelt, da ſpielt na-
türlich die Hand als Inſtrument derſelben eine Hauptrolle;
kämpfen iſt „handgemein werden“, „manum conserere“ (ſ. u.
bei der Vindikation), angreifen „Handanlegen“ „manum in-
jicere,“ manus injectio“
(ſ. u. bei der Selbſthülfe). Wie das

19) S. Festus sub hac voce.
20) Justin 43, 23.
21) Pellegrino Andeutungen über den urſprünglichen Religionsunter-
ſchied der römiſchen Patricier und Plebejer. Leipz. 1842. S. 49 u. flg.
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[111/0129] I. Prinzip des ſubjektiven Willens — Erbeutung. §. 10. Geſchäftsſprache übertragene Ausdruck „ſubhaſtiren“ herſchreibt. Bei der Freilaſſung der Sklaven vor dem Prätor erſcheint gleich- falls der Speer, ſpäter ſtatt deſſen ein Stab, in officieller Sprache vindicta; dies führt uns aber ſchon zu der Vindikation, von der erſt unten die Rede ſein kann. Dahingegen liefert uns auch hier das Hochzeitsceremoniel einen paſſenden Beleg. Der Mann pflegte der Braut bei der Vermählung mit einem Speere (coeli- baris hasta 19) das Haar zu ſcheiteln, und Feſtus, der uns dieſe Notiz aufbewahrt hat, führt neben mehren unhaltbaren Erklä- rungsverſuchen auch die Deutung an, daß der Speer das höchſte Zeichen der Macht ſei („summa armorum et imperii“) und da- durch alſo der Braut angedeutet werden ſolle, wie ſie als Frau völlig der Gewalt des Mannes unterworfen ſei. Daß die Men- ſchen den Göttern das höchſte Symbol der Herrſchaft nicht ver- ſagt haben werden, liegt zu ſehr auf der Hand, als daß uns die Notiz, 20) die Römer hätten in älteſter Zeit alle Götter unter der Geſtalt der Lanze verehrt, Wunder nehmen könnte. In ſpäte- rer Zeit wird die Lanze aus einem Symbol ein Attribut der Götter, und wenn ſie hier bei den friedlichen Gottheiten als hasta pura d. h. als Stab erſcheint, 21) ſo kann dies bei ihr die urſprüng- liche Geſtalt wohl ebenſo wenig verkennen laſſen, wie dies bei der vindicta möglich iſt; beide ſind urſprünglich Speere, denen die ſpätere Zeit die Spitze abgebrochen und ihnen damit zwar die Beziehung auf den Krieg, aber nicht die des Symbols der Macht und Herrſchaft genommen hat. Wo phyſiſche Kraft den Erwerb vermittelt, da ſpielt na- türlich die Hand als Inſtrument derſelben eine Hauptrolle; kämpfen iſt „handgemein werden“, „manum conserere“ (ſ. u. bei der Vindikation), angreifen „Handanlegen“ „manum in- jicere,“ manus injectio“ (ſ. u. bei der Selbſthülfe). Wie das 19) S. Festus sub hac voce. 20) Justin 43, 23. 21) Pellegrino Andeutungen über den urſprünglichen Religionsunter- ſchied der römiſchen Patricier und Plebejer. Leipz. 1842. S. 49 u. flg.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/129>, abgerufen am 21.11.2024.