Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.Erstes Buch -- Ausgangspunkte des römischen Rechts. spätern Zeit ist nichts, als eine Fixirung dieses Lösegeldes. 39)Wo das Vermögen in der Schätzung des Volks so hoch steht, daß Verletzung desselben für den Dieb Verlust der Freiheit und für den Bankerutirer Verlust des Lebens nach sich zieht, wo man, möchte ich sagen, vom Gelde ausgehend bis zur schwersten Strafe gelangen kann, da mag man auch rückwärts wieder von der verwirkten Strafe zum Gelde kommen. Für eine beträcht- liche Abfindungssumme verzichtete der Verletzte wohl auf die Ausübung der Talion, und seinem Rachegefühl mochte nicht weniger ein Genüge geschehen, wenn sein Gegner ihm das beste, was er hatte, abtreten mußte, als wenn er selbst ihm einige schwere Wunden beigebracht hätte. In unserer heutigen Zeit, so erwerbsüchtig und geldgierig sie sein mag, ist doch die Be- ziehung des Eigenthums zur Persönlichkeit eine unendlich losere, als im alten Rom; 40) dort war dasselbe gewissermaßen Fleisch und Blut des Eigenthümers, und unter dieser Voraussetzung muß es eben so natürlich erscheinen, daß eine Beschädigung fremden Vermögens mit Leib und Leben gebüßt, als daß eine Verletzung der Person mit Vermögen abgekauft ward. Wie der Feind für einen Gefangenen Lösegeld annahm und wie, wenn letzterer selbst es nicht aufzubringen vermochte, Verwandte und Freunde beisteuerten, so mochte ein gleiches eintreten in dem B. 1 S. 460 hervorgehoben, daß poena wie das griechische poine ur- sprünglich die Bedeutung von Sühngeld hat, daher Ausdrücke wie poenas dare, solvere, pendere, petere, exigere, sumere, capere, die sämmtlich nicht auf die Vorstellung von "Strafeleiden," sondern von Zahlen einer Ab- findungssumme hinweisen. Ueber die auf einen religiösen Gesichtspunkt ver- weisende Etymologie von poena wird bei Darstellung des religiösen Prinzips eingegangen werden. 39) Zu dieser Ansicht sind auch Andere gekommen z. B. Köstlin die Lehre vom Mord und Todtschlag. S. 29 u. flg., bei dem sich auch die einzelnen Fälle, für die uns aus dem ältern Recht Privatstrafen beglaubigt werden, zusammengestellt finden. 40) Im zweiten System werden wir die römische Anschauungsweise mit
ihrer tiefeingreifenden Einwirkung auf das Recht zu schildern versuchen. Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts. ſpätern Zeit iſt nichts, als eine Fixirung dieſes Löſegeldes. 39)Wo das Vermögen in der Schätzung des Volks ſo hoch ſteht, daß Verletzung deſſelben für den Dieb Verluſt der Freiheit und für den Bankerutirer Verluſt des Lebens nach ſich zieht, wo man, möchte ich ſagen, vom Gelde ausgehend bis zur ſchwerſten Strafe gelangen kann, da mag man auch rückwärts wieder von der verwirkten Strafe zum Gelde kommen. Für eine beträcht- liche Abfindungsſumme verzichtete der Verletzte wohl auf die Ausübung der Talion, und ſeinem Rachegefühl mochte nicht weniger ein Genüge geſchehen, wenn ſein Gegner ihm das beſte, was er hatte, abtreten mußte, als wenn er ſelbſt ihm einige ſchwere Wunden beigebracht hätte. In unſerer heutigen Zeit, ſo erwerbſüchtig und geldgierig ſie ſein mag, iſt doch die Be- ziehung des Eigenthums zur Perſönlichkeit eine unendlich loſere, als im alten Rom; 40) dort war daſſelbe gewiſſermaßen Fleiſch und Blut des Eigenthümers, und unter dieſer Vorausſetzung muß es eben ſo natürlich erſcheinen, daß eine Beſchädigung fremden Vermögens mit Leib und Leben gebüßt, als daß eine Verletzung der Perſon mit Vermögen abgekauft ward. Wie der Feind für einen Gefangenen Löſegeld annahm und wie, wenn letzterer ſelbſt es nicht aufzubringen vermochte, Verwandte und Freunde beiſteuerten, ſo mochte ein gleiches eintreten in dem B. 1 S. 460 hervorgehoben, daß poena wie das griechiſche ποινὴ ur- ſprünglich die Bedeutung von Sühngeld hat, daher Ausdrücke wie poenas dare, solvere, pendere, petere, exigere, sumere, capere, die ſämmtlich nicht auf die Vorſtellung von „Strafeleiden,“ ſondern von Zahlen einer Ab- findungsſumme hinweiſen. Ueber die auf einen religiöſen Geſichtspunkt ver- weiſende Etymologie von poena wird bei Darſtellung des religiöſen Prinzips eingegangen werden. 39) Zu dieſer Anſicht ſind auch Andere gekommen z. B. Köſtlin die Lehre vom Mord und Todtſchlag. S. 29 u. flg., bei dem ſich auch die einzelnen Fälle, für die uns aus dem ältern Recht Privatſtrafen beglaubigt werden, zuſammengeſtellt finden. 40) Im zweiten Syſtem werden wir die römiſche Anſchauungsweiſe mit
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Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts.
ſpätern Zeit iſt nichts, als eine Fixirung dieſes Löſegeldes. 39)
Wo das Vermögen in der Schätzung des Volks ſo hoch ſteht,
daß Verletzung deſſelben für den Dieb Verluſt der Freiheit und
für den Bankerutirer Verluſt des Lebens nach ſich zieht, wo man,
möchte ich ſagen, vom Gelde ausgehend bis zur ſchwerſten
Strafe gelangen kann, da mag man auch rückwärts wieder von
der verwirkten Strafe zum Gelde kommen. Für eine beträcht-
liche Abfindungsſumme verzichtete der Verletzte wohl auf die
Ausübung der Talion, und ſeinem Rachegefühl mochte nicht
weniger ein Genüge geſchehen, wenn ſein Gegner ihm das beſte,
was er hatte, abtreten mußte, als wenn er ſelbſt ihm einige
ſchwere Wunden beigebracht hätte. In unſerer heutigen Zeit,
ſo erwerbſüchtig und geldgierig ſie ſein mag, iſt doch die Be-
ziehung des Eigenthums zur Perſönlichkeit eine unendlich loſere,
als im alten Rom; 40) dort war daſſelbe gewiſſermaßen Fleiſch
und Blut des Eigenthümers, und unter dieſer Vorausſetzung
muß es eben ſo natürlich erſcheinen, daß eine Beſchädigung
fremden Vermögens mit Leib und Leben gebüßt, als daß eine
Verletzung der Perſon mit Vermögen abgekauft ward. Wie der
Feind für einen Gefangenen Löſegeld annahm und wie, wenn
letzterer ſelbſt es nicht aufzubringen vermochte, Verwandte und
Freunde beiſteuerten, ſo mochte ein gleiches eintreten in dem
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39) Zu dieſer Anſicht ſind auch Andere gekommen z. B. Köſtlin die Lehre
vom Mord und Todtſchlag. S. 29 u. flg., bei dem ſich auch die einzelnen
Fälle, für die uns aus dem ältern Recht Privatſtrafen beglaubigt werden,
zuſammengeſtellt finden.
40) Im zweiten Syſtem werden wir die römiſche Anſchauungsweiſe mit
ihrer tiefeingreifenden Einwirkung auf das Recht zu ſchildern verſuchen.
38) B. 1 S. 460 hervorgehoben, daß poena wie das griechiſche ποινὴ ur-
ſprünglich die Bedeutung von Sühngeld hat, daher Ausdrücke wie poenas
dare, solvere, pendere, petere, exigere, sumere, capere, die ſämmtlich
nicht auf die Vorſtellung von „Strafeleiden,“ ſondern von Zahlen einer Ab-
findungsſumme hinweiſen. Ueber die auf einen religiöſen Geſichtspunkt ver-
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