Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.I. Prinzip d. subj. Willens--System d. Selbsthülfe--Privatrache. §. 11. Fall, von dem wir hier sprechen. Schreiben doch die XII Tafelnvor, daß der von seinem Gläubiger bereits zur Haft gebrachte Schuldner an drei Markttagen öffentlich ausgestellt werden solle, um zu versuchen, ob nicht irgend Jemand ihn einlösen werde, und aus dem vierten Jahrhundert weiß die Geschichte von M. Manlius zu berichten, daß er an vierhundert Schuldner auf diese Weise aus den Händen ihrer Gläubiger rettete. 41) Spannte der Verletzte seine Forderungen nicht zu hoch, so zahlte der Vater lieber, als daß er sich zur noxae deditio seiner Kinder entschloß, und wo der Thäter selbst Vermögen besaß, opferte er lieber einen Theil desselben, als daß er sich der Rache des Gegners Preis gab. Reichten seine Mittel nicht aus, und hatte er sich des Beistandes seiner Verwandten nicht unwürdig ge- macht, so mochten letztere ihm das Fehlende vorstrecken. Lebte der, gegen den er sich vergangen, nicht mehr, so traten die Ver- wandten als Rächer an dessen Stelle; 42) ob auch sie die Rache, die sie dem Verstorbenen schuldig waren, sich abkaufen lassen durften, ob dies den Thäter gegen die vindicta publica, von der wir sprechen werden, gesichert haben würde, lassen wir dahin gestellt. Die Höhe der Abfindungssumme bestimmte sich begreif- 41) Liv. VI, 20. 42) Als Ausfluß des Familienprinzips gehört dies in §. 14.
I. Prinzip d. ſubj. Willens—Syſtem d. Selbſthülfe—Privatrache. §. 11. Fall, von dem wir hier ſprechen. Schreiben doch die XII Tafelnvor, daß der von ſeinem Gläubiger bereits zur Haft gebrachte Schuldner an drei Markttagen öffentlich ausgeſtellt werden ſolle, um zu verſuchen, ob nicht irgend Jemand ihn einlöſen werde, und aus dem vierten Jahrhundert weiß die Geſchichte von M. Manlius zu berichten, daß er an vierhundert Schuldner auf dieſe Weiſe aus den Händen ihrer Gläubiger rettete. 41) Spannte der Verletzte ſeine Forderungen nicht zu hoch, ſo zahlte der Vater lieber, als daß er ſich zur noxae deditio ſeiner Kinder entſchloß, und wo der Thäter ſelbſt Vermögen beſaß, opferte er lieber einen Theil deſſelben, als daß er ſich der Rache des Gegners Preis gab. Reichten ſeine Mittel nicht aus, und hatte er ſich des Beiſtandes ſeiner Verwandten nicht unwürdig ge- macht, ſo mochten letztere ihm das Fehlende vorſtrecken. Lebte der, gegen den er ſich vergangen, nicht mehr, ſo traten die Ver- wandten als Rächer an deſſen Stelle; 42) ob auch ſie die Rache, die ſie dem Verſtorbenen ſchuldig waren, ſich abkaufen laſſen durften, ob dies den Thäter gegen die vindicta publica, von der wir ſprechen werden, geſichert haben würde, laſſen wir dahin geſtellt. Die Höhe der Abfindungsſumme beſtimmte ſich begreif- 41) Liv. VI, 20. 42) Als Ausfluß des Familienprinzips gehört dies in §. 14.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0145" n="127"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Prinzip d. ſubj. Willens—Syſtem d. Selbſthülfe—Privatrache. §. 11.</fw><lb/> Fall, von dem wir hier ſprechen. Schreiben doch die <hi rendition="#aq">XII</hi> Tafeln<lb/> vor, daß der von ſeinem Gläubiger bereits zur Haft gebrachte<lb/> Schuldner an drei Markttagen öffentlich ausgeſtellt werden ſolle,<lb/> um zu verſuchen, ob nicht irgend Jemand ihn einlöſen werde,<lb/> und aus dem vierten Jahrhundert weiß die Geſchichte von M.<lb/> Manlius zu berichten, daß er an vierhundert Schuldner auf<lb/> dieſe Weiſe aus den Händen ihrer Gläubiger rettete. <note place="foot" n="41)"><hi rendition="#aq">Liv. VI,</hi> 20.</note><lb/> Spannte der Verletzte ſeine Forderungen nicht zu hoch, ſo zahlte<lb/> der Vater lieber, als daß er ſich zur <hi rendition="#aq">noxae deditio</hi> ſeiner Kinder<lb/> entſchloß, und wo der Thäter ſelbſt Vermögen beſaß, opferte<lb/> er lieber einen Theil deſſelben, als daß er ſich der Rache des<lb/> Gegners Preis gab. Reichten ſeine Mittel nicht aus, und hatte<lb/> er ſich des Beiſtandes ſeiner Verwandten nicht unwürdig ge-<lb/> macht, ſo mochten letztere ihm das Fehlende vorſtrecken. Lebte<lb/> der, gegen den er ſich vergangen, nicht mehr, ſo traten die Ver-<lb/> wandten als Rächer an deſſen Stelle; <note place="foot" n="42)">Als Ausfluß des Familienprinzips gehört dies in §. 14.</note> ob auch ſie die Rache,<lb/> die ſie dem Verſtorbenen ſchuldig waren, ſich abkaufen laſſen<lb/> durften, ob dies den Thäter gegen die <hi rendition="#aq">vindicta publica,</hi> von der<lb/> wir ſprechen werden, geſichert haben würde, laſſen wir dahin<lb/> geſtellt.</p><lb/> <p>Die Höhe der Abfindungsſumme beſtimmte ſich begreif-<lb/> licherweiſe nach Verſchiedenheit der Fälle ſehr verſchieden. Die<lb/> Vermögensumſtände der beiden Partheien, ihre Stellung und<lb/> ihr bisheriges Verhältniß zu einander, das Maß der Rachſucht<lb/> auf der einen, das des Trotzes auf der andern Seite, Fürſprache<lb/> von befreundeten Perſonen u. ſ. w. übten hier einen beſtimmen-<lb/> den Einfluß aus. Es ſtand zwar bei dem Verletzten ſeine For-<lb/> derungen ins maßloſe zu ſpannen, ähnlich wie dies im römi-<lb/> ſchen Prozeß derjenige kann, der durch ein <hi rendition="#aq">juramentum in litem</hi><lb/> die <hi rendition="#aq">litis aestimatio</hi> beſtimmen ſoll, allein ſein eignes Intereſſe<lb/> veranlaßte ihn, ſeinem Gegner die Auslöſung nicht unmöglich<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [127/0145]
I. Prinzip d. ſubj. Willens—Syſtem d. Selbſthülfe—Privatrache. §. 11.
Fall, von dem wir hier ſprechen. Schreiben doch die XII Tafeln
vor, daß der von ſeinem Gläubiger bereits zur Haft gebrachte
Schuldner an drei Markttagen öffentlich ausgeſtellt werden ſolle,
um zu verſuchen, ob nicht irgend Jemand ihn einlöſen werde,
und aus dem vierten Jahrhundert weiß die Geſchichte von M.
Manlius zu berichten, daß er an vierhundert Schuldner auf
dieſe Weiſe aus den Händen ihrer Gläubiger rettete. 41)
Spannte der Verletzte ſeine Forderungen nicht zu hoch, ſo zahlte
der Vater lieber, als daß er ſich zur noxae deditio ſeiner Kinder
entſchloß, und wo der Thäter ſelbſt Vermögen beſaß, opferte
er lieber einen Theil deſſelben, als daß er ſich der Rache des
Gegners Preis gab. Reichten ſeine Mittel nicht aus, und hatte
er ſich des Beiſtandes ſeiner Verwandten nicht unwürdig ge-
macht, ſo mochten letztere ihm das Fehlende vorſtrecken. Lebte
der, gegen den er ſich vergangen, nicht mehr, ſo traten die Ver-
wandten als Rächer an deſſen Stelle; 42) ob auch ſie die Rache,
die ſie dem Verſtorbenen ſchuldig waren, ſich abkaufen laſſen
durften, ob dies den Thäter gegen die vindicta publica, von der
wir ſprechen werden, geſichert haben würde, laſſen wir dahin
geſtellt.
Die Höhe der Abfindungsſumme beſtimmte ſich begreif-
licherweiſe nach Verſchiedenheit der Fälle ſehr verſchieden. Die
Vermögensumſtände der beiden Partheien, ihre Stellung und
ihr bisheriges Verhältniß zu einander, das Maß der Rachſucht
auf der einen, das des Trotzes auf der andern Seite, Fürſprache
von befreundeten Perſonen u. ſ. w. übten hier einen beſtimmen-
den Einfluß aus. Es ſtand zwar bei dem Verletzten ſeine For-
derungen ins maßloſe zu ſpannen, ähnlich wie dies im römi-
ſchen Prozeß derjenige kann, der durch ein juramentum in litem
die litis aestimatio beſtimmen ſoll, allein ſein eignes Intereſſe
veranlaßte ihn, ſeinem Gegner die Auslöſung nicht unmöglich
41) Liv. VI, 20.
42) Als Ausfluß des Familienprinzips gehört dies in §. 14.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |