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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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I. Prinzip d. subj. Willens -- System d. Selbsthülfe -- Privatstrafe. §. 11.
rache abgekauft werden konnte und mußte. Es erklärt sich aus
diesem Gesichtspunkte, warum die Deliktsklagen des spätern
Rechts, wie z. B. die actio legis Aquiliae wegen Beschädigung
oder Vernichtung von Sachen, selbst soweit sie reinen Scha-
densersatz zum Gegenstand haben, nicht gegen die Erben des
Thäters gerichtet werden können. Daß Leistung des Schadens-
ersatzes als Strafe aufgefaßt wird, hat für uns etwas Befrem-
dendes, und unser heutiges Recht hat in dieser Beziehung sich
vom römischen entfernt. Diese Sonderbarkeit erklärt sich aber
ganz befriedigend aus der bisher dargestellten Ansicht. Beschä-
digung fremder Sachen ist ein Delikt, das die Privatrache des
Eigenthümers hervorruft. Mit dem Tode des Thäters aber fällt
die Rache hinweg, denn sein Erbe übernimmt zwar das Ver-
mögen und damit die Schulden desselben, nicht aber dessen
Feindschaften und Fehden. Da nun die Strafe gezahlt wird,
um sich der Fehde zu entziehen, so hat nur der Thäter sie zu
entrichten, nicht aber der Erbe. Als natürliche Folge des De-
likts gilt nicht die Verpflichtung zum Schadensersatz, sondern
die Privatrache, letztere geht aber über den bloßen Schadens-
ersatz hinaus, denn es ist neben der Sache zugleich die Persön-
lichkeit des Eigenthümers gekränkt, und wenn letzterer sich eine
poena oder Abfindungssumme zahlen läßt, so hat dieselbe die Be-
stimmung, ein Surrogat der Rache zu sein oder, man kann auch
sagen eine Befriedigung der Rachlust zu gewähren. Ueber die-
ser persönlichen Richtung des Delikts ist die sächliche im
römischen Recht gar nicht zu besonderer Anerkennung gelangt. 49)

49) Daß der Erbe des Thäters das, was durch das Delikt ins Vermögen
seines Erblassers und so durch Erbgang auf ihn gekommen ist, restituiren
muß, enthält nur einen Ausfluß des Condiktionenprinzips. Daß aber, wie
im Text behauptet, das römische Recht über dem Gesichtspunkt des Delikts
und der darin liegenden Anforderung einer persönlichen, gemüthlichen Genug-
thuung den Gesichtspunkt des Schadensersatzes, d. i. der rein vermögens-
rechtlichen, sachlichen Genugthuung hintenangesetzt hat, ist unläugbar, und
man sollte sich bewußt sein, daß hierin eine Grundverschiedenheit altrömischer
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I. Prinzip d. ſubj. Willens — Syſtem d. Selbſthülfe — Privatſtrafe. §. 11.
rache abgekauft werden konnte und mußte. Es erklärt ſich aus
dieſem Geſichtspunkte, warum die Deliktsklagen des ſpätern
Rechts, wie z. B. die actio legis Aquiliae wegen Beſchädigung
oder Vernichtung von Sachen, ſelbſt ſoweit ſie reinen Scha-
denserſatz zum Gegenſtand haben, nicht gegen die Erben des
Thäters gerichtet werden können. Daß Leiſtung des Schadens-
erſatzes als Strafe aufgefaßt wird, hat für uns etwas Befrem-
dendes, und unſer heutiges Recht hat in dieſer Beziehung ſich
vom römiſchen entfernt. Dieſe Sonderbarkeit erklärt ſich aber
ganz befriedigend aus der bisher dargeſtellten Anſicht. Beſchä-
digung fremder Sachen iſt ein Delikt, das die Privatrache des
Eigenthümers hervorruft. Mit dem Tode des Thäters aber fällt
die Rache hinweg, denn ſein Erbe übernimmt zwar das Ver-
mögen und damit die Schulden deſſelben, nicht aber deſſen
Feindſchaften und Fehden. Da nun die Strafe gezahlt wird,
um ſich der Fehde zu entziehen, ſo hat nur der Thäter ſie zu
entrichten, nicht aber der Erbe. Als natürliche Folge des De-
likts gilt nicht die Verpflichtung zum Schadenserſatz, ſondern
die Privatrache, letztere geht aber über den bloßen Schadens-
erſatz hinaus, denn es iſt neben der Sache zugleich die Perſön-
lichkeit des Eigenthümers gekränkt, und wenn letzterer ſich eine
poena oder Abfindungsſumme zahlen läßt, ſo hat dieſelbe die Be-
ſtimmung, ein Surrogat der Rache zu ſein oder, man kann auch
ſagen eine Befriedigung der Rachluſt zu gewähren. Ueber die-
ſer perſönlichen Richtung des Delikts iſt die ſächliche im
römiſchen Recht gar nicht zu beſonderer Anerkennung gelangt. 49)

49) Daß der Erbe des Thäters das, was durch das Delikt ins Vermögen
ſeines Erblaſſers und ſo durch Erbgang auf ihn gekommen iſt, reſtituiren
muß, enthält nur einen Ausfluß des Condiktionenprinzips. Daß aber, wie
im Text behauptet, das römiſche Recht über dem Geſichtspunkt des Delikts
und der darin liegenden Anforderung einer perſönlichen, gemüthlichen Genug-
thuung den Geſichtspunkt des Schadenserſatzes, d. i. der rein vermögens-
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[131/0149] I. Prinzip d. ſubj. Willens — Syſtem d. Selbſthülfe — Privatſtrafe. §. 11. rache abgekauft werden konnte und mußte. Es erklärt ſich aus dieſem Geſichtspunkte, warum die Deliktsklagen des ſpätern Rechts, wie z. B. die actio legis Aquiliae wegen Beſchädigung oder Vernichtung von Sachen, ſelbſt ſoweit ſie reinen Scha- denserſatz zum Gegenſtand haben, nicht gegen die Erben des Thäters gerichtet werden können. Daß Leiſtung des Schadens- erſatzes als Strafe aufgefaßt wird, hat für uns etwas Befrem- dendes, und unſer heutiges Recht hat in dieſer Beziehung ſich vom römiſchen entfernt. Dieſe Sonderbarkeit erklärt ſich aber ganz befriedigend aus der bisher dargeſtellten Anſicht. Beſchä- digung fremder Sachen iſt ein Delikt, das die Privatrache des Eigenthümers hervorruft. Mit dem Tode des Thäters aber fällt die Rache hinweg, denn ſein Erbe übernimmt zwar das Ver- mögen und damit die Schulden deſſelben, nicht aber deſſen Feindſchaften und Fehden. Da nun die Strafe gezahlt wird, um ſich der Fehde zu entziehen, ſo hat nur der Thäter ſie zu entrichten, nicht aber der Erbe. Als natürliche Folge des De- likts gilt nicht die Verpflichtung zum Schadenserſatz, ſondern die Privatrache, letztere geht aber über den bloßen Schadens- erſatz hinaus, denn es iſt neben der Sache zugleich die Perſön- lichkeit des Eigenthümers gekränkt, und wenn letzterer ſich eine poena oder Abfindungsſumme zahlen läßt, ſo hat dieſelbe die Be- ſtimmung, ein Surrogat der Rache zu ſein oder, man kann auch ſagen eine Befriedigung der Rachluſt zu gewähren. Ueber die- ſer perſönlichen Richtung des Delikts iſt die ſächliche im römiſchen Recht gar nicht zu beſonderer Anerkennung gelangt. 49) 49) Daß der Erbe des Thäters das, was durch das Delikt ins Vermögen ſeines Erblaſſers und ſo durch Erbgang auf ihn gekommen iſt, reſtituiren muß, enthält nur einen Ausfluß des Condiktionenprinzips. Daß aber, wie im Text behauptet, das römiſche Recht über dem Geſichtspunkt des Delikts und der darin liegenden Anforderung einer perſönlichen, gemüthlichen Genug- thuung den Geſichtspunkt des Schadenserſatzes, d. i. der rein vermögens- rechtlichen, ſachlichen Genugthuung hintenangeſetzt hat, iſt unläugbar, und man ſollte ſich bewußt ſein, daß hierin eine Grundverſchiedenheit altrömiſcher 9*

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/149>, abgerufen am 21.11.2024.