Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.Erstes Buch -- Ausgangspunkte des römischen Rechts. werden, daß es gewiß in den wenigsten Fällen zu wirklichenThätlichkeiten kam, indem das moralische und physische Gewicht, das der Beistand der Zeugen dem Anspruche des Berechtigten gewährte, nutzlose Versuche des Widerstandes im Keim unter- drückte. Unser Beweissatz ist also der: der Zeuge der ältesten Zeit In einer Zeit, in der die Parthei selbst ihr Recht reali- 53) Hier wird die Benennung des Zeugen von dem Wissen entlehnt z. B. althochd. gewizo (Wissender) Kiwizida, giwiznessi, gewizscaf (Zeugniß) angels. gevita, altnord. vitus (Zeugniß). Das gothische veitvods (Zeuge) soll auch mit vitan (wissen) zusammenhängen. Das Mittelhochdeutsche ge- ziuge, ziuc u. s. w. und das Niederdeutsche getüge leitet Grimm von zie- hen ab d. i. der Zugezogene. 54) Wahr und verus stammen beide von der Sanskr. Wurzel wri (be-
decken, wahren), wovon z. B. auch Goth. varjan (wehren) Poln. wara, wiera, Litt. wer-tas; und was gewehrt, gewahrt, bewährt ist, ist wahr. S. Pott a. a. O. B. 1 S. 223. Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts. werden, daß es gewiß in den wenigſten Fällen zu wirklichenThätlichkeiten kam, indem das moraliſche und phyſiſche Gewicht, das der Beiſtand der Zeugen dem Anſpruche des Berechtigten gewährte, nutzloſe Verſuche des Widerſtandes im Keim unter- drückte. Unſer Beweisſatz iſt alſo der: der Zeuge der älteſten Zeit In einer Zeit, in der die Parthei ſelbſt ihr Recht reali- 53) Hier wird die Benennung des Zeugen von dem Wiſſen entlehnt z. B. althochd. gewizo (Wiſſender) Kiwizida, giwiznessi, gewizscaf (Zeugniß) angelſ. gevita, altnord. vitus (Zeugniß). Das gothiſche veitvôds (Zeuge) ſoll auch mit vitan (wiſſen) zuſammenhängen. Das Mittelhochdeutſche ge- ziuge, ziuc u. ſ. w. und das Niederdeutſche getüge leitet Grimm von zie- hen ab d. i. der Zugezogene. 54) Wahr und verus ſtammen beide von der Sanskr. Wurzel wri (be-
decken, wahren), wovon z. B. auch Goth. varjan (wehren) Poln. wara, wiera, Litt. wer-tas; und was gewehrt, gewahrt, bewährt iſt, iſt wahr. S. Pott a. a. O. B. 1 S. 223. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0152" n="134"/><fw place="top" type="header">Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts.</fw><lb/> werden, daß es gewiß in den wenigſten Fällen zu wirklichen<lb/> Thätlichkeiten kam, indem das moraliſche und phyſiſche Gewicht,<lb/> das der Beiſtand der Zeugen dem Anſpruche des Berechtigten<lb/> gewährte, nutzloſe Verſuche des Widerſtandes im Keim unter-<lb/> drückte.</p><lb/> <p>Unſer Beweisſatz iſt alſo der: der Zeuge der älteſten Zeit<lb/> ſichert der intereſſirten Parthei im voraus ſeinen Beiſtand zu,<lb/> oder, wie wir es mit einem Wort ausdrücken können, <hi rendition="#aq">testis</hi><lb/> heißt <hi rendition="#g">Garant</hi>.</p><lb/> <p>In einer Zeit, in der die Parthei ſelbſt ihr Recht <hi rendition="#g">reali-<lb/> ſirt</hi>, iſt nothwendigerweiſe die Stellung und Aufgabe des<lb/> zugezogenen Zeugen eine ganz andere, als in einer Zeit, in der<lb/> der Richter jene Realiſirung auf ſich genommen hat. In dieſem<lb/> letztern Fall mag und muß der Zeuge ſich auf die <hi rendition="#g">Ausſage</hi><lb/> deſſen, was er geſehn hat, beſchränken, und ihn ſelbſt kann man<lb/> als Wiſſenden bezeichnen. So thut es z. B. das germaniſche<lb/> Recht. <note place="foot" n="53)">Hier wird die Benennung des Zeugen von dem Wiſſen entlehnt z. B.<lb/> althochd. <hi rendition="#aq">gewizo</hi> (Wiſſender) <hi rendition="#aq">Kiwizida, giwiznessi, gewizscaf</hi> (Zeugniß)<lb/> angelſ. <hi rendition="#aq">gevita,</hi> altnord. <hi rendition="#aq">vitus</hi> (Zeugniß). Das gothiſche <hi rendition="#aq">veitvôds</hi> (Zeuge)<lb/> ſoll auch mit <hi rendition="#aq">vitan</hi> (wiſſen) zuſammenhängen. Das Mittelhochdeutſche <hi rendition="#aq">ge-<lb/> ziuge, ziuc</hi> u. ſ. w. und das Niederdeutſche <hi rendition="#aq">getüge</hi> leitet Grimm von zie-<lb/> hen ab d. i. der Zugezogene.</note> Dort hingegen, wo es nicht auf Sagen und Klagen,<lb/> ſondern auf Handeln ankömmt, würde der zugezogene Zeuge<lb/> durch ein bloßes Sagen dem ihm geſchenkten Vertrauen nicht<lb/> Genüge leiſten; die Wahrheit, die er bezeugen ſoll, ruht ur-<lb/> ſprünglich in den Fäuſten. Wahr iſt nach der Etymologie ſo-<lb/> wohl der lateiniſchen als der deutſchen Sprache dasjenige, was<lb/><hi rendition="#g">bewährt, gewahrt</hi> wird; <note place="foot" n="54)">Wahr und <hi rendition="#aq">verus</hi> ſtammen beide von der Sanskr. Wurzel <hi rendition="#aq">wri</hi> (be-<lb/> decken, wahren), wovon z. B. auch Goth. <hi rendition="#aq">varjan</hi> (wehren) Poln. <hi rendition="#aq">wara,<lb/> wiera,</hi> Litt. <hi rendition="#aq">wer-tas;</hi> und was gewehrt, gewahrt, bewährt iſt, iſt wahr.<lb/> S. Pott a. a. O. B. 1 S. 223.</note> Wahrheit alſo dasjenige, wo-<lb/> für man einſteht. Wenn dies der urſprüngliche Begriff der<lb/> Wahrheit iſt, ſo hat vor allem der Zeuge die Aufgabe, die Wahr-<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [134/0152]
Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts.
werden, daß es gewiß in den wenigſten Fällen zu wirklichen
Thätlichkeiten kam, indem das moraliſche und phyſiſche Gewicht,
das der Beiſtand der Zeugen dem Anſpruche des Berechtigten
gewährte, nutzloſe Verſuche des Widerſtandes im Keim unter-
drückte.
Unſer Beweisſatz iſt alſo der: der Zeuge der älteſten Zeit
ſichert der intereſſirten Parthei im voraus ſeinen Beiſtand zu,
oder, wie wir es mit einem Wort ausdrücken können, testis
heißt Garant.
In einer Zeit, in der die Parthei ſelbſt ihr Recht reali-
ſirt, iſt nothwendigerweiſe die Stellung und Aufgabe des
zugezogenen Zeugen eine ganz andere, als in einer Zeit, in der
der Richter jene Realiſirung auf ſich genommen hat. In dieſem
letztern Fall mag und muß der Zeuge ſich auf die Ausſage
deſſen, was er geſehn hat, beſchränken, und ihn ſelbſt kann man
als Wiſſenden bezeichnen. So thut es z. B. das germaniſche
Recht. 53) Dort hingegen, wo es nicht auf Sagen und Klagen,
ſondern auf Handeln ankömmt, würde der zugezogene Zeuge
durch ein bloßes Sagen dem ihm geſchenkten Vertrauen nicht
Genüge leiſten; die Wahrheit, die er bezeugen ſoll, ruht ur-
ſprünglich in den Fäuſten. Wahr iſt nach der Etymologie ſo-
wohl der lateiniſchen als der deutſchen Sprache dasjenige, was
bewährt, gewahrt wird; 54) Wahrheit alſo dasjenige, wo-
für man einſteht. Wenn dies der urſprüngliche Begriff der
Wahrheit iſt, ſo hat vor allem der Zeuge die Aufgabe, die Wahr-
53) Hier wird die Benennung des Zeugen von dem Wiſſen entlehnt z. B.
althochd. gewizo (Wiſſender) Kiwizida, giwiznessi, gewizscaf (Zeugniß)
angelſ. gevita, altnord. vitus (Zeugniß). Das gothiſche veitvôds (Zeuge)
ſoll auch mit vitan (wiſſen) zuſammenhängen. Das Mittelhochdeutſche ge-
ziuge, ziuc u. ſ. w. und das Niederdeutſche getüge leitet Grimm von zie-
hen ab d. i. der Zugezogene.
54) Wahr und verus ſtammen beide von der Sanskr. Wurzel wri (be-
decken, wahren), wovon z. B. auch Goth. varjan (wehren) Poln. wara,
wiera, Litt. wer-tas; und was gewehrt, gewahrt, bewährt iſt, iſt wahr.
S. Pott a. a. O. B. 1 S. 223.
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