Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Prinz. d. subj. Willens -- Syst. d. Selbsthülfe -- Volksgarantie. §. 11.
Idee treu, die Kraft desselben beruht dann auf der vom Volk
durch seine Vertreter ertheilten Approbation. Es liegt auf der
Hand, daß jene Deutung der fünf Zeugen durch Aufdeckung
eines Falles, in dem dieselben nachweisbar an die
Stelle des gesammten Volks treten
, den höchsten
Grad der Wahrscheinlichkeit gewinnt. Wenn wir nun mit dieser
Idee, daß diese Zeugen das Volk repräsentiren, weiter operiren,
so führt sie uns zu dem Resultat, daß die Mancipation 58) das
Mittel ist, um rechtlichen Geschäften auf leichte Weise den
Charakter öffentlicher Garantie zu verleihen. Vielleicht pflegte
man früher auch für wichtige Dispositionen unter Lebenden ähn-
lich wie bei Testamenten sich den Schutz des Volks zusichern
zu lassen; wie es sich damit aber auch verhält, kurz die durch
mancipatio begründeten Rechte stützen sich auf die Autorität des
Volks, wir können sie "öffentlich garantirte" nennen. Durch den
in der mancipatio eröffneten Weg, einem Recht diese höhere
Sanktion zu verleihen, war nun an sich der Grundsatz, daß das
Individuum in sich selbst den Grund seines Rechts trägt, nicht
aufgehoben, es also Keinem verwehrt, einen Rechtsakt auch in
anderer Form als der des Mancipationsrituals vorzunehmen,
allein es ist begreiflich, daß die Anwendung des letzteren bei
allen wichtigern Gegenständen immer üblicher wurde, und daß
im Laufe der Zeit die Unterlassung dieser Form bei einem Ge-
schäft, bei dem sie einmal ganz constant geworden war, als
Nichtigkeitsgrund betrachtet wurde. In diesen Fällen wurde
jener Grundsatz, daß die individuelle Thatkraft die Quelle des
Rechts sei, zurückgedrängt oder wenigstens durch das Requisit
einer öffentlichen Anerkennung und Sanktion des Rechts modi-
ficirt; für diese Fälle wird also der Begriff des Rechts ein höhe-

58) Es ist bereits oben bemerkt, daß das Nexum nur eine Anwendung
der Mancipation auf obligatorische Zwecke enthält, und darum braucht das
Nexum nicht besonders genannt zu werden.

I. Prinz. d. ſubj. Willens — Syſt. d. Selbſthülfe — Volksgarantie. §. 11.
Idee treu, die Kraft deſſelben beruht dann auf der vom Volk
durch ſeine Vertreter ertheilten Approbation. Es liegt auf der
Hand, daß jene Deutung der fünf Zeugen durch Aufdeckung
eines Falles, in dem dieſelben nachweisbar an die
Stelle des geſammten Volks treten
, den höchſten
Grad der Wahrſcheinlichkeit gewinnt. Wenn wir nun mit dieſer
Idee, daß dieſe Zeugen das Volk repräſentiren, weiter operiren,
ſo führt ſie uns zu dem Reſultat, daß die Mancipation 58) das
Mittel iſt, um rechtlichen Geſchäften auf leichte Weiſe den
Charakter öffentlicher Garantie zu verleihen. Vielleicht pflegte
man früher auch für wichtige Dispoſitionen unter Lebenden ähn-
lich wie bei Teſtamenten ſich den Schutz des Volks zuſichern
zu laſſen; wie es ſich damit aber auch verhält, kurz die durch
mancipatio begründeten Rechte ſtützen ſich auf die Autorität des
Volks, wir können ſie „öffentlich garantirte“ nennen. Durch den
in der mancipatio eröffneten Weg, einem Recht dieſe höhere
Sanktion zu verleihen, war nun an ſich der Grundſatz, daß das
Individuum in ſich ſelbſt den Grund ſeines Rechts trägt, nicht
aufgehoben, es alſo Keinem verwehrt, einen Rechtsakt auch in
anderer Form als der des Mancipationsrituals vorzunehmen,
allein es iſt begreiflich, daß die Anwendung des letzteren bei
allen wichtigern Gegenſtänden immer üblicher wurde, und daß
im Laufe der Zeit die Unterlaſſung dieſer Form bei einem Ge-
ſchäft, bei dem ſie einmal ganz conſtant geworden war, als
Nichtigkeitsgrund betrachtet wurde. In dieſen Fällen wurde
jener Grundſatz, daß die individuelle Thatkraft die Quelle des
Rechts ſei, zurückgedrängt oder wenigſtens durch das Requiſit
einer öffentlichen Anerkennung und Sanktion des Rechts modi-
ficirt; für dieſe Fälle wird alſo der Begriff des Rechts ein höhe-

58) Es iſt bereits oben bemerkt, daß das Nexum nur eine Anwendung
der Mancipation auf obligatoriſche Zwecke enthält, und darum braucht das
Nexum nicht beſonders genannt zu werden.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0159" n="141"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Prinz. d. &#x017F;ubj. Willens &#x2014; Sy&#x017F;t. d. Selb&#x017F;thülfe &#x2014; Volksgarantie. §. 11.</fw><lb/>
Idee treu, die Kraft de&#x017F;&#x017F;elben beruht dann auf der vom Volk<lb/>
durch &#x017F;eine Vertreter ertheilten Approbation. Es liegt auf der<lb/>
Hand, daß jene Deutung der fünf Zeugen durch Aufdeckung<lb/>
eines Falles, in <hi rendition="#g">dem die&#x017F;elben nachweisbar an die<lb/>
Stelle des ge&#x017F;ammten Volks treten</hi>, den höch&#x017F;ten<lb/>
Grad der Wahr&#x017F;cheinlichkeit gewinnt. Wenn wir nun mit die&#x017F;er<lb/>
Idee, daß die&#x017F;e Zeugen das Volk reprä&#x017F;entiren, weiter operiren,<lb/>
&#x017F;o führt &#x017F;ie uns zu dem Re&#x017F;ultat, daß die Mancipation <note place="foot" n="58)">Es i&#x017F;t bereits oben bemerkt, daß das Nexum nur eine Anwendung<lb/>
der Mancipation auf obligatori&#x017F;che Zwecke enthält, und darum braucht das<lb/>
Nexum nicht be&#x017F;onders genannt zu werden.</note> das<lb/>
Mittel i&#x017F;t, um rechtlichen Ge&#x017F;chäften auf leichte Wei&#x017F;e den<lb/>
Charakter öffentlicher Garantie zu verleihen. Vielleicht pflegte<lb/>
man früher auch für wichtige Dispo&#x017F;itionen unter Lebenden ähn-<lb/>
lich wie bei Te&#x017F;tamenten &#x017F;ich den Schutz des Volks zu&#x017F;ichern<lb/>
zu la&#x017F;&#x017F;en; wie es &#x017F;ich damit aber auch verhält, kurz die durch<lb/><hi rendition="#aq">mancipatio</hi> begründeten Rechte &#x017F;tützen &#x017F;ich auf die Autorität des<lb/>
Volks, wir können &#x017F;ie &#x201E;öffentlich garantirte&#x201C; nennen. Durch den<lb/>
in der <hi rendition="#aq">mancipatio</hi> eröffneten Weg, einem Recht die&#x017F;e höhere<lb/>
Sanktion zu verleihen, war nun an &#x017F;ich der Grund&#x017F;atz, daß das<lb/>
Individuum in &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t den Grund &#x017F;eines Rechts trägt, nicht<lb/>
aufgehoben, es al&#x017F;o Keinem verwehrt, einen Rechtsakt auch in<lb/>
anderer Form als der des Mancipationsrituals vorzunehmen,<lb/>
allein es i&#x017F;t begreiflich, daß die Anwendung des letzteren bei<lb/>
allen wichtigern Gegen&#x017F;tänden immer üblicher wurde, und daß<lb/>
im Laufe der Zeit die Unterla&#x017F;&#x017F;ung die&#x017F;er Form bei einem Ge-<lb/>
&#x017F;chäft, bei dem &#x017F;ie einmal ganz con&#x017F;tant geworden war, als<lb/>
Nichtigkeitsgrund betrachtet wurde. In die&#x017F;en Fällen wurde<lb/>
jener Grund&#x017F;atz, daß die individuelle Thatkraft die Quelle des<lb/>
Rechts &#x017F;ei, zurückgedrängt oder wenig&#x017F;tens durch das Requi&#x017F;it<lb/>
einer öffentlichen Anerkennung und Sanktion des Rechts modi-<lb/>
ficirt; für die&#x017F;e Fälle wird al&#x017F;o der Begriff des Rechts ein höhe-<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[141/0159] I. Prinz. d. ſubj. Willens — Syſt. d. Selbſthülfe — Volksgarantie. §. 11. Idee treu, die Kraft deſſelben beruht dann auf der vom Volk durch ſeine Vertreter ertheilten Approbation. Es liegt auf der Hand, daß jene Deutung der fünf Zeugen durch Aufdeckung eines Falles, in dem dieſelben nachweisbar an die Stelle des geſammten Volks treten, den höchſten Grad der Wahrſcheinlichkeit gewinnt. Wenn wir nun mit dieſer Idee, daß dieſe Zeugen das Volk repräſentiren, weiter operiren, ſo führt ſie uns zu dem Reſultat, daß die Mancipation 58) das Mittel iſt, um rechtlichen Geſchäften auf leichte Weiſe den Charakter öffentlicher Garantie zu verleihen. Vielleicht pflegte man früher auch für wichtige Dispoſitionen unter Lebenden ähn- lich wie bei Teſtamenten ſich den Schutz des Volks zuſichern zu laſſen; wie es ſich damit aber auch verhält, kurz die durch mancipatio begründeten Rechte ſtützen ſich auf die Autorität des Volks, wir können ſie „öffentlich garantirte“ nennen. Durch den in der mancipatio eröffneten Weg, einem Recht dieſe höhere Sanktion zu verleihen, war nun an ſich der Grundſatz, daß das Individuum in ſich ſelbſt den Grund ſeines Rechts trägt, nicht aufgehoben, es alſo Keinem verwehrt, einen Rechtsakt auch in anderer Form als der des Mancipationsrituals vorzunehmen, allein es iſt begreiflich, daß die Anwendung des letzteren bei allen wichtigern Gegenſtänden immer üblicher wurde, und daß im Laufe der Zeit die Unterlaſſung dieſer Form bei einem Ge- ſchäft, bei dem ſie einmal ganz conſtant geworden war, als Nichtigkeitsgrund betrachtet wurde. In dieſen Fällen wurde jener Grundſatz, daß die individuelle Thatkraft die Quelle des Rechts ſei, zurückgedrängt oder wenigſtens durch das Requiſit einer öffentlichen Anerkennung und Sanktion des Rechts modi- ficirt; für dieſe Fälle wird alſo der Begriff des Rechts ein höhe- 58) Es iſt bereits oben bemerkt, daß das Nexum nur eine Anwendung der Mancipation auf obligatoriſche Zwecke enthält, und darum braucht das Nexum nicht beſonders genannt zu werden.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/159
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/159>, abgerufen am 23.11.2024.