Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.I. Prinzip d. subj. Willens -- Selbsthülfe des spätern Rechts. §. 12. Zu der solennen und formlosen Gewalt kömmt endlich noch Der zur Bezeichnung desselben dienende Name vindicatio, Indem wir jetzt die Selbsthülfe verlassen, um uns 2. dem römischen Prozeß zuzuwenden, begleitet uns dasselbe 69) Die Wurzel die bedeutet im Lateinischen wie im Sanskrit und Grie- chischen (deiknumi) zeigen z. B. dicis causa, digitus, indicare; dicere sagen ist = zeigen mit Worten. Vindicare aus vim dicere heißt also Ge- walt zeigen. S. Pott a. a. O. B. 1 S. 266 und Ottfried Müller im Rhein. Museum für Jurisprudenz B. V S. 190 flg. 70) Daß der Prätor nicht selbst die Sache entschied, sondern den Par-
theien einen Richter bestellte, war zur Zeit der Republik der gewöhnliche Mo- I. Prinzip d. ſubj. Willens — Selbſthülfe des ſpätern Rechts. §. 12. Zu der ſolennen und formloſen Gewalt kömmt endlich noch Der zur Bezeichnung deſſelben dienende Name vindicatio, Indem wir jetzt die Selbſthülfe verlaſſen, um uns 2. dem römiſchen Prozeß zuzuwenden, begleitet uns daſſelbe 69) Die Wurzel die bedeutet im Lateiniſchen wie im Sanskrit und Grie- chiſchen (δείκνυμι) zeigen z. B. dicis causa, digitus, indicare; dicere ſagen iſt = zeigen mit Worten. Vindicare aus vim dicere heißt alſo Ge- walt zeigen. S. Pott a. a. O. B. 1 S. 266 und Ottfried Müller im Rhein. Muſeum für Jurisprudenz B. V S. 190 flg. 70) Daß der Prätor nicht ſelbſt die Sache entſchied, ſondern den Par-
theien einen Richter beſtellte, war zur Zeit der Republik der gewöhnliche Mo- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <pb facs="#f0171" n="153"/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Prinzip d. ſubj. Willens — Selbſthülfe des ſpätern Rechts. §. 12.</fw><lb/> <p>Zu der ſolennen und formloſen Gewalt kömmt endlich noch<lb/> eine ſymboliſche, nämlich der Scheinkampf im Eigenthums-<lb/> prozeß.</p><lb/> <p>Der zur Bezeichnung deſſelben dienende Name <hi rendition="#aq">vindicatio,</hi><lb/> ſo wie die dabei vorkommende <hi rendition="#aq">vindicta,</hi> jener unvermeidliche<lb/> hier in einen Stab verwandelte Speer, zeigen, daß es ſich hier<lb/> um ein <hi rendition="#aq">vim dicere</hi> d. h. nicht ein „Anſagen“, ſondern ein „Er-<lb/> ſcheinen laſſen“ <note place="foot" n="69)">Die Wurzel <hi rendition="#aq">die</hi> bedeutet im Lateiniſchen wie im Sanskrit und Grie-<lb/> chiſchen (δείκνυμι) <hi rendition="#g">zeigen</hi> z. B. <hi rendition="#aq">dicis causa, digitus, indicare; dicere</hi><lb/> ſagen iſt = zeigen mit Worten. <hi rendition="#aq">Vindicare</hi> aus <hi rendition="#aq">vim dicere</hi> heißt alſo Ge-<lb/> walt zeigen. S. Pott a. a. O. B. 1 S. 266 und Ottfried Müller im Rhein.<lb/> Muſeum für Jurisprudenz B. <hi rendition="#aq">V</hi> S. 190 flg.</note> von Gewalt handelte; der Akt wird auch mit<lb/> dem Ausdruck <hi rendition="#aq">manum conserere,</hi> handgemein werden, bezeich-<lb/> net. Man hat in dieſer Aufnahme der Gewalt in den Prozeß<lb/> die Idee ausgeſprochen finden wollen, daß die Gewalt dem Recht<lb/> weichen müſſe, aber man könnte wohl mit mehr Recht ſagen:<lb/> die Selbſthülfe erſcheint den Römern als etwas ſo natürliches<lb/> und ſo wenig unrechtes, daß ſie dieſelbe ſelbſt im Prozeß nicht<lb/> entbehren können. Jener Scheinkampf enthält weniger eine<lb/> Verurtheilung der Selbſthülfe, als umgekehrt einen Beleg da-<lb/> für, wie tief dieſelbe in der Volksanſicht gewurzelt war. Wie<lb/> in der <hi rendition="#aq">mancipatio</hi> nach unſerer Ausführung im §. 10 die Ge-<lb/> walt als die urſprüngliche Quelle des Eigenthums erſcheint,<lb/> ſo in der <hi rendition="#aq">vindicatio</hi> als das urſprüngliche Schutzmittel deſſelben.</p><lb/> <p>Indem wir jetzt die Selbſthülfe verlaſſen, um uns</p><lb/> <p>2. dem römiſchen Prozeß zuzuwenden, begleitet uns daſſelbe<lb/> Prinzip des ſubjektiven Willens, das wir dort in ſeinem unmittel-<lb/> barſten Ausdruck kennen lernten, auch fernerhin; die Form iſt<lb/> eine andere, die Sache dieſelbe. Wir mußten bereits im bisheri-<lb/> gen den Geſichtspunkt andeuten, den wir jetzt durchführen wollen,<lb/> nämlich daß der Richter des ältern römiſchen Rechts <note xml:id="seg2pn_10_1" next="#seg2pn_10_2" place="foot" n="70)">Daß der Prätor nicht ſelbſt die Sache entſchied, ſondern den Par-<lb/> theien einen Richter beſtellte, war zur Zeit der Republik der gewöhnliche Mo-</note> nichts<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [153/0171]
I. Prinzip d. ſubj. Willens — Selbſthülfe des ſpätern Rechts. §. 12.
Zu der ſolennen und formloſen Gewalt kömmt endlich noch
eine ſymboliſche, nämlich der Scheinkampf im Eigenthums-
prozeß.
Der zur Bezeichnung deſſelben dienende Name vindicatio,
ſo wie die dabei vorkommende vindicta, jener unvermeidliche
hier in einen Stab verwandelte Speer, zeigen, daß es ſich hier
um ein vim dicere d. h. nicht ein „Anſagen“, ſondern ein „Er-
ſcheinen laſſen“ 69) von Gewalt handelte; der Akt wird auch mit
dem Ausdruck manum conserere, handgemein werden, bezeich-
net. Man hat in dieſer Aufnahme der Gewalt in den Prozeß
die Idee ausgeſprochen finden wollen, daß die Gewalt dem Recht
weichen müſſe, aber man könnte wohl mit mehr Recht ſagen:
die Selbſthülfe erſcheint den Römern als etwas ſo natürliches
und ſo wenig unrechtes, daß ſie dieſelbe ſelbſt im Prozeß nicht
entbehren können. Jener Scheinkampf enthält weniger eine
Verurtheilung der Selbſthülfe, als umgekehrt einen Beleg da-
für, wie tief dieſelbe in der Volksanſicht gewurzelt war. Wie
in der mancipatio nach unſerer Ausführung im §. 10 die Ge-
walt als die urſprüngliche Quelle des Eigenthums erſcheint,
ſo in der vindicatio als das urſprüngliche Schutzmittel deſſelben.
Indem wir jetzt die Selbſthülfe verlaſſen, um uns
2. dem römiſchen Prozeß zuzuwenden, begleitet uns daſſelbe
Prinzip des ſubjektiven Willens, das wir dort in ſeinem unmittel-
barſten Ausdruck kennen lernten, auch fernerhin; die Form iſt
eine andere, die Sache dieſelbe. Wir mußten bereits im bisheri-
gen den Geſichtspunkt andeuten, den wir jetzt durchführen wollen,
nämlich daß der Richter des ältern römiſchen Rechts 70) nichts
69) Die Wurzel die bedeutet im Lateiniſchen wie im Sanskrit und Grie-
chiſchen (δείκνυμι) zeigen z. B. dicis causa, digitus, indicare; dicere
ſagen iſt = zeigen mit Worten. Vindicare aus vim dicere heißt alſo Ge-
walt zeigen. S. Pott a. a. O. B. 1 S. 266 und Ottfried Müller im Rhein.
Muſeum für Jurisprudenz B. V S. 190 flg.
70) Daß der Prätor nicht ſelbſt die Sache entſchied, ſondern den Par-
theien einen Richter beſtellte, war zur Zeit der Republik der gewöhnliche Mo-
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