Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.Erstes Buch -- Ausgangspunkte des röm. Rechts. der actio furti gegen jeden, der Sachen aus diesem Vermögenentwandt hat; im ältesten Recht ersetzte die Gentilitätsverbin- dung diesen Mangel. Hierher gehört ferner der Fall, wenn ein Gentile unrechtmäßigerweise in Rom selbst in Haft gehalten wurde, sei es als angeblicher Sklave oder wegen behaupteter Schuld. Trat hier nicht aus eignem Antriebe Jemand als vin- dex libertatis auf, so war es Sache der Gens, für die Bestel- lung eines solchen Sorge zu tragen. Sie verfolgt damit nicht bloß ihr eignes Interesse, sondern erfüllt zugleich eine ihr oblie- gende Pflicht. Derselbe Gesichtspunkt wird, wenn eins ihrer Mitglieder erschlagen, und kein näherer Verwandter vorhanden oder fähig war, ihn zu rächen, ihr das Rächeramt übertragen haben. Noch in späterer Zeit wird es den Verwandten zur Pflicht gemacht, in rechtlichem Wege den Mörder zu verfolgen; was aber in späterer Zeit in Form der Klage bewirkt wird, geschah ursprünglich in Form der Selbsthülfe. In einer Einrichtung, die auf ein angebliches Gesetz des Numa zurückgeführt ward, läßt sich noch eine Spur der alten Blutrache erkennen. 82) Wenn Jemand einen andern aus Versehn getödtet hatte, so mußte er den Verwandten desselben einen Widder stellen; es war der Sündenbock, an dem sie statt seiner die Todesstrafe vollzogen. 83) Das vergossene Blut forderte wieder Blut; hatten die Ver- wandten im Fall des unvorsätzlichen Todtschlages diese For- derung geltend zu machen, so galt das um so eher im Fall des Mordes. 82) Serv. ad Virg. Eclog. IV. 43. In legibus Numae cautum est, ut si quis imprudens occidisset hominem pro capite occisi agnatis (nach der glücklichen Conjektur von Huschke statt des handschriftlichen et natis) ejus in concione offerret arietem. 83) Fest. Subigere arietem in eodem libro Antistius esse ait dare
arietem, qui pro se agatur, caedatur. Ueber den Zweck des Opfers laufen die Ansichten freilich sehr auseinander. S. Rein das röm. Kriminalrecht S. 403. Die im Text vorgetragene ist die von Platner Quaest. de jure crimin. p. 37. Erſtes Buch — Ausgangspunkte des röm. Rechts. der actio furti gegen jeden, der Sachen aus dieſem Vermögenentwandt hat; im älteſten Recht erſetzte die Gentilitätsverbin- dung dieſen Mangel. Hierher gehört ferner der Fall, wenn ein Gentile unrechtmäßigerweiſe in Rom ſelbſt in Haft gehalten wurde, ſei es als angeblicher Sklave oder wegen behaupteter Schuld. Trat hier nicht aus eignem Antriebe Jemand als vin- dex libertatis auf, ſo war es Sache der Gens, für die Beſtel- lung eines ſolchen Sorge zu tragen. Sie verfolgt damit nicht bloß ihr eignes Intereſſe, ſondern erfüllt zugleich eine ihr oblie- gende Pflicht. Derſelbe Geſichtspunkt wird, wenn eins ihrer Mitglieder erſchlagen, und kein näherer Verwandter vorhanden oder fähig war, ihn zu rächen, ihr das Rächeramt übertragen haben. Noch in ſpäterer Zeit wird es den Verwandten zur Pflicht gemacht, in rechtlichem Wege den Mörder zu verfolgen; was aber in ſpäterer Zeit in Form der Klage bewirkt wird, geſchah urſprünglich in Form der Selbſthülfe. In einer Einrichtung, die auf ein angebliches Geſetz des Numa zurückgeführt ward, läßt ſich noch eine Spur der alten Blutrache erkennen. 82) Wenn Jemand einen andern aus Verſehn getödtet hatte, ſo mußte er den Verwandten deſſelben einen Widder ſtellen; es war der Sündenbock, an dem ſie ſtatt ſeiner die Todesſtrafe vollzogen. 83) Das vergoſſene Blut forderte wieder Blut; hatten die Ver- wandten im Fall des unvorſätzlichen Todtſchlages dieſe For- derung geltend zu machen, ſo galt das um ſo eher im Fall des Mordes. 82) Serv. ad Virg. Eclog. IV. 43. In legibus Numae cautum est, ut si quis imprudens occidisset hominem pro capite occisi agnatis (nach der glücklichen Conjektur von Huſchke ſtatt des handſchriftlichen et natis) ejus in concione offerret arietem. 83) Fest. Subigere arietem in eodem libro Antistius esse ait dare
arietem, qui pro se agatur, caedatur. Ueber den Zweck des Opfers laufen die Anſichten freilich ſehr auseinander. S. Rein das röm. Kriminalrecht S. 403. Die im Text vorgetragene iſt die von Platner Quaest. de jure crimin. p. 37. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p><pb facs="#f0190" n="172"/><fw place="top" type="header">Erſtes Buch — Ausgangspunkte des röm. Rechts.</fw><lb/> der <hi rendition="#aq">actio furti</hi> gegen jeden, der Sachen aus dieſem Vermögen<lb/> entwandt hat; im älteſten Recht erſetzte die Gentilitätsverbin-<lb/> dung dieſen Mangel. Hierher gehört ferner der Fall, wenn ein<lb/> Gentile unrechtmäßigerweiſe in Rom ſelbſt in Haft gehalten<lb/> wurde, ſei es als angeblicher Sklave oder wegen behaupteter<lb/> Schuld. Trat hier nicht aus eignem Antriebe Jemand als <hi rendition="#aq">vin-<lb/> dex libertatis</hi> auf, ſo war es Sache der Gens, für die Beſtel-<lb/> lung eines ſolchen Sorge zu tragen. Sie verfolgt damit nicht<lb/> bloß ihr eignes Intereſſe, ſondern erfüllt zugleich eine ihr oblie-<lb/> gende Pflicht. Derſelbe Geſichtspunkt wird, wenn eins ihrer<lb/> Mitglieder erſchlagen, und kein näherer Verwandter vorhanden<lb/> oder fähig war, ihn zu rächen, ihr das Rächeramt übertragen<lb/> haben. Noch in ſpäterer Zeit wird es den Verwandten zur Pflicht<lb/> gemacht, in rechtlichem Wege den Mörder zu verfolgen; was<lb/> aber in ſpäterer Zeit in Form der Klage bewirkt wird, geſchah<lb/> urſprünglich in Form der Selbſthülfe. In einer Einrichtung,<lb/> die auf ein angebliches Geſetz des Numa zurückgeführt ward,<lb/> läßt ſich noch eine Spur der alten Blutrache erkennen. <note place="foot" n="82)"><hi rendition="#aq">Serv. ad Virg. Eclog. IV. 43. In legibus Numae cautum est,<lb/> ut si quis imprudens occidisset hominem pro capite occisi agnatis</hi> (nach<lb/> der glücklichen Conjektur von Huſchke ſtatt des handſchriftlichen <hi rendition="#aq">et natis</hi>) <hi rendition="#aq">ejus<lb/> in concione offerret arietem</hi>.</note> Wenn<lb/> Jemand einen andern aus <hi rendition="#g">Verſehn</hi> getödtet hatte, ſo mußte<lb/> er den Verwandten deſſelben einen Widder ſtellen; es war der<lb/> Sündenbock, an dem ſie ſtatt ſeiner die Todesſtrafe vollzogen. <note place="foot" n="83)"><hi rendition="#aq">Fest. Subigere arietem in eodem libro Antistius esse ait dare<lb/> arietem, qui pro se agatur, caedatur</hi>. Ueber den Zweck des Opfers laufen<lb/> die Anſichten freilich ſehr auseinander. S. Rein das röm. Kriminalrecht<lb/> S. 403. Die im Text vorgetragene iſt die von <hi rendition="#aq">Platner Quaest. de jure<lb/> crimin. p.</hi> 37.</note><lb/> Das vergoſſene Blut forderte wieder Blut; hatten die <hi rendition="#g">Ver-<lb/> wandten</hi> im Fall des unvorſätzlichen Todtſchlages dieſe For-<lb/> derung geltend zu machen, ſo galt das um ſo eher im Fall des<lb/> Mordes.</p><lb/> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [172/0190]
Erſtes Buch — Ausgangspunkte des röm. Rechts.
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entwandt hat; im älteſten Recht erſetzte die Gentilitätsverbin-
dung dieſen Mangel. Hierher gehört ferner der Fall, wenn ein
Gentile unrechtmäßigerweiſe in Rom ſelbſt in Haft gehalten
wurde, ſei es als angeblicher Sklave oder wegen behaupteter
Schuld. Trat hier nicht aus eignem Antriebe Jemand als vin-
dex libertatis auf, ſo war es Sache der Gens, für die Beſtel-
lung eines ſolchen Sorge zu tragen. Sie verfolgt damit nicht
bloß ihr eignes Intereſſe, ſondern erfüllt zugleich eine ihr oblie-
gende Pflicht. Derſelbe Geſichtspunkt wird, wenn eins ihrer
Mitglieder erſchlagen, und kein näherer Verwandter vorhanden
oder fähig war, ihn zu rächen, ihr das Rächeramt übertragen
haben. Noch in ſpäterer Zeit wird es den Verwandten zur Pflicht
gemacht, in rechtlichem Wege den Mörder zu verfolgen; was
aber in ſpäterer Zeit in Form der Klage bewirkt wird, geſchah
urſprünglich in Form der Selbſthülfe. In einer Einrichtung,
die auf ein angebliches Geſetz des Numa zurückgeführt ward,
läßt ſich noch eine Spur der alten Blutrache erkennen. 82) Wenn
Jemand einen andern aus Verſehn getödtet hatte, ſo mußte
er den Verwandten deſſelben einen Widder ſtellen; es war der
Sündenbock, an dem ſie ſtatt ſeiner die Todesſtrafe vollzogen. 83)
Das vergoſſene Blut forderte wieder Blut; hatten die Ver-
wandten im Fall des unvorſätzlichen Todtſchlages dieſe For-
derung geltend zu machen, ſo galt das um ſo eher im Fall des
Mordes.
82) Serv. ad Virg. Eclog. IV. 43. In legibus Numae cautum est,
ut si quis imprudens occidisset hominem pro capite occisi agnatis (nach
der glücklichen Conjektur von Huſchke ſtatt des handſchriftlichen et natis) ejus
in concione offerret arietem.
83) Fest. Subigere arietem in eodem libro Antistius esse ait dare
arietem, qui pro se agatur, caedatur. Ueber den Zweck des Opfers laufen
die Anſichten freilich ſehr auseinander. S. Rein das röm. Kriminalrecht
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