Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.Erstes Buch -- Ausgangspunkte des röm. Rechts. derselben Idee, wie bei ihr, nämlich daß die Gemeinschaft keinRecht habe, den Einzelnen wegen seiner Unwürdigkeit zu strafen, wohl aber sich von ihm loszusagen. Diese charakteristische Eigenthümlichkeit der censorinischen Dem bisherigen nach wird es keinem Bedenken unterliegen, 86) Es wird auch der Spruch der Gens gerade wie der des Censors
nota genannt. Liv. VI. 20 gentilicia nota adjecta. Erſtes Buch — Ausgangspunkte des röm. Rechts. derſelben Idee, wie bei ihr, nämlich daß die Gemeinſchaft keinRecht habe, den Einzelnen wegen ſeiner Unwürdigkeit zu ſtrafen, wohl aber ſich von ihm loszuſagen. Dieſe charakteriſtiſche Eigenthümlichkeit der cenſoriniſchen Dem bisherigen nach wird es keinem Bedenken unterliegen, 86) Es wird auch der Spruch der Gens gerade wie der des Cenſors
nota genannt. Liv. VI. 20 gentilicia nota adjecta. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p><pb facs="#f0196" n="178"/><fw place="top" type="header">Erſtes Buch — Ausgangspunkte des röm. Rechts.</fw><lb/> derſelben Idee, wie bei ihr, nämlich daß die Gemeinſchaft kein<lb/> Recht habe, den Einzelnen wegen ſeiner <hi rendition="#g">Unwürdigkeit</hi> zu<lb/> ſtrafen, wohl aber ſich von ihm loszuſagen.</p><lb/> <p>Dieſe charakteriſtiſche Eigenthümlichkeit der cenſoriniſchen<lb/> Strafen möge noch als Argument für meine Anſicht aufgeführt<lb/> werden. <note place="foot" n="86)">Es wird auch der Spruch der Gens gerade wie der des Cenſors<lb/><hi rendition="#aq">nota</hi> genannt. <hi rendition="#aq">Liv. VI. 20 gentilicia nota adjecta.</hi></note> Der wahre, innere Grund derſelben aber liegt darin,<lb/> daß die römiſche Sittenpolizei ein <hi rendition="#g">Ausfluß des Familien-<lb/> prinzips</hi> iſt, in dem Maße, daß die Handhabung derſelben<lb/> von Seiten des Cenſors nicht bloß berechtigt, auf eine frühere<lb/> Ausübung derſelben durch die Gens zurückzuſchließen, ſondern<lb/> ſelbſt erſt vermittelſt dieſer Anknüpfung an die Familie verſtänd-<lb/> lich wird. Jene Gewalt des Cenſors konnte nur dadurch gedei-<lb/> hen, daß ſie ein Pfropfreis von der der Gens war; auf dem<lb/> Boden der Gentilverfaſſung hatte ſie ſich erſt bilden und entwickeln<lb/> müſſen, um ſodann auch außerhalb deſſelben fortzukommen.</p><lb/> <p>Dem bisherigen nach wird es keinem Bedenken unterliegen,<lb/> dieſer Sittenpolizei in ihrer urſprünglichen Geſtalt mindeſtens<lb/> denſelben Umfang zuzuweiſen, den ſie ſpäter in den Händen des<lb/> Cenſors hat. Es iſt aber bekannt, daß der Cenſor nicht bloß<lb/> wegen grauſamer, unehrenhafter, unſittlicher Handlungen zur<lb/> Verantwortung zog, ſondern auch wegen verkehrter oder leicht-<lb/> ſinniger ökonomiſcher Lebensweiſe. Sein Einſchreiten läßt ſich<lb/> auf den Geſichtspunkt zurückführen, daß es Statt fand, wo<lb/> Jemand der ſtillſchweigenden Vorausſetzung, unter der das<lb/> Recht ihm eine unbeſchränkte Freiheit zugeſtanden hatte, näm-<lb/> lich der eines würdigen, verſtändigen Gebrauchs nicht entſpro-<lb/> chen; es gewährte das außerhalb des Privatrechts liegende Tem-<lb/> perament und Gegengewicht jener extremen Freiheit. So dürfen<lb/> wir der gleichen Gewalt der Gens dieſelbe Bedeutung für die<lb/> älteſte Zeit beilegen. Sie vermittelt das Prinzip des ſubjektiven<lb/> Willens, das als ſolches kein höheres ſittliches Motiv enthält,<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [178/0196]
Erſtes Buch — Ausgangspunkte des röm. Rechts.
derſelben Idee, wie bei ihr, nämlich daß die Gemeinſchaft kein
Recht habe, den Einzelnen wegen ſeiner Unwürdigkeit zu
ſtrafen, wohl aber ſich von ihm loszuſagen.
Dieſe charakteriſtiſche Eigenthümlichkeit der cenſoriniſchen
Strafen möge noch als Argument für meine Anſicht aufgeführt
werden. 86) Der wahre, innere Grund derſelben aber liegt darin,
daß die römiſche Sittenpolizei ein Ausfluß des Familien-
prinzips iſt, in dem Maße, daß die Handhabung derſelben
von Seiten des Cenſors nicht bloß berechtigt, auf eine frühere
Ausübung derſelben durch die Gens zurückzuſchließen, ſondern
ſelbſt erſt vermittelſt dieſer Anknüpfung an die Familie verſtänd-
lich wird. Jene Gewalt des Cenſors konnte nur dadurch gedei-
hen, daß ſie ein Pfropfreis von der der Gens war; auf dem
Boden der Gentilverfaſſung hatte ſie ſich erſt bilden und entwickeln
müſſen, um ſodann auch außerhalb deſſelben fortzukommen.
Dem bisherigen nach wird es keinem Bedenken unterliegen,
dieſer Sittenpolizei in ihrer urſprünglichen Geſtalt mindeſtens
denſelben Umfang zuzuweiſen, den ſie ſpäter in den Händen des
Cenſors hat. Es iſt aber bekannt, daß der Cenſor nicht bloß
wegen grauſamer, unehrenhafter, unſittlicher Handlungen zur
Verantwortung zog, ſondern auch wegen verkehrter oder leicht-
ſinniger ökonomiſcher Lebensweiſe. Sein Einſchreiten läßt ſich
auf den Geſichtspunkt zurückführen, daß es Statt fand, wo
Jemand der ſtillſchweigenden Vorausſetzung, unter der das
Recht ihm eine unbeſchränkte Freiheit zugeſtanden hatte, näm-
lich der eines würdigen, verſtändigen Gebrauchs nicht entſpro-
chen; es gewährte das außerhalb des Privatrechts liegende Tem-
perament und Gegengewicht jener extremen Freiheit. So dürfen
wir der gleichen Gewalt der Gens dieſelbe Bedeutung für die
älteſte Zeit beilegen. Sie vermittelt das Prinzip des ſubjektiven
Willens, das als ſolches kein höheres ſittliches Motiv enthält,
86) Es wird auch der Spruch der Gens gerade wie der des Cenſors
nota genannt. Liv. VI. 20 gentilicia nota adjecta.
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