Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.Erstes Buch -- Ausgangspunkte des röm. Rechts. Durch sittenpolizeiliche Gewalt der Corporation über ihre Mit-glieder kann dies letzte Gut nicht geschaffen, wohl aber erhalten und gefördert werden, und jene Einfachheit und Reinheit pa- tricischer Sitte, die selbst der Parteihaß der Plebejer nicht in Abrede zu stellen wagte, 88) und die begreiflicherweise die poli- tische Position der Patricier außerordentlich verstärken mußte, sie kömmt vor allem mit auf Rechnung jener gentilitischen Sitten- polizei. Der praktische Instinkt der Römer hatte von vornherein erkannt, daß die Freiheit, um Macht zu sein, sich selbst Schran- ken auflegen muß, und jener wilde Sinn, aus dem das Prin- zip des subjektiven Willens hervorging, nahm keinen Anstoß daran, daß dies Prinzip dem Erfolge nach Beschränkungen unterworfen ward, die selbst unserm siechen Persönlichkeitsge- fühl als unerträgliche Bevormundung erscheinen würden. Der wesentliche Unterschied liegt freilich darin, daß diese Beschrän- kungen in Rom das Werk des eignen Willens waren, den gern gezahlten Preis enthielten, um den man ein Gut er- kaufte, das in diesem Prinzip selbst nicht lag, nämlich Schutz, Hülfe und Unterstützung von Seiten der Genossen. Fassen wir jetzt die übrigen Beschränkungen ins Auge, die die 88) "Niemals wird ihnen von den Plebejern Mangel an sanctitas und
castitas vorgeworfen." Rubino Untersuchungen über röm. Verf. u. Gesch. B. 1 S. 230 Anm. 3, der auch das Zeugniß von Cicero de republ. II. 34 anführt: quum honore longe antecellerent ceteris, voluptatibus erant inferiores. Erſtes Buch — Ausgangspunkte des röm. Rechts. Durch ſittenpolizeiliche Gewalt der Corporation über ihre Mit-glieder kann dies letzte Gut nicht geſchaffen, wohl aber erhalten und gefördert werden, und jene Einfachheit und Reinheit pa- triciſcher Sitte, die ſelbſt der Parteihaß der Plebejer nicht in Abrede zu ſtellen wagte, 88) und die begreiflicherweiſe die poli- tiſche Poſition der Patricier außerordentlich verſtärken mußte, ſie kömmt vor allem mit auf Rechnung jener gentilitiſchen Sitten- polizei. Der praktiſche Inſtinkt der Römer hatte von vornherein erkannt, daß die Freiheit, um Macht zu ſein, ſich ſelbſt Schran- ken auflegen muß, und jener wilde Sinn, aus dem das Prin- zip des ſubjektiven Willens hervorging, nahm keinen Anſtoß daran, daß dies Prinzip dem Erfolge nach Beſchränkungen unterworfen ward, die ſelbſt unſerm ſiechen Perſönlichkeitsge- fühl als unerträgliche Bevormundung erſcheinen würden. Der weſentliche Unterſchied liegt freilich darin, daß dieſe Beſchrän- kungen in Rom das Werk des eignen Willens waren, den gern gezahlten Preis enthielten, um den man ein Gut er- kaufte, das in dieſem Prinzip ſelbſt nicht lag, nämlich Schutz, Hülfe und Unterſtützung von Seiten der Genoſſen. Faſſen wir jetzt die übrigen Beſchränkungen ins Auge, die die 88) „Niemals wird ihnen von den Plebejern Mangel an sanctitas und
castitas vorgeworfen.“ Rubino Unterſuchungen über röm. Verf. u. Geſch. B. 1 S. 230 Anm. 3, der auch das Zeugniß von Cicero de republ. II. 34 anführt: quum honore longe antecellerent ceteris, voluptatibus erant inferiores. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p><pb facs="#f0198" n="180"/><fw place="top" type="header">Erſtes Buch — Ausgangspunkte des röm. Rechts.</fw><lb/> Durch ſittenpolizeiliche Gewalt der Corporation über ihre Mit-<lb/> glieder kann dies letzte Gut nicht geſchaffen, wohl aber erhalten<lb/> und gefördert werden, und jene Einfachheit und Reinheit pa-<lb/> triciſcher Sitte, die ſelbſt der Parteihaß der Plebejer nicht in<lb/> Abrede zu ſtellen wagte, <note place="foot" n="88)">„Niemals wird ihnen von den Plebejern Mangel an <hi rendition="#aq">sanctitas</hi> und<lb/><hi rendition="#aq">castitas</hi> vorgeworfen.“ Rubino Unterſuchungen über röm. Verf. u. Geſch.<lb/> B. 1 S. 230 Anm. 3, der auch das Zeugniß von <hi rendition="#aq">Cicero de republ. II.</hi> 34<lb/> anführt: <hi rendition="#aq">quum honore longe antecellerent ceteris, voluptatibus erant<lb/> inferiores.</hi></note> und die begreiflicherweiſe die poli-<lb/> tiſche Poſition der Patricier außerordentlich verſtärken mußte, ſie<lb/> kömmt vor allem mit auf Rechnung jener gentilitiſchen Sitten-<lb/> polizei. Der praktiſche Inſtinkt der Römer hatte von vornherein<lb/> erkannt, daß die Freiheit, um <hi rendition="#g">Macht</hi> zu ſein, ſich ſelbſt Schran-<lb/> ken auflegen muß, und jener wilde Sinn, aus dem das Prin-<lb/> zip des ſubjektiven Willens hervorging, nahm keinen Anſtoß<lb/> daran, daß dies Prinzip dem Erfolge nach Beſchränkungen<lb/> unterworfen ward, die ſelbſt unſerm ſiechen Perſönlichkeitsge-<lb/> fühl als unerträgliche Bevormundung erſcheinen würden. Der<lb/> weſentliche Unterſchied liegt freilich darin, daß dieſe Beſchrän-<lb/> kungen in Rom das <hi rendition="#g">Werk des eignen Willens</hi> waren,<lb/> den gern gezahlten Preis enthielten, um den man ein Gut er-<lb/> kaufte, das in dieſem Prinzip ſelbſt nicht lag, nämlich Schutz,<lb/> Hülfe und Unterſtützung von Seiten der Genoſſen.</p><lb/> <p>Faſſen wir jetzt die übrigen Beſchränkungen ins Auge, die die<lb/> Gentilverfaſſung nach ſich zog. Von dem in derſelben liegenden<lb/> Autonomierecht der Gens braucht weiter nichts geſagt zu wer-<lb/> den, als daß auch hier die bindende Kraft ihrer Beſchlüſſe ſich<lb/> auf vertragsmäßige gegenſeitige Verpflichtung der einzelnen Mit-<lb/> glieder zurückführen läßt. — Der <hi rendition="#g">Wirkung</hi> nach kommen dieſe<lb/> Beſchlüſſe Geſetzen gleich, der Form nach ſind ſie Verabredungen<lb/> der einzelnen Gentilen. Auch das Geſetz knüpft in Rom an den<lb/> Geſichtspunkt des Vertrages ſämmtlicher Einzelnen d. h. an<lb/> unſer Prinzip des ſubjektiven Willens an, und wir werden im<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [180/0198]
Erſtes Buch — Ausgangspunkte des röm. Rechts.
Durch ſittenpolizeiliche Gewalt der Corporation über ihre Mit-
glieder kann dies letzte Gut nicht geſchaffen, wohl aber erhalten
und gefördert werden, und jene Einfachheit und Reinheit pa-
triciſcher Sitte, die ſelbſt der Parteihaß der Plebejer nicht in
Abrede zu ſtellen wagte, 88) und die begreiflicherweiſe die poli-
tiſche Poſition der Patricier außerordentlich verſtärken mußte, ſie
kömmt vor allem mit auf Rechnung jener gentilitiſchen Sitten-
polizei. Der praktiſche Inſtinkt der Römer hatte von vornherein
erkannt, daß die Freiheit, um Macht zu ſein, ſich ſelbſt Schran-
ken auflegen muß, und jener wilde Sinn, aus dem das Prin-
zip des ſubjektiven Willens hervorging, nahm keinen Anſtoß
daran, daß dies Prinzip dem Erfolge nach Beſchränkungen
unterworfen ward, die ſelbſt unſerm ſiechen Perſönlichkeitsge-
fühl als unerträgliche Bevormundung erſcheinen würden. Der
weſentliche Unterſchied liegt freilich darin, daß dieſe Beſchrän-
kungen in Rom das Werk des eignen Willens waren,
den gern gezahlten Preis enthielten, um den man ein Gut er-
kaufte, das in dieſem Prinzip ſelbſt nicht lag, nämlich Schutz,
Hülfe und Unterſtützung von Seiten der Genoſſen.
Faſſen wir jetzt die übrigen Beſchränkungen ins Auge, die die
Gentilverfaſſung nach ſich zog. Von dem in derſelben liegenden
Autonomierecht der Gens braucht weiter nichts geſagt zu wer-
den, als daß auch hier die bindende Kraft ihrer Beſchlüſſe ſich
auf vertragsmäßige gegenſeitige Verpflichtung der einzelnen Mit-
glieder zurückführen läßt. — Der Wirkung nach kommen dieſe
Beſchlüſſe Geſetzen gleich, der Form nach ſind ſie Verabredungen
der einzelnen Gentilen. Auch das Geſetz knüpft in Rom an den
Geſichtspunkt des Vertrages ſämmtlicher Einzelnen d. h. an
unſer Prinzip des ſubjektiven Willens an, und wir werden im
88) „Niemals wird ihnen von den Plebejern Mangel an sanctitas und
castitas vorgeworfen.“ Rubino Unterſuchungen über röm. Verf. u. Geſch.
B. 1 S. 230 Anm. 3, der auch das Zeugniß von Cicero de republ. II. 34
anführt: quum honore longe antecellerent ceteris, voluptatibus erant
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