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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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2. Der Staat -- 1. Familienprinzip. Einfluß auf die Ehe. §. 14.
folgenden Paragraphen den Versuch machen, die gesetzgebende
Gewalt des Gesammtstaats ebensowohl unter diesen Gesichts-
punkt zu bringen, wie hier die der Gens.

Die Beschränkungen, die wir jetzt noch kennen zu lernen ha-
ben, beziehen sich auf das ältere Familien- und Vermögens-
recht. Wir dürfen dabei auch diejenigen berücksichtigen, die,
ohne gerade im Interesse der Gens eingeführt zu sein, sich doch
als Consequenzen oder Ausflüsse des Familienprinzips darstel-
len. Als solche erscheinen uns namentlich die hinsichtlich der
Ehe Statt findenden. Im spätern römischen Recht ist die Ehe
ein sehr profanes und hinsichtlich ihrer Dauer ganz in das
Belieben der Gatten gestelltes Verhältniß. Im ältern Staat,
der ganz auf das Familienprinzip gebaut war, ward sie mit be-
sonderm Ernst behandelt. Die Eingehung war ein religiöser
Akt, und die Auflösung derselben nur in sehr wenig Fällen und
nur unter Mitwirkung der Priester möglich. Zehn Zeugen nah-
men bei beiden Akten Theil; sie vertraten entweder die zehn
Gentes der Curie oder die zehn Curien der Tribus, zu der der
Mann gehörte. In ihrer Zuziehung liegt der Gedanke ausge-
sprochen, daß die Ehe des Einzelnen für den ganzen Stamm
Bedeutung und Interesse hat, ein öffentliches Ereigniß ist. Viel-
leicht hatte diese Form auch den praktischen Zweck, die juristische
Möglichkeit der Ehe zu constatiren. Diese juristische Möglichkeit
war vor allem bedingt durch das connubium. Letzteres ist nicht zu
verwechseln mit einem Eheverbot. Das römische Recht erlaubte
sich nicht 89) den Eingriff in die private Rechtssphäre, Verbin-
dungen mit Personen, denen das connubium fehlte, zu unter-
sagen
; sondern es beschränkte sich darauf, diesen Verbindungen
den Charakter einer römischen Ehe abzusprechen d. h. auf
Frau und Kinder fand das römische Familienrecht keine Anwen-

89) Wie z. B. das Recht orientalischer Völker. Selbst bei den Sachsen
soll Ehe zwischen Nicht-Standesgenossen bei Todesstrafe verboten gewesen
sein. S. Waitz deutsche Verfassungsgesch. B. 1 S. 84 Anm. 2.

2. Der Staat — 1. Familienprinzip. Einfluß auf die Ehe. §. 14.
folgenden Paragraphen den Verſuch machen, die geſetzgebende
Gewalt des Geſammtſtaats ebenſowohl unter dieſen Geſichts-
punkt zu bringen, wie hier die der Gens.

Die Beſchränkungen, die wir jetzt noch kennen zu lernen ha-
ben, beziehen ſich auf das ältere Familien- und Vermögens-
recht. Wir dürfen dabei auch diejenigen berückſichtigen, die,
ohne gerade im Intereſſe der Gens eingeführt zu ſein, ſich doch
als Conſequenzen oder Ausflüſſe des Familienprinzips darſtel-
len. Als ſolche erſcheinen uns namentlich die hinſichtlich der
Ehe Statt findenden. Im ſpätern römiſchen Recht iſt die Ehe
ein ſehr profanes und hinſichtlich ihrer Dauer ganz in das
Belieben der Gatten geſtelltes Verhältniß. Im ältern Staat,
der ganz auf das Familienprinzip gebaut war, ward ſie mit be-
ſonderm Ernſt behandelt. Die Eingehung war ein religiöſer
Akt, und die Auflöſung derſelben nur in ſehr wenig Fällen und
nur unter Mitwirkung der Prieſter möglich. Zehn Zeugen nah-
men bei beiden Akten Theil; ſie vertraten entweder die zehn
Gentes der Curie oder die zehn Curien der Tribus, zu der der
Mann gehörte. In ihrer Zuziehung liegt der Gedanke ausge-
ſprochen, daß die Ehe des Einzelnen für den ganzen Stamm
Bedeutung und Intereſſe hat, ein öffentliches Ereigniß iſt. Viel-
leicht hatte dieſe Form auch den praktiſchen Zweck, die juriſtiſche
Möglichkeit der Ehe zu conſtatiren. Dieſe juriſtiſche Möglichkeit
war vor allem bedingt durch das connubium. Letzteres iſt nicht zu
verwechſeln mit einem Eheverbot. Das römiſche Recht erlaubte
ſich nicht 89) den Eingriff in die private Rechtsſphäre, Verbin-
dungen mit Perſonen, denen das connubium fehlte, zu unter-
ſagen
; ſondern es beſchränkte ſich darauf, dieſen Verbindungen
den Charakter einer römiſchen Ehe abzuſprechen d. h. auf
Frau und Kinder fand das römiſche Familienrecht keine Anwen-

89) Wie z. B. das Recht orientaliſcher Völker. Selbſt bei den Sachſen
ſoll Ehe zwiſchen Nicht-Standesgenoſſen bei Todesſtrafe verboten geweſen
ſein. S. Waitz deutſche Verfaſſungsgeſch. B. 1 S. 84 Anm. 2.
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[181/0199] 2. Der Staat — 1. Familienprinzip. Einfluß auf die Ehe. §. 14. folgenden Paragraphen den Verſuch machen, die geſetzgebende Gewalt des Geſammtſtaats ebenſowohl unter dieſen Geſichts- punkt zu bringen, wie hier die der Gens. Die Beſchränkungen, die wir jetzt noch kennen zu lernen ha- ben, beziehen ſich auf das ältere Familien- und Vermögens- recht. Wir dürfen dabei auch diejenigen berückſichtigen, die, ohne gerade im Intereſſe der Gens eingeführt zu ſein, ſich doch als Conſequenzen oder Ausflüſſe des Familienprinzips darſtel- len. Als ſolche erſcheinen uns namentlich die hinſichtlich der Ehe Statt findenden. Im ſpätern römiſchen Recht iſt die Ehe ein ſehr profanes und hinſichtlich ihrer Dauer ganz in das Belieben der Gatten geſtelltes Verhältniß. Im ältern Staat, der ganz auf das Familienprinzip gebaut war, ward ſie mit be- ſonderm Ernſt behandelt. Die Eingehung war ein religiöſer Akt, und die Auflöſung derſelben nur in ſehr wenig Fällen und nur unter Mitwirkung der Prieſter möglich. Zehn Zeugen nah- men bei beiden Akten Theil; ſie vertraten entweder die zehn Gentes der Curie oder die zehn Curien der Tribus, zu der der Mann gehörte. In ihrer Zuziehung liegt der Gedanke ausge- ſprochen, daß die Ehe des Einzelnen für den ganzen Stamm Bedeutung und Intereſſe hat, ein öffentliches Ereigniß iſt. Viel- leicht hatte dieſe Form auch den praktiſchen Zweck, die juriſtiſche Möglichkeit der Ehe zu conſtatiren. Dieſe juriſtiſche Möglichkeit war vor allem bedingt durch das connubium. Letzteres iſt nicht zu verwechſeln mit einem Eheverbot. Das römiſche Recht erlaubte ſich nicht 89) den Eingriff in die private Rechtsſphäre, Verbin- dungen mit Perſonen, denen das connubium fehlte, zu unter- ſagen; ſondern es beſchränkte ſich darauf, dieſen Verbindungen den Charakter einer römiſchen Ehe abzuſprechen d. h. auf Frau und Kinder fand das römiſche Familienrecht keine Anwen- 89) Wie z. B. das Recht orientaliſcher Völker. Selbſt bei den Sachſen ſoll Ehe zwiſchen Nicht-Standesgenoſſen bei Todesſtrafe verboten geweſen ſein. S. Waitz deutſche Verfaſſungsgeſch. B. 1 S. 84 Anm. 2.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/199>, abgerufen am 23.11.2024.