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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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Erstes Buch -- Ausgangspunkte des röm. Rechts.
auch nicht eine einzige Reminiscenz davon übrig geblieben?
Und dies soll beim Grundeigenthum und noch dazu während
der Dauer des Geschlechterstaats geschehen sein? -- zwei Ver-
hältnissen, an denen sich jene bekannte conservative Kraft der
römischen Rechtsideen im verdoppelten und vervierfachten Maße
hätte bewähren müssen? Dies hätte ferner durch die Plebejer ge-
schehen sollen, sie, die damals noch in einer sehr bescheidenen
und gedrückten Stellung lebten, sie, die nach jener Annahme
Privateigenthum an Grund und Boden kannten und gar kein
Interesse daran hatten, den Patriciern dasselbe aufzuzwingen?

Die ganze Ansicht enthält eine Häufung von Undenkbarkei-
ten und einen Verstoß gegen den sonstigen Charakter der rö-
mischen Rechtsbildung, indem sie ihr zumuthet, daß sie ihre
gewohnte Langsamkeit, Gleichmäßigkeit und Entwicklung von
innen heraus dies eine Mal völlig hätte verläugnen, an sich
selbst hätte untreu werden sollen. Eine der fundamentalsten
Einrichtungen des römischen Staats hätte in der ersten Hälfte
der Königszeit noch in Blüthe stehen und bereits in der zweiten
Hälfte in ihr gerades Gegentheil umschlagen müssen. Und diese
colossale Revolution des ganzen Rechtszustandes -- denn in
ihren Folgen war sie das -- wird nur motivirt durch den Sieg
eines angeblich von vornherein völlig entgegengesetzten Prin-
zips; nicht durch inneres Bedürfniß, nicht durch Entwicklung
von innen heraus, sondern durch die Macht des plebejischen
Beispiels und durch äußeres Hineintragen eines an sich Frem-
den. Ohne Erschütterungen wäre diese Revolution vorüberge-
gangen, keine Spur davon hätte sich in der Erinnerung des
Volks, keine leise Reminiscenz im Recht selbst erhalten! Das
freie unbeschränkte Privateigenthum aber, wie es bei den Ple-
bejern bestanden, hätte jetzt an die Stelle treten sollen, ohne
daß die Gentilverfassung, deren innerstes Wesen sich dagegen
sträubte, sofort den Todesstoß erhalten hätte?

Nein, es ist dieselbe Verkehrtheit, das ursprüngliche Pri-
vateigenthum innerhalb des Geschlechterstaates zu läugnen, als

Erſtes Buch — Ausgangspunkte des röm. Rechts.
auch nicht eine einzige Reminiscenz davon übrig geblieben?
Und dies ſoll beim Grundeigenthum und noch dazu während
der Dauer des Geſchlechterſtaats geſchehen ſein? — zwei Ver-
hältniſſen, an denen ſich jene bekannte conſervative Kraft der
römiſchen Rechtsideen im verdoppelten und vervierfachten Maße
hätte bewähren müſſen? Dies hätte ferner durch die Plebejer ge-
ſchehen ſollen, ſie, die damals noch in einer ſehr beſcheidenen
und gedrückten Stellung lebten, ſie, die nach jener Annahme
Privateigenthum an Grund und Boden kannten und gar kein
Intereſſe daran hatten, den Patriciern daſſelbe aufzuzwingen?

Die ganze Anſicht enthält eine Häufung von Undenkbarkei-
ten und einen Verſtoß gegen den ſonſtigen Charakter der rö-
miſchen Rechtsbildung, indem ſie ihr zumuthet, daß ſie ihre
gewohnte Langſamkeit, Gleichmäßigkeit und Entwicklung von
innen heraus dies eine Mal völlig hätte verläugnen, an ſich
ſelbſt hätte untreu werden ſollen. Eine der fundamentalſten
Einrichtungen des römiſchen Staats hätte in der erſten Hälfte
der Königszeit noch in Blüthe ſtehen und bereits in der zweiten
Hälfte in ihr gerades Gegentheil umſchlagen müſſen. Und dieſe
coloſſale Revolution des ganzen Rechtszuſtandes — denn in
ihren Folgen war ſie das — wird nur motivirt durch den Sieg
eines angeblich von vornherein völlig entgegengeſetzten Prin-
zips; nicht durch inneres Bedürfniß, nicht durch Entwicklung
von innen heraus, ſondern durch die Macht des plebejiſchen
Beiſpiels und durch äußeres Hineintragen eines an ſich Frem-
den. Ohne Erſchütterungen wäre dieſe Revolution vorüberge-
gangen, keine Spur davon hätte ſich in der Erinnerung des
Volks, keine leiſe Reminiscenz im Recht ſelbſt erhalten! Das
freie unbeſchränkte Privateigenthum aber, wie es bei den Ple-
bejern beſtanden, hätte jetzt an die Stelle treten ſollen, ohne
daß die Gentilverfaſſung, deren innerſtes Weſen ſich dagegen
ſträubte, ſofort den Todesſtoß erhalten hätte?

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vateigenthum innerhalb des Geſchlechterſtaates zu läugnen, als

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[184/0202] Erſtes Buch — Ausgangspunkte des röm. Rechts. auch nicht eine einzige Reminiscenz davon übrig geblieben? Und dies ſoll beim Grundeigenthum und noch dazu während der Dauer des Geſchlechterſtaats geſchehen ſein? — zwei Ver- hältniſſen, an denen ſich jene bekannte conſervative Kraft der römiſchen Rechtsideen im verdoppelten und vervierfachten Maße hätte bewähren müſſen? Dies hätte ferner durch die Plebejer ge- ſchehen ſollen, ſie, die damals noch in einer ſehr beſcheidenen und gedrückten Stellung lebten, ſie, die nach jener Annahme Privateigenthum an Grund und Boden kannten und gar kein Intereſſe daran hatten, den Patriciern daſſelbe aufzuzwingen? Die ganze Anſicht enthält eine Häufung von Undenkbarkei- ten und einen Verſtoß gegen den ſonſtigen Charakter der rö- miſchen Rechtsbildung, indem ſie ihr zumuthet, daß ſie ihre gewohnte Langſamkeit, Gleichmäßigkeit und Entwicklung von innen heraus dies eine Mal völlig hätte verläugnen, an ſich ſelbſt hätte untreu werden ſollen. Eine der fundamentalſten Einrichtungen des römiſchen Staats hätte in der erſten Hälfte der Königszeit noch in Blüthe ſtehen und bereits in der zweiten Hälfte in ihr gerades Gegentheil umſchlagen müſſen. Und dieſe coloſſale Revolution des ganzen Rechtszuſtandes — denn in ihren Folgen war ſie das — wird nur motivirt durch den Sieg eines angeblich von vornherein völlig entgegengeſetzten Prin- zips; nicht durch inneres Bedürfniß, nicht durch Entwicklung von innen heraus, ſondern durch die Macht des plebejiſchen Beiſpiels und durch äußeres Hineintragen eines an ſich Frem- den. Ohne Erſchütterungen wäre dieſe Revolution vorüberge- gangen, keine Spur davon hätte ſich in der Erinnerung des Volks, keine leiſe Reminiscenz im Recht ſelbſt erhalten! Das freie unbeſchränkte Privateigenthum aber, wie es bei den Ple- bejern beſtanden, hätte jetzt an die Stelle treten ſollen, ohne daß die Gentilverfaſſung, deren innerſtes Weſen ſich dagegen ſträubte, ſofort den Todesſtoß erhalten hätte? Nein, es iſt dieſelbe Verkehrtheit, das urſprüngliche Pri- vateigenthum innerhalb des Geſchlechterſtaates zu läugnen, als

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/202>, abgerufen am 24.11.2024.