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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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2. Der Staat -- Das Gesetz ein Vertrag Aller. §. 15.
kehrten das imperium und die Beile vorübergehend zurück, und
die ganze Strafrechtspflege ward dann nach Kriegsrecht geübt.


Wir erinnern jetzt des Zusammenhanges wegen an den
Satz, von dem wir ausgingen, nämlich daß nicht der Staat,
sondern das gesammte Volk und mithin jeder Einzelne das Sub-
jekt des jus publicum war. Ist dieser Satz richtig, so muß er
wie von den aus dem jus publicum fließenden Rechten so auch
von den durch dasselbe auferlegten Pflichten gelten, und in der
That gewährt uns das römische Völkerrecht eine schlagende
Consequenz. Ein mit einem fremden Volke abgeschlossener Ver-
trag verpflichtet nicht die beiderseitigen Staatsgewalten, son-
dern sämmtliche Angehörige beider Völker, darum wird der
Einzelne, der diesen Vertrag verletzt, weil er damit eine ihm
obliegende Verpflichtung gebrochen, dem fremden Volk überlie-
fert. Krieg und Frieden zwischen zwei Staaten ist Krieg und
Frieden zwischen sämmtlichen Individuen.

3. Wille des Staats ist Wille der Individuen,
Gesetz ein Vertrag, wodurch sich letztere gegen-
seitig zu einer gewissen Handlungsweise ver-
pflichten, das Recht im objektiven Sinn die dar-
aus entstehende Verpflichtung Aller
. Nicht der Staat,
sondern die Individuen sind das Subjekt der gesetzgebenden
Gewalt; auch letztere also erhebt sich wie die strafrichterliche
vom Boden des subjektiven Prinzips aus, die ursprüngliche
Form, in der sie erscheint, ist nicht die eines Gebotes und Ver-
botes über Gehorchende, sondern einer zwischen gleichgestellten
Personen getroffenen Uebereinkunft -- eine Entwicklung des
Rechts im objektiven Sinn aus dem Vertrage heraus, die sich
vielerwärts nachweisen läßt. 107)

perat et ipsis magistratibus minatur, recusat, appellat, provocat; in
bello sic paret ut regi.
107) In Deutschland z. B. bei der Geschichte der landständischen Ver-

2. Der Staat — Das Geſetz ein Vertrag Aller. §. 15.
kehrten das imperium und die Beile vorübergehend zurück, und
die ganze Strafrechtspflege ward dann nach Kriegsrecht geübt.


Wir erinnern jetzt des Zuſammenhanges wegen an den
Satz, von dem wir ausgingen, nämlich daß nicht der Staat,
ſondern das geſammte Volk und mithin jeder Einzelne das Sub-
jekt des jus publicum war. Iſt dieſer Satz richtig, ſo muß er
wie von den aus dem jus publicum fließenden Rechten ſo auch
von den durch daſſelbe auferlegten Pflichten gelten, und in der
That gewährt uns das römiſche Völkerrecht eine ſchlagende
Conſequenz. Ein mit einem fremden Volke abgeſchloſſener Ver-
trag verpflichtet nicht die beiderſeitigen Staatsgewalten, ſon-
dern ſämmtliche Angehörige beider Völker, darum wird der
Einzelne, der dieſen Vertrag verletzt, weil er damit eine ihm
obliegende Verpflichtung gebrochen, dem fremden Volk überlie-
fert. Krieg und Frieden zwiſchen zwei Staaten iſt Krieg und
Frieden zwiſchen ſämmtlichen Individuen.

3. Wille des Staats iſt Wille der Individuen,
Geſetz ein Vertrag, wodurch ſich letztere gegen-
ſeitig zu einer gewiſſen Handlungsweiſe ver-
pflichten, das Recht im objektiven Sinn die dar-
aus entſtehende Verpflichtung Aller
. Nicht der Staat,
ſondern die Individuen ſind das Subjekt der geſetzgebenden
Gewalt; auch letztere alſo erhebt ſich wie die ſtrafrichterliche
vom Boden des ſubjektiven Prinzips aus, die urſprüngliche
Form, in der ſie erſcheint, iſt nicht die eines Gebotes und Ver-
botes über Gehorchende, ſondern einer zwiſchen gleichgeſtellten
Perſonen getroffenen Uebereinkunft — eine Entwicklung des
Rechts im objektiven Sinn aus dem Vertrage heraus, die ſich
vielerwärts nachweiſen läßt. 107)

perat et ipsis magistratibus minatur, recusat, appellat, provocat; in
bello sic paret ut regi.
107) In Deutſchland z. B. bei der Geſchichte der landſtändiſchen Ver-
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[201/0219] 2. Der Staat — Das Geſetz ein Vertrag Aller. §. 15. kehrten das imperium und die Beile vorübergehend zurück, und die ganze Strafrechtspflege ward dann nach Kriegsrecht geübt. Wir erinnern jetzt des Zuſammenhanges wegen an den Satz, von dem wir ausgingen, nämlich daß nicht der Staat, ſondern das geſammte Volk und mithin jeder Einzelne das Sub- jekt des jus publicum war. Iſt dieſer Satz richtig, ſo muß er wie von den aus dem jus publicum fließenden Rechten ſo auch von den durch daſſelbe auferlegten Pflichten gelten, und in der That gewährt uns das römiſche Völkerrecht eine ſchlagende Conſequenz. Ein mit einem fremden Volke abgeſchloſſener Ver- trag verpflichtet nicht die beiderſeitigen Staatsgewalten, ſon- dern ſämmtliche Angehörige beider Völker, darum wird der Einzelne, der dieſen Vertrag verletzt, weil er damit eine ihm obliegende Verpflichtung gebrochen, dem fremden Volk überlie- fert. Krieg und Frieden zwiſchen zwei Staaten iſt Krieg und Frieden zwiſchen ſämmtlichen Individuen. 3. Wille des Staats iſt Wille der Individuen, Geſetz ein Vertrag, wodurch ſich letztere gegen- ſeitig zu einer gewiſſen Handlungsweiſe ver- pflichten, das Recht im objektiven Sinn die dar- aus entſtehende Verpflichtung Aller. Nicht der Staat, ſondern die Individuen ſind das Subjekt der geſetzgebenden Gewalt; auch letztere alſo erhebt ſich wie die ſtrafrichterliche vom Boden des ſubjektiven Prinzips aus, die urſprüngliche Form, in der ſie erſcheint, iſt nicht die eines Gebotes und Ver- botes über Gehorchende, ſondern einer zwiſchen gleichgeſtellten Perſonen getroffenen Uebereinkunft — eine Entwicklung des Rechts im objektiven Sinn aus dem Vertrage heraus, die ſich vielerwärts nachweiſen läßt. 107) 106) 107) In Deutſchland z. B. bei der Geſchichte der landſtändiſchen Ver- 106) perat et ipsis magistratibus minatur, recusat, appellat, provocat; in bello sic paret ut regi.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/219>, abgerufen am 25.11.2024.