Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.Erstes Buch -- Ausgangspunkte des röm. Rechts. Da das Gesetz die Gesammtheit binden soll, so muß es auch Etymologisch weist uns der Ausdruck lex auf die Vorstel- fassung. Das Staatsrecht erscheint hier als der Inbegriff der den Ständen vertragsmäßig eingeräumten Rechte. 108) Lex rogatur, testes rogati (aufs Mancipationstestament hin- übergenommen von dem testamentum in comitiis calatis) arrogatio (bei- läufig gesagt liegt in diesem bei der Testamentserrichtung und der Arrogation vorkommenden Ausdruck rogare ein neuer Beweisgrund für die Ansicht, daß bei beiden Akten eine wirkliche Abstimmung des Volks vorgekommen ist). Uebrigens hat bereits Rubino a. a. O. S. 255 in der Form der Befragung und Abstimmung des Volks die Aehnlichkeit mit der Stipulation erkannt, ohne aber freilich im übrigen den Weg, den ich hier eingeschlagen habe, zu betreten. 109) Papinian in L. 1 de legib. (1. 3). 110) Auch unser deutsches Legen, Liegen ist von Gesetz und Verpflich- tung gebraucht z. B. Auflage, Obliegenheit, alth. lag, das Gesetz. Die Etymologen streiten aber darüber, ob neben der Wurzel leg im Sinne von zusammensuchen, sammeln (legere in der Bedeutung von Lesen = das Sam- meln, Zusammenlesen der Buchstaben) noch eine eigne Wurzel lekh (legen, lectum = worauf man sich legt d. i. Bett, lex = Auf-lag-e) anzuneh- men ist. Pott a. a. O. S. 257, 258. 111) Z. B. vendere, dare hac lege, lex commissoria, leges vena-
lium vendendorum u. s. w. Erſtes Buch — Ausgangspunkte des röm. Rechts. Da das Geſetz die Geſammtheit binden ſoll, ſo muß es auch Etymologiſch weiſt uns der Ausdruck lex auf die Vorſtel- faſſung. Das Staatsrecht erſcheint hier als der Inbegriff der den Ständen vertragsmäßig eingeräumten Rechte. 108) Lex rogatur, testes rogati (aufs Mancipationsteſtament hin- übergenommen von dem testamentum in comitiis calatis) arrogatio (bei- läufig geſagt liegt in dieſem bei der Teſtamentserrichtung und der Arrogation vorkommenden Ausdruck rogare ein neuer Beweisgrund für die Anſicht, daß bei beiden Akten eine wirkliche Abſtimmung des Volks vorgekommen iſt). Uebrigens hat bereits Rubino a. a. O. S. 255 in der Form der Befragung und Abſtimmung des Volks die Aehnlichkeit mit der Stipulation erkannt, ohne aber freilich im übrigen den Weg, den ich hier eingeſchlagen habe, zu betreten. 109) Papinian in L. 1 de legib. (1. 3). 110) Auch unſer deutſches Legen, Liegen iſt von Geſetz und Verpflich- tung gebraucht z. B. Auflage, Obliegenheit, alth. lag, das Geſetz. Die Etymologen ſtreiten aber darüber, ob neben der Wurzel leg im Sinne von zuſammenſuchen, ſammeln (legere in der Bedeutung von Leſen = das Sam- meln, Zuſammenleſen der Buchſtaben) noch eine eigne Wurzel λεχ (legen, lectum = worauf man ſich legt d. i. Bett, lex = Auf-lag-e) anzuneh- men iſt. Pott a. a. O. S. 257, 258. 111) Z. B. vendere, dare hac lege, lex commissoria, leges vena-
lium vendendorum u. ſ. w. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <pb facs="#f0220" n="202"/> <fw place="top" type="header">Erſtes Buch — Ausgangspunkte des röm. Rechts.</fw><lb/> <p>Da das Geſetz die Geſammtheit binden ſoll, ſo muß es auch<lb/> von ihr erlaſſen werden; es iſt nichts, als eine auf das ganze<lb/> Volk angewandte Obligationsform. Ebenſo wie bei der Obli-<lb/> girung Einzelner Frage und Antwort (Stipulationsform) nö-<lb/> thig iſt, ſo auch hier; das Volk wird rogirt <note place="foot" n="108)"><hi rendition="#aq">Lex rogatur, testes rogati</hi> (aufs Mancipationsteſtament hin-<lb/> übergenommen von dem <hi rendition="#aq">testamentum in comitiis calatis) arrogatio</hi> (bei-<lb/> läufig geſagt liegt in dieſem bei der Teſtamentserrichtung und der Arrogation<lb/> vorkommenden Ausdruck <hi rendition="#aq">rogare</hi> ein neuer Beweisgrund für die Anſicht, daß<lb/> bei beiden Akten eine wirkliche Abſtimmung des Volks vorgekommen iſt).<lb/> Uebrigens hat bereits Rubino a. a. O. S. 255 in der Form der Befragung<lb/> und Abſtimmung des Volks die Aehnlichkeit mit der Stipulation erkannt,<lb/> ohne aber freilich im übrigen den Weg, den ich hier eingeſchlagen habe, zu<lb/> betreten.</note> und ertheilt<lb/> durch Abſtimmung ſeine Antwort. Im Geiſte dieſes urſprüng-<lb/> lichen Verhältniſſes nennt daher ein römiſcher Juriſt <note place="foot" n="109)">Papinian in <hi rendition="#aq">L. 1 de legib</hi>. (1. 3).</note> das<lb/> Geſetz eine <hi rendition="#aq">communis reipublicae sponsio</hi>.</p><lb/> <p>Etymologiſch weiſt uns der Ausdruck <hi rendition="#aq">lex</hi> auf die Vorſtel-<lb/> lung des Legens hin, <hi rendition="#aq">lex</hi> wäre alſo etwa gleichbedeutend mit<lb/> Auflage. <note place="foot" n="110)">Auch unſer deutſches Legen, Liegen iſt von Geſetz und Verpflich-<lb/> tung gebraucht z. B. Auflage, Obliegenheit, alth. <hi rendition="#aq">lag,</hi> das Geſetz. Die<lb/> Etymologen ſtreiten aber darüber, ob neben der Wurzel <hi rendition="#aq">leg</hi> im Sinne von<lb/> zuſammenſuchen, ſammeln (<hi rendition="#aq">legere</hi> in der Bedeutung von Leſen = das Sam-<lb/> meln, Zuſammenleſen der Buchſtaben) noch eine eigne Wurzel λεχ (legen,<lb/><hi rendition="#aq">lectum</hi> = worauf man ſich legt d. i. Bett, <hi rendition="#aq">lex</hi> = Auf-lag-e) anzuneh-<lb/> men iſt. Pott a. a. O. S. 257, 258.</note> Der Sprachgebrauch, der dieſen Ausdruck gleich-<lb/> mäßig von Geſetzen wie von Privatvereinbarungen <note place="foot" n="111)">Z. B. <hi rendition="#aq">vendere, dare hac lege, lex commissoria, leges vena-<lb/> lium vendendorum</hi> u. ſ. w.</note> ge-<lb/> braucht, zeigt, daß beide urſprünglich in der Vorſtellung der<lb/> Römer auf einer Linie ſtanden. Geſetz und Vertrag ſind ur-<lb/> ſprünglich nicht durch ihre intenſive, ſondern bloß durch ihre<lb/> extenſive Wirkſamkeit unterſchieden, ebenſo wie die <hi rendition="#aq">vindicta</hi><lb/><note xml:id="seg2pn_12_2" prev="#seg2pn_12_1" place="foot" n="107)">faſſung. Das Staatsrecht erſcheint hier als der Inbegriff der den Ständen<lb/> vertragsmäßig eingeräumten Rechte.</note><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [202/0220]
Erſtes Buch — Ausgangspunkte des röm. Rechts.
Da das Geſetz die Geſammtheit binden ſoll, ſo muß es auch
von ihr erlaſſen werden; es iſt nichts, als eine auf das ganze
Volk angewandte Obligationsform. Ebenſo wie bei der Obli-
girung Einzelner Frage und Antwort (Stipulationsform) nö-
thig iſt, ſo auch hier; das Volk wird rogirt 108) und ertheilt
durch Abſtimmung ſeine Antwort. Im Geiſte dieſes urſprüng-
lichen Verhältniſſes nennt daher ein römiſcher Juriſt 109) das
Geſetz eine communis reipublicae sponsio.
Etymologiſch weiſt uns der Ausdruck lex auf die Vorſtel-
lung des Legens hin, lex wäre alſo etwa gleichbedeutend mit
Auflage. 110) Der Sprachgebrauch, der dieſen Ausdruck gleich-
mäßig von Geſetzen wie von Privatvereinbarungen 111) ge-
braucht, zeigt, daß beide urſprünglich in der Vorſtellung der
Römer auf einer Linie ſtanden. Geſetz und Vertrag ſind ur-
ſprünglich nicht durch ihre intenſive, ſondern bloß durch ihre
extenſive Wirkſamkeit unterſchieden, ebenſo wie die vindicta
107)
108) Lex rogatur, testes rogati (aufs Mancipationsteſtament hin-
übergenommen von dem testamentum in comitiis calatis) arrogatio (bei-
läufig geſagt liegt in dieſem bei der Teſtamentserrichtung und der Arrogation
vorkommenden Ausdruck rogare ein neuer Beweisgrund für die Anſicht, daß
bei beiden Akten eine wirkliche Abſtimmung des Volks vorgekommen iſt).
Uebrigens hat bereits Rubino a. a. O. S. 255 in der Form der Befragung
und Abſtimmung des Volks die Aehnlichkeit mit der Stipulation erkannt,
ohne aber freilich im übrigen den Weg, den ich hier eingeſchlagen habe, zu
betreten.
109) Papinian in L. 1 de legib. (1. 3).
110) Auch unſer deutſches Legen, Liegen iſt von Geſetz und Verpflich-
tung gebraucht z. B. Auflage, Obliegenheit, alth. lag, das Geſetz. Die
Etymologen ſtreiten aber darüber, ob neben der Wurzel leg im Sinne von
zuſammenſuchen, ſammeln (legere in der Bedeutung von Leſen = das Sam-
meln, Zuſammenleſen der Buchſtaben) noch eine eigne Wurzel λεχ (legen,
lectum = worauf man ſich legt d. i. Bett, lex = Auf-lag-e) anzuneh-
men iſt. Pott a. a. O. S. 257, 258.
111) Z. B. vendere, dare hac lege, lex commissoria, leges vena-
lium vendendorum u. ſ. w.
107) faſſung. Das Staatsrecht erſcheint hier als der Inbegriff der den Ständen
vertragsmäßig eingeräumten Rechte.
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