Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.Erstes Buch -- Ausgangspunkte des römischen Rechts. räume gern ein, daß ich construirt habe, allein wer mir dies ver-wehren will, der bestreite mir vorher das Recht, aus gegebenen Thatsachen Schlüsse zu ziehen, läugne den Satz, daß die Rechts- anschauung jeder Periode der Geschichte eine einige ist, keine Widersprüche in sich schließen kann. Bequem ist es, die Geschichte gleich mit einem großen Kapital von Begriffen beginnen zu lassen, den ersten Aeußerungen der Staats- und Rechtsbildung von vornherein unsere heutigen Ideen unterzulegen, res publica, lex, poena, judex u. s. w. mit Staat, Gesetz, Strafe, Richter u. s. w. zu übersetzen -- dann ist man mit einem Male über alle Schwierigkeiten hinweg. Aber trägt man hier nicht mehr hinein, als ich mit allen meinen Construktionen? Der Gedanke, der mich geleitet hat, ist der: man darf sich nicht beruhigen bei den äußern Formen des Staats- und Rechtslebens, denn sie können bei äußerer Aehnlichkeit unendlich verschieden sein, son- dern es kömmt darauf an, ihren inneren Gehalt d. h. die Ideen, auf denen sie beruhen, zu ermitteln. Nun gewährt noch das spätere römische Recht Anhaltspunkte genug, um diese Operation wenigstens hinsichtlich einiger Punkte vorzunehmen. Wenn aber an ihnen eine bestimmte Rechts- und Staatsanschauung sich manifestirt, so kann dieselbe sich nicht selbst widersprochen haben, wir sind berechtigt, ihre nothwendigen Voraussetzungen und Consequenzen zu entwickeln und uns die ganze Rechtswelt im Geiste dieser Anschauung zu denken. Ein mehres haben wir nicht gethan. Wir haben uns den Staat gedacht vom Stand- punkt des subjektiven Prinzips aus, unter der Herrschaft privat- rechtlicher Auffassung. Das Gewicht der speziellen äußern Gründe, die uns zur Einnahme dieses Standpunktes veran- laßten, wird verstärkt durch naheliegende 122) historische Ana- 122) Wenn wir unsern Blick auch nur auf Deutschland beschränken, so
finden wir schon genug Analogien. Der Lehnsstaat war ein Staat mit pri- vatrechtlicher Construktion, die Patrimonialgerichtsbarkeit beruht auf privat- rechtlicher Auffassung des Richteramtes; die Capitulationen der Churfürsten mit dem Kaiser, die Verträge der Stände mit dem Landesherrn u. s. w. ge- Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts. räume gern ein, daß ich conſtruirt habe, allein wer mir dies ver-wehren will, der beſtreite mir vorher das Recht, aus gegebenen Thatſachen Schlüſſe zu ziehen, läugne den Satz, daß die Rechts- anſchauung jeder Periode der Geſchichte eine einige iſt, keine Widerſprüche in ſich ſchließen kann. Bequem iſt es, die Geſchichte gleich mit einem großen Kapital von Begriffen beginnen zu laſſen, den erſten Aeußerungen der Staats- und Rechtsbildung von vornherein unſere heutigen Ideen unterzulegen, res publica, lex, poena, judex u. ſ. w. mit Staat, Geſetz, Strafe, Richter u. ſ. w. zu überſetzen — dann iſt man mit einem Male über alle Schwierigkeiten hinweg. Aber trägt man hier nicht mehr hinein, als ich mit allen meinen Conſtruktionen? Der Gedanke, der mich geleitet hat, iſt der: man darf ſich nicht beruhigen bei den äußern Formen des Staats- und Rechtslebens, denn ſie können bei äußerer Aehnlichkeit unendlich verſchieden ſein, ſon- dern es kömmt darauf an, ihren inneren Gehalt d. h. die Ideen, auf denen ſie beruhen, zu ermitteln. Nun gewährt noch das ſpätere römiſche Recht Anhaltspunkte genug, um dieſe Operation wenigſtens hinſichtlich einiger Punkte vorzunehmen. Wenn aber an ihnen eine beſtimmte Rechts- und Staatsanſchauung ſich manifeſtirt, ſo kann dieſelbe ſich nicht ſelbſt widerſprochen haben, wir ſind berechtigt, ihre nothwendigen Vorausſetzungen und Conſequenzen zu entwickeln und uns die ganze Rechtswelt im Geiſte dieſer Anſchauung zu denken. Ein mehres haben wir nicht gethan. Wir haben uns den Staat gedacht vom Stand- punkt des ſubjektiven Prinzips aus, unter der Herrſchaft privat- rechtlicher Auffaſſung. Das Gewicht der ſpeziellen äußern Gründe, die uns zur Einnahme dieſes Standpunktes veran- laßten, wird verſtärkt durch naheliegende 122) hiſtoriſche Ana- 122) Wenn wir unſern Blick auch nur auf Deutſchland beſchränken, ſo
finden wir ſchon genug Analogien. Der Lehnsſtaat war ein Staat mit pri- vatrechtlicher Conſtruktion, die Patrimonialgerichtsbarkeit beruht auf privat- rechtlicher Auffaſſung des Richteramtes; die Capitulationen der Churfürſten mit dem Kaiſer, die Verträge der Stände mit dem Landesherrn u. ſ. w. ge- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p><pb facs="#f0234" n="216"/><fw place="top" type="header">Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts.</fw><lb/> räume gern ein, daß ich conſtruirt habe, allein wer mir dies ver-<lb/> wehren will, der beſtreite mir vorher das Recht, aus gegebenen<lb/> Thatſachen Schlüſſe zu ziehen, läugne den Satz, daß die Rechts-<lb/> anſchauung jeder Periode der Geſchichte eine einige iſt, keine<lb/> Widerſprüche in ſich ſchließen kann. Bequem iſt es, die Geſchichte<lb/> gleich mit einem großen Kapital von Begriffen beginnen zu<lb/> laſſen, den erſten Aeußerungen der Staats- und Rechtsbildung<lb/> von vornherein unſere heutigen Ideen unterzulegen, <hi rendition="#aq">res publica,<lb/> lex, poena, judex</hi> u. ſ. w. mit Staat, Geſetz, Strafe, Richter<lb/> u. ſ. w. zu überſetzen — dann iſt man mit einem Male über<lb/> alle Schwierigkeiten hinweg. Aber trägt man hier nicht mehr<lb/> hinein, als ich mit allen meinen Conſtruktionen? Der Gedanke,<lb/> der mich geleitet hat, iſt der: man darf ſich nicht beruhigen bei<lb/> den äußern Formen des Staats- und Rechtslebens, denn ſie<lb/> können bei äußerer Aehnlichkeit unendlich verſchieden ſein, ſon-<lb/> dern es kömmt darauf an, ihren inneren Gehalt d. h. die Ideen,<lb/> auf denen ſie beruhen, zu ermitteln. Nun gewährt noch das<lb/> ſpätere römiſche Recht Anhaltspunkte genug, um dieſe Operation<lb/> wenigſtens hinſichtlich einiger Punkte vorzunehmen. Wenn aber<lb/> an ihnen eine beſtimmte Rechts- und Staatsanſchauung ſich<lb/> manifeſtirt, ſo kann dieſelbe ſich nicht ſelbſt widerſprochen haben,<lb/> wir ſind berechtigt, ihre nothwendigen Vorausſetzungen und<lb/> Conſequenzen zu entwickeln und uns die ganze Rechtswelt im<lb/> Geiſte dieſer Anſchauung zu denken. Ein mehres haben wir<lb/> nicht gethan. Wir haben uns den Staat gedacht vom Stand-<lb/> punkt des ſubjektiven Prinzips aus, unter der Herrſchaft privat-<lb/> rechtlicher Auffaſſung. Das Gewicht der ſpeziellen äußern<lb/> Gründe, die uns zur Einnahme dieſes Standpunktes veran-<lb/> laßten, wird verſtärkt durch naheliegende <note xml:id="seg2pn_14_1" next="#seg2pn_14_2" place="foot" n="122)">Wenn wir unſern Blick auch nur auf Deutſchland beſchränken, ſo<lb/> finden wir ſchon genug Analogien. Der Lehnsſtaat war ein Staat mit pri-<lb/> vatrechtlicher Conſtruktion, die Patrimonialgerichtsbarkeit beruht auf privat-<lb/> rechtlicher Auffaſſung des Richteramtes; die Capitulationen der Churfürſten<lb/> mit dem Kaiſer, die Verträge der Stände mit dem Landesherrn u. ſ. w. ge-</note> hiſtoriſche Ana-<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [216/0234]
Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts.
räume gern ein, daß ich conſtruirt habe, allein wer mir dies ver-
wehren will, der beſtreite mir vorher das Recht, aus gegebenen
Thatſachen Schlüſſe zu ziehen, läugne den Satz, daß die Rechts-
anſchauung jeder Periode der Geſchichte eine einige iſt, keine
Widerſprüche in ſich ſchließen kann. Bequem iſt es, die Geſchichte
gleich mit einem großen Kapital von Begriffen beginnen zu
laſſen, den erſten Aeußerungen der Staats- und Rechtsbildung
von vornherein unſere heutigen Ideen unterzulegen, res publica,
lex, poena, judex u. ſ. w. mit Staat, Geſetz, Strafe, Richter
u. ſ. w. zu überſetzen — dann iſt man mit einem Male über
alle Schwierigkeiten hinweg. Aber trägt man hier nicht mehr
hinein, als ich mit allen meinen Conſtruktionen? Der Gedanke,
der mich geleitet hat, iſt der: man darf ſich nicht beruhigen bei
den äußern Formen des Staats- und Rechtslebens, denn ſie
können bei äußerer Aehnlichkeit unendlich verſchieden ſein, ſon-
dern es kömmt darauf an, ihren inneren Gehalt d. h. die Ideen,
auf denen ſie beruhen, zu ermitteln. Nun gewährt noch das
ſpätere römiſche Recht Anhaltspunkte genug, um dieſe Operation
wenigſtens hinſichtlich einiger Punkte vorzunehmen. Wenn aber
an ihnen eine beſtimmte Rechts- und Staatsanſchauung ſich
manifeſtirt, ſo kann dieſelbe ſich nicht ſelbſt widerſprochen haben,
wir ſind berechtigt, ihre nothwendigen Vorausſetzungen und
Conſequenzen zu entwickeln und uns die ganze Rechtswelt im
Geiſte dieſer Anſchauung zu denken. Ein mehres haben wir
nicht gethan. Wir haben uns den Staat gedacht vom Stand-
punkt des ſubjektiven Prinzips aus, unter der Herrſchaft privat-
rechtlicher Auffaſſung. Das Gewicht der ſpeziellen äußern
Gründe, die uns zur Einnahme dieſes Standpunktes veran-
laßten, wird verſtärkt durch naheliegende 122) hiſtoriſche Ana-
122) Wenn wir unſern Blick auch nur auf Deutſchland beſchränken, ſo
finden wir ſchon genug Analogien. Der Lehnsſtaat war ein Staat mit pri-
vatrechtlicher Conſtruktion, die Patrimonialgerichtsbarkeit beruht auf privat-
rechtlicher Auffaſſung des Richteramtes; die Capitulationen der Churfürſten
mit dem Kaiſer, die Verträge der Stände mit dem Landesherrn u. ſ. w. ge-
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