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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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Erstes Buch -- Ausgangspunkte des römischen Rechts.
Maß faktischer Selbständigkeit, das, sei es hergebracht, sei es
durch Vereinbarung mit ihm festgestellt ist, unverkümmert zu
gewähren, das Vermögen des Clienten faktisch nicht als das
seinige zu betrachten. Es gab zwar Nothfälle, in denen er ohne
Anstand dem Clienten eine Contribution auferlegen konnte, 134)
ebenso war es in der Ordnung, daß der Client für den ihm ge-
währten Schutz Dienste leistete; allein diese Leistungen fanden
an der Sitte ihr Maß, und die Vereinbarungen beider Par-
theien, die rechtlich völlig wirkungslos waren, an ihr ihren
Schutz. Bei dem Tode des Clienten war der Patron seiner
Verpflichtung ledig, konnte also das Vermögen einziehen, und
nur wenn Kinder vorhanden waren, mochte es Ehrensache für
ihn sein, es ihnen zu lassen. 135)

Es ist begreiflich, daß dies Verhältniß von Seiten des
Patrons, der um eine geringe Leistung wichtige Vortheile ein-
tauschte, bereitwillig sowohl mit dem Clienten selbst als dessen
Nachkommenschaft fortgesetzt wurde, und daß sein eignes Inter-
esse ihn veranlaßte, seine Clienten gut zu behandeln und mög-
lichst günstig zu stellen, sowohl um ihnen keinen Grund zu ge-
ben, das Verhältniß aufzuheben -- was ihnen nämlich schwer-
lich verweigert werden konnte -- als um neue zu gewinnen.
Für den, der Land genug und Arbeitskräfte zu wenig besaß,
mochte es ein vortheilhaftes Geschäft sein, durch unentgeltliche
Ueberlassung kleiner Parzellen Landes Clienten an sich zu ziehen
und seine Arbeitskräfte damit zu vermehren. Diese Verleihung
von Land, die an sich dem Wesen des Instituts fremd ist, 136)

134) z. B. wenn er eine Tochter auszusteuern, sich selbst oder Familien-
mitglieder aus feindlicher Gefangenschaft loszukaufen, ungewöhnliche Abga-
ben, Sühnen, Brüche u. s. w. zu entrichten hatte.
135) Dieses aus dem Eigenthum des Patrons fließende Recht, den
Nachlaß des Clienten an sich zu ziehen, ließe sich als der Ausgangspunkt des
patronatischen Erbrechts bezeichnen.
136) Im Gegensatz zum Vasallenthum des Mittelalters, an das Nie-

Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts.
Maß faktiſcher Selbſtändigkeit, das, ſei es hergebracht, ſei es
durch Vereinbarung mit ihm feſtgeſtellt iſt, unverkümmert zu
gewähren, das Vermögen des Clienten faktiſch nicht als das
ſeinige zu betrachten. Es gab zwar Nothfälle, in denen er ohne
Anſtand dem Clienten eine Contribution auferlegen konnte, 134)
ebenſo war es in der Ordnung, daß der Client für den ihm ge-
währten Schutz Dienſte leiſtete; allein dieſe Leiſtungen fanden
an der Sitte ihr Maß, und die Vereinbarungen beider Par-
theien, die rechtlich völlig wirkungslos waren, an ihr ihren
Schutz. Bei dem Tode des Clienten war der Patron ſeiner
Verpflichtung ledig, konnte alſo das Vermögen einziehen, und
nur wenn Kinder vorhanden waren, mochte es Ehrenſache für
ihn ſein, es ihnen zu laſſen. 135)

Es iſt begreiflich, daß dies Verhältniß von Seiten des
Patrons, der um eine geringe Leiſtung wichtige Vortheile ein-
tauſchte, bereitwillig ſowohl mit dem Clienten ſelbſt als deſſen
Nachkommenſchaft fortgeſetzt wurde, und daß ſein eignes Inter-
eſſe ihn veranlaßte, ſeine Clienten gut zu behandeln und mög-
lichſt günſtig zu ſtellen, ſowohl um ihnen keinen Grund zu ge-
ben, das Verhältniß aufzuheben — was ihnen nämlich ſchwer-
lich verweigert werden konnte — als um neue zu gewinnen.
Für den, der Land genug und Arbeitskräfte zu wenig beſaß,
mochte es ein vortheilhaftes Geſchäft ſein, durch unentgeltliche
Ueberlaſſung kleiner Parzellen Landes Clienten an ſich zu ziehen
und ſeine Arbeitskräfte damit zu vermehren. Dieſe Verleihung
von Land, die an ſich dem Weſen des Inſtituts fremd iſt, 136)

134) z. B. wenn er eine Tochter auszuſteuern, ſich ſelbſt oder Familien-
mitglieder aus feindlicher Gefangenſchaft loszukaufen, ungewöhnliche Abga-
ben, Sühnen, Brüche u. ſ. w. zu entrichten hatte.
135) Dieſes aus dem Eigenthum des Patrons fließende Recht, den
Nachlaß des Clienten an ſich zu ziehen, ließe ſich als der Ausgangspunkt des
patronatiſchen Erbrechts bezeichnen.
136) Im Gegenſatz zum Vaſallenthum des Mittelalters, an das Nie-
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[232/0250] Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts. Maß faktiſcher Selbſtändigkeit, das, ſei es hergebracht, ſei es durch Vereinbarung mit ihm feſtgeſtellt iſt, unverkümmert zu gewähren, das Vermögen des Clienten faktiſch nicht als das ſeinige zu betrachten. Es gab zwar Nothfälle, in denen er ohne Anſtand dem Clienten eine Contribution auferlegen konnte, 134) ebenſo war es in der Ordnung, daß der Client für den ihm ge- währten Schutz Dienſte leiſtete; allein dieſe Leiſtungen fanden an der Sitte ihr Maß, und die Vereinbarungen beider Par- theien, die rechtlich völlig wirkungslos waren, an ihr ihren Schutz. Bei dem Tode des Clienten war der Patron ſeiner Verpflichtung ledig, konnte alſo das Vermögen einziehen, und nur wenn Kinder vorhanden waren, mochte es Ehrenſache für ihn ſein, es ihnen zu laſſen. 135) Es iſt begreiflich, daß dies Verhältniß von Seiten des Patrons, der um eine geringe Leiſtung wichtige Vortheile ein- tauſchte, bereitwillig ſowohl mit dem Clienten ſelbſt als deſſen Nachkommenſchaft fortgeſetzt wurde, und daß ſein eignes Inter- eſſe ihn veranlaßte, ſeine Clienten gut zu behandeln und mög- lichſt günſtig zu ſtellen, ſowohl um ihnen keinen Grund zu ge- ben, das Verhältniß aufzuheben — was ihnen nämlich ſchwer- lich verweigert werden konnte — als um neue zu gewinnen. Für den, der Land genug und Arbeitskräfte zu wenig beſaß, mochte es ein vortheilhaftes Geſchäft ſein, durch unentgeltliche Ueberlaſſung kleiner Parzellen Landes Clienten an ſich zu ziehen und ſeine Arbeitskräfte damit zu vermehren. Dieſe Verleihung von Land, die an ſich dem Weſen des Inſtituts fremd iſt, 136) 134) z. B. wenn er eine Tochter auszuſteuern, ſich ſelbſt oder Familien- mitglieder aus feindlicher Gefangenſchaft loszukaufen, ungewöhnliche Abga- ben, Sühnen, Brüche u. ſ. w. zu entrichten hatte. 135) Dieſes aus dem Eigenthum des Patrons fließende Recht, den Nachlaß des Clienten an ſich zu ziehen, ließe ſich als der Ausgangspunkt des patronatiſchen Erbrechts bezeichnen. 136) Im Gegenſatz zum Vaſallenthum des Mittelalters, an das Nie-

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/250>, abgerufen am 22.11.2024.